Der Aufbau dieses Buches hat zwei Besonderheiten:
Zum einen: Jedes der sieben Kapitel beginnt mit einer kleinen Geschichte aus dem persönlichen Leben in der Absicht, locker in das Thema einzuführen. Kein bedeutungsschwerer Einstieg also. Obwohl: Irgendwo im Kapitel spiegelt sich die Geschichte dann natürlich wider.
Zum anderen: Jedes Kapitel wird in seinem letzten Teil [5] mit fünf Schlussthesen abgeschlossen. Sie fassen den Hauptgedankengang noch einmal zusammen und bilden das Ergebnis des Kapitelthemas.
7 Kapitel x 5 Thesen ergibt in summa 35 Thesen.
Mit ihnen steht die LEBENSPHILOSOPHIE OHNE GOTT
in ihren einzelnen Grundpositionen sofort zur Verfügung.
Diese 35 Thesen insgesamt sind eine in sich geschlossene
Thesenreihe zum Gesamtthema ATHEISTISCHER GLAUBE.
Sie ist allein aus sich heraus zu verstehen:
Die Teile [5] entlang – eine Crash-Tour für die Eiligen.
Als eigenständigen Teil nenne ich diese 35 Thesen:
ATHEISTISCHES MANIFEST.
Paul Schulz im September 2008
1. Auf dem Weg zum eigenen Selbst
Natur kontra Kultur
[Zur Frage der Fremdbestimmung]
Über Wochen hatte ich sie beobachtet. Ein Amselpaar. Sie hatten ihr Nest an meiner Palisadenwand gebaut, gut zwei Meter hoch, mit Rosen bepflanzt. Das Nest saß etwa 60 – 70 Zentimeter im Abstand zur oberen Kante, in Entfernung zum Boden etwa mannshoch. Unten strich Nachbars Kater vorbei, taxierte immer wieder die Lage, bis er schließlich jedes Interesse verlor. Er hatte keine Chance. Das Vogelpaar hatte klug gebaut.
Die Rosenwand lief von meiner Terrassentür aus direkt in den Garten hinein. Das Nest saß kaum zwei Meter von mir entfernt. Ich hatte von meinem Schreibtisch aus verfolgt, wie das Pärchen ständig hin und her flog, das Nest erst im Rohbau fertigstellte, und es dann weich ausstaffierte. Eines Morgens saß das Weibchen fest im Nest. Der Partner flog weiter mit großer Geduld hin und her, brachte Futter an, fütterte sein Weibchen.
Dann war ich längere Zeit nicht da. Als ich wiederkam, fiel mir sofort auf, dass das Nest leer schien. Bevor ich richtig hingucken konnte, landete der eine Vogel mit Nahrung im Schnabel, stopfte sie ins Nest rein, flog sofort wieder weg. Jetzt sah ich, wie zwei, drei kleine Köpfe ihm gierig die Hälse hinterherreckten. Da landete schon die andere Amsel mit neuer Nahrung, stopfte sie in die Schnäbel. So ging es den Tag über. Immer war einer im An- und Abflug. Immer jieperten die Jungen hinterher.
Je größer die Jungen wurden, – ich sah jetzt ständig ihre Köpfe ungeduldig über dem Nestrand – desto hektischer flogen die Alten. Sie mussten mit dem immer größeren Hunger ihrer Jungen mithalten und immer schneller Nahrung anschleppen. Es war faszinierend, mit welcher Aufopferung das Elternpaar seinen Nachwuchs versorgte. Trotzdem mag eines der Jungen in dieser Phase nicht durchgekommen sein.
Ich war abends spät nach Hause gekommen, saß aber schon früh am Schreibtisch, Sonntag Morgen kurz nach acht, schöne Sonne und friedliche Morgenstille. Blick aufs Nest. Die Alte stand auf dem Nestrand, aber nicht dort, wo sie sonst immer mit dem Futter gelandet war, sondern genau gegenüber. Nichts war zu sehen von den beiden doch sonst schon so frechen Jungen.
Plötzlich hackte die Alte mit ein paar harten Schnabelhieben ins Nest. Gleich noch einmal. Aufgescheucht wälzte sich das eine Junge hoch, plusternd. Die Mutter trippelte ihm auf dem Nestrand nach, hackte auf das Junge ein, bis es unsicher und zitternd auf den Nestrand hüpfte und da oben wackelig auf den Beinen stand. Die Mutter wartete einen Augenblick ganz ruhig, hackte wieder zu, noch eher vorsichtig, wartete wieder, und dann noch zwei-, dreimal kräftig.
Die junge Amsel fiel mehr aus dem Nest, als dass sie flog. Sie stürzte zu Boden, fing verzweifelt an zu flattern, fing sich kurz vor dem Aufprall ab, schaffte einen ersten, einen zweiten Aufschwung über das üppig hohe Blumenfeld und rettete sich etwa 15 Meter entfernt mit letzter Kraft auf den Kirschbaum. Von ihm aus hatten die Eltern wochenlang den Anflug auf das Nest gemacht. Jetzt saß dort ängstlich aufgeplustert das Junge. Entsetzt entdeckte ich den Kater in der anderen Gartenecke.
Die Mutter zurück in Ausgangsposition. Wieder hackte sie ins Nest. Jetzt erhob sich das zweite Junge. Wieder trieb sie ihr Junges vor sich her, ließ ihm einen Augenblick auf dem Nestrand Zeit, hackte dann endgültig zu. Auch dieses fiel eher, als es flog, fing sich flatternd, schaffte den ersten Aufschwung knapp über das halbe Blumenfeld, setzte zum zweiten an, stieg hoch und stürzte ab wie ein Stein. Keine sichtbare Regung mehr. Die Mutter trippelte noch ein paar Schritte um den Nestrand herum bis zu der Stelle, wo sie immer gelandet und gestartet war, hob mit kräftigem Flügelschlag ab und flog weg in die entgegengesetzte Richtung. Das Nest blieb für immer leer.
Lange hat mich dieses Bild bewegt, eigentlich bis heute. Lässt sich aus diesem Naturablauf ein tieferer Sinn ableiten, ein Maßstab setzen? Die Natur – Beispiel wofür?
[1] Bevormundungszwänge durch die Eltern
Natürlich sind Eltern ein einzigartiger Schutzraum für ein heranwachsendes Kind, vorausgesetzt die Eltern verstehen sich auf ihr Kind hin positiv. Handeln sie gegen das Kind, ist das Kind fast hilflos Opfer der Eltern. Die Zahl der Väter und Mütter, die ihre Kinder nicht kindgerecht großziehen, steigt in unserer Gesellschaft stark an1. Zwangsläufig wächst damit auch die Zahl der durch ihre Eltern frühgeschädigten Kinder. Dass Jugendliche häufig schon im frühen Alter mit ihren Eltern brechen, deutet darauf hin, dass vieles von den Eltern aus völlig falsch läuft.
Viele Probleme unserer Gesellschaft werden also allein schon daran sichtbar, wie wenig es Eltern heute gelingt, ihre Kinder bestmöglich ins Leben zu führen. Zwar stehen nach der Geburt alle um den neuen Erdenbürger herum und sind begeistert, dass er da ist. Doch je älter die Kinder werden, desto stärker werden ihre Lebenschancen gerade auch von den Eltern verspielt. Sie unterdrücken deren eigene Willensentwicklung, statt sie immer besser zu qualifizieren. Sie verdrängen Probleme, statt sie gemeinsam zu lösen. Sie reglementieren engstirnig Lebenswünsche, statt sie orientierend zu coachen. Nicht einmal die Eltern selbst bilden die Lobby für das Eigenrecht und die Eigenfähigkeit ihrer eigenen heranwachsenden Kinder.
Spätere Generationen werden sich darüber aufregen, dass in unserer so emanzipierten Gesellschaft das Recht und die Würde des Kindes und damit die Kinder selbst von den Erwachsenen derart missachtet wurden, sind doch die Kinder in unserer Welt der Erwachsenen am meisten schutz- und förderungsbedürftig. Aber Kinder werden in ihrem humanen Recht auf kindgemäße Partnerschaft und Mitverantwortung in unserer Gesellschaft nicht ernst genommen und in ihrer persönlichen Eigenentwicklung rechtlich, gerade auch verfassungsmäßig, nicht ausreichend geschützt und abgesichert.
Als Beispiel für eingeschränkte Entwicklungsfähigkeit des Kindes können selbst Familien gelten, in denen die Eltern meinen, für ihr Kind positiv zu handeln. Positiv, indem sie ihm Zuwendung schenken nicht allein im notwendig Materiellen, sondern auch im menschlichen Miteinander. Diese Eltern werden unter Erklärungsdruck von Erziehungsproblemen mit Sicherheit sagen: Wir wollen doch nur das Beste für unser Kind.
Kaum etwas aber ist auf die Eltern hin so verdächtig wie dieser Satz2. Denn auch die Rechtfertigungen in Familien mit äußerst negativem Konfliktstress für die Kinder enden fast immer mit den Erklärungsversuchen der Eltern: Wir wollten doch nur das Beste für unser Kind. In diesem Satz selbst, genauer, in dem Denken der Eltern, die diesen Satz sagen, könnte das Grundproblem elterlichen Fehlverhaltens liegen, der Grund für das Auseinanderdriften von Eltern und Kindern, denn:
Was