Der Köhler schwieg; ich stand in tiefem Grauen auf der unheimlichen Stelle. Es mußte plötzlich eine Wolke vor die Sonne gezogen sein, denn der Strahl, der bis jetzt die feuchte, kalte Höhle erleuchtet hatte, schwand, und wir standen in trübster Dämmerung und blickten nach allen Seiten in die schwärzeste Nacht.
»Licht! Licht! Um Gotteswillen Licht!« bat plötzlich mit den Tönen der flehendlichsten Angst Ännchen. Ich hielt zum Tode erschrocken das arme Kind in den Armen; der ganze zarte Körper erzitterte.
»Licht! Licht!« rief auch ich. »O bitte, bitte, zündet Euere Fackel an – schnell, schnell.«
»Soll sogleich geschehen sein!« rief der Köhler. »Mut, Jungferchen – gleich haben wir Licht – da!«
Er schlug Feuer an; – schon die vom Stahl und Stein springenden Funken waren ein tröstlicher Anblick. Ein Schwefelfaden wurde angezündet und damit die Fackel in Brand gesetzt.
»Wir wollen sogleich wieder an das Tageslicht, liebes Ännchen. Wir wollen nicht weiter hinein in diese schrecklichen Grüfte – gleich werden wir wieder die Sonne sehen!«
Ich wandte mich, um das zitternde Mädchen zurückzuführen: die bittersten Vorwürfe machte ich mir, daß ich ihre kranke Seele solchen Schrecknissen ausgesetzt habe; aber zu meiner Verwunderung hielt sie krampfhaft meine Hand:
»Nein, nein, um Jesu willen, nicht da, nicht da zurück! Da hinein hat er sie geschleppt; – daher schleppte er ihren armen Leib sich nach! Wehe, wehe, und wie er sie fortschleifte in diese Grabeshöhle, da hat sie uns verflucht – verflucht hat sie das Haus Rhoda, als ob der Fluch der eigenen Ahnen nicht schon schwer genug darauf lastete, seit dem unglückseligen Weib, der Anna von Rhoda, der Trautenstein gebaut wurde!«
»Anna, Anna?!« rief ich entsetzt, erstarrt. »Was ist das? was sprichst Du, – Anna, liebes Ännchen?«
»Ja, Anna heiß ich, wie jene Verblendete. Hat der Vater nicht ihre Geschichte erzählt zu Paris im Salon der Frau Herzogin von Abrantes? Die Herzogin hielt mich auf dem Schoß und spielte mit meinen Locken und gab mir Bonbons; aber ich hörte doch nur dem Vater zu.«
Es drehte sich alles um mich her; – war das Traum! war das Wahrheit? Der Köhler stand in eben solcher starren Verwunderung, solchem Schrecken wie ich; das Licht seiner Fackel spielte rotglühend an den Steinwänden der Höhle, in welcher der Leib Luisens von Wachenstein vermodert war.
Und dieses so lange gesuchte Rätsel, welches sich jetzt so plötzlich, auf so seltsame Weise löste! Ich war dem Wahnsinn nahe.
»O die Geschichte von der Frau von Wachenstein und von dem Chevalier Melander von Rhoda kenn’ ich auch,« fuhr der Findling vom Schlachtfelde von Talavera fort. »Das hat der Vater zu Madrid erzählt; – da war auch eine Dame, welche mich oft auf den Schoß nahm; aber ich habe ihren Namen vergessen. Fort, fort, – die Engländer rücken an, – horch, das sind die Pfeifen der Hochländer; – fort, fort, – o mademoiselle Adelaide, l’ennemi! la mort! sauvez-vous, mademoiselle Adelaide!«
Von neuem faßte ich die Annie, – die Anna von Rhoda in die Arme, um sie nötigenfalls aus dem Dunkel hervor an das Licht des Tages zu tragen. Aber sie sträubte sich noch heftiger als zuerst.
»Nein, nein, – nicht da hinaus – da hinaus ist es dunkel, da hinaus ist es solche schreckliche Nacht. Vorwärts – weiter – geht weiter, – laßt uns weiter – jenseits des Berges scheint die Sonne, – o bitte nicht in die Finsternis – in das Licht, in das Licht!«
»Laßt uns thun, wie sie will, Herr,« flüsterte der Köhler mir zu. »Es ist vielleicht besser so – das Herz zittert mir im Leibe, – Gottes Hand ist über uns – laßt ihr ihren Willen, – folgt mir und fürchtet Euch nicht, wir finden das Licht drüben wieder!«
Mit welchen Gefühlen, Sever, Sever, folgte ich, Anna von Rhoda führend, der voran leuchtenden Fackel. Sever, die Schauder der allertiefsten Einsamkeit und Verlassenheit, in welcher wir schritten, waren machtlos gegen mich. Was kümmerte es mich, ob der Weg hinauf oder hinab führte, ob er schmal und niedrig, oder hoch und breit war? Was kümmerte mich das geheimnisvolle Wasser, das einmal unter uns dumpf rauschte? Ich fühlte die Hand Ännchens in der meinigen, der Berg konnte kein größeres Geheimnis in seinem Schoße bergen, als das, welches mir eben offenbart worden war. Licht! Licht! Licht!
Ja Licht! Der Begriff Zeit war für mich verschwunden, ich weiß nicht zu sagen, wie lange wir in der Finsternis umher wanderten. Plötzlich stieß unser Führer die Fackel auf den Boden, daß sie erlosch; über uns, wie es schien in unendlicher Ferne, strahlte ein heller Stern.
»Das ist der Tag!« rief der alte Köhler. »Gradaus – empor geht der Weg!«
»Das ist der Tag, Anna von Rhoda!« rief auch ich. »Gesegnet seiner Tag; Ännchen, lieb Ännchen!«
Das Gesicht barg Anna an meiner Brust, und so standen wir atmend eine ganze Weile stumm und blickten zu dem holden Lichte empor, bis sich unsere Augen gewöhnt hatten; dann stiegen