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Da versprach er noch einmal:

      »Es ist kein Abschied. Wir werden beieinander sein ...«

      Als Iskuhi schon eine ganze Weile lang fort war und er sich wieder hinlegen wollte, da fiel ihm die Erinnerung an sie plötzlich schwer aufs Herz. Vor Schwäche hatte sie ja kaum gehn können. Ihre Glieder waren steifgefroren. Ihr gebrechlicher Körper schien kaum mehr vorhanden. War sie nicht krank und hinfällig selbst? Und er hatte sie um Juliettens willen fortgeschickt. Gabriel machte sich Vorwürfe, daß er nicht einmal ein Stück des finsteren tückischen Weges mit Iskuhi gegangen war. Er eilte die halbe Kuppe hinab und rief:

      »Iskuhi! Wo bist du? Wart auf mich!«

      Keine Antwort. Sie war wohl schon zu weit entfernt, um seine Stimme zu hören.

      Der Hüttenbrand knallte und prasselte noch immer laut herüber. Gott weiß, woher das Feuer in dieser Armut die Nahrung hernahm, um bis tief in die Nacht hinein so laut und so geschwätzig zu bleiben. Übrigens hatte es mittlerweile immer mehr von den Bäumen und Büschen ergriffen, die dem Lager zunächst wuchsen. Vielleicht würden die Türken morgen einem zweiten Bergbrand gegenüberstehn. Gabriel lief ein Stück auf den Dreizeltplatz zu. Da er aber Iskuhi weder einholen noch errufen konnte, kehrte er langsam wieder zu den Haubitzen zurück.

      Auf seiner Uhr, die er als einzige Verbindung zur großen Menschheit dort draußen stets mit großer Regelmäßigkeit aufzog, war es noch nicht eins. Er konnte aber nicht mehr schlafen.

      Gegen drei Uhr morgens war der Brand in der Stadtmulde zusammengesunken. Nur mehr ein Blaken und Glühen und dann und wann ein aufschießender Blitz meldeten das Geschehene. In den Bäumen freilich gloste es immer weiter, doch war auch hier dem Feuer schon das Ziel gesetzt. Das Glutecho am Himmel jedoch überdauerte seine Ursache. Der brandige Fleck wich nicht. Der Nebel hatte sich wohl mit dem Widerschein vollgesogen und hielt ihn fest wie eine wirkliche Substanz. Gabriel weckte um diese Stunde Awakian. Der Student hatte sich auch in der Nähe der Haubitzen hingeworfen. Er schlief so fest, daß ihn Bagradian lange vergeblich schüttelte. Man erkennt die Güte eines Menschen daran, wie er sich verhält, wenn er aus dem Schlaf gerissen wird. Awakian machte ein paar abwehrende Bewegungen, dann hob er verwirrt den Kopf. Sogleich aber, da er den Patron fühlte, sprang er auf und lächelte erschrocken in die Finsternis, als müsse er für seinen tiefen Schlaf um Entschuldigung bitten. Seine Bereitwilligkeit jedoch war stärker als sein Erwachtsein. Gabriel reichte ihm die Flasche, in der er noch einen Rest Kognak hatte:

      »Hier, trinken Sie, Awakian! ... Nur Mut! Ich brauche Sie jetzt. Wir werden keine Zeit mehr haben, miteinander zu sprechen ...«

      Sie setzten sich mit dem Rücken zur Stadtmulde, so daß sie undeutlich die Posten der neuen Verteidigungslinie beobachten konnten. Einige von diesen Männern trugen abgeblendete Laternen. Träge bewegten sich diese Lichträtsel hin und her. Die Windstille hielt unverändert an:

      »Ich habe nicht geschlafen, keinen Augenblick«, gestand Gabriel, »habe an vieles zu denken gehabt, trotz dieser Schädelbeule da, die sich verdammt bemerkbar macht.«

      »Schade! Sie hätten schlafen müssen, Effendi ...«

      »Wozu? Der Tag, den wir lange genug hinausgeschoben haben, ist da. Ja, ich wollte Ihnen sagen, Awakian, daß die Leute es Ihnen zum großen Teil mit verdanken, wenn die Sache so lange gedauert hat. Wir haben glänzend zusammen gearbeitet. Sie sind der verläßlichste Mensch, den ich kenne. Verzeihn Sie das dumme Wort. Sie sind natürlich mehr ...«

      Awakian machte eine bestürzte Geste. Gabriel aber legte ihm die Hand aufs Knie:

      »Einmal muß man schließlich offen zueinander sein. Und wann sonst?«

      »Die Hunde haben alles vernichtet«, klagte der Student, hauptsächlich aus Verlegenheit, doch Bagradian schob das Vergangene von sich:

      »Daran brauchen wir nicht mehr zu denken. Einmal mußte es doch kommen ... Und das Erwartete auf dieser Welt kommt eben meist auf unerwartete Art ... Aber darüber will ich gar nicht sprechen, sondern ... Hören Sie, Awakian, ich hatte da vorhin das sichere Gefühl, daß für Sie alles gut ausgehn wird. Warum, das kann ich Ihnen selbst nicht sagen. Wahrscheinlich ist es nur ein Unsinn, aber ich hab Sie wieder in Paris gesehn, Awakian, weiß der Teufel, wie Sie dorthin gekommen sind, das heißt, wie Sie dorthin kommen werden ...«

      Die blasse, zurückweichende Stirn des Hauslehrers schimmerte in der Dunkelheit:

      »Es ist ganz bestimmt ein Unsinn, verzeihen Sie, Gabriel Bagradian. Wie es für Sie ausgehn wird, so wird es für mich ausgehn, etwas andres kann's doch nicht geben ...«

      »Warum nicht? ... Natürlich haben Sie vernunftgemäß recht, es gibt nichts andres. Aber nehmen wir einmal das Unsinnige an, nehmen wir an, Sie entkommen auf irgendeine Weise ...«

      Gabriel Bagradian unterbrach sich und starrte gespannt ins Leere, als könnte er dort Awakians glückhafte Zukunft ziemlich genau erkennen. Dann zog er seine Brieftasche heraus und legte sie neben sich:

      »Ich wollte Sie gar nicht hierbehalten, sondern wieder in die Nordstellung hinausschicken. Wenn Sie bei Nurhan sind, bin ich ruhiger. Aber das alles ist mir jetzt ziemlich gleichgültig. Sie sollen mir einen wichtigeren Dienst leisten, Awakian! Bleiben Sie bei den Frauen, ich meine bei meiner Frau und bei Fräulein Tomasian. Es hängt mit dem guten Vorgefühl zusammen, das ich Ihretwegen habe. Vielleicht sind Sie ein Glücksbringer. Tun Sie, was Sie können! Vor allem, sorgen Sie bitte dafür, daß die Zelte rechtzeitig, sofort bei Sonnenaufgang, geräumt werden! Sorgen Sie dafür, daß Madame so vorsichtig wie möglich den Steilweg hinuntergetragen wird. Finden Sie jemand andern als Kework! An seine Hände mag ich nicht denken. Nehmen Sie Kristaphor und Missak ...«

      Samuel Awakian protestierte. In dem letzten Kampf morgen sei er notwendiger denn je. Die wichtigsten Fragen müßten noch gelöst werden. Der gewissenhafte Adjutant begann hastig auf die hundert Pflichten hinzuweisen, die seiner warteten. Der Befehlshaber jedoch lehnte es ungeduldig ab, sich damit zu beschäftigen:

      »Nein, nein! Man kann nichts mehr vorbereiten. Überlassen Sie alles mir. Ich brauche Sie hier nicht mehr. Ihr Dienst ist hiermit zu Ende, Awakian. Es bleibt bei meiner Bitte, meinem Wunsch.«

      Er händigte Awakian einen versiegelten Brief ein:

      »Ich habe Ihnen mein Testament übergeben, Freund. Sie behalten es so lange, bis Madame wieder gesund ist, Sie verstehn mich. Ich setze immer den Unsinn meines Vorgefühls für Sie voraus. Nicht wahr? Und hier ist auch noch ein Scheck auf den Crédit Lyonnais. Ich weiß gar nicht, wieviel Gehalt ich Ihnen noch schuldig bin ... Sie haben natürlich vollkommen recht, wenn Sie mich wie einen Irren ansehn. In unserer Lage ist eine derartige Abrechnung äußerst absurd. Ich bin ein Pedant. Vielleicht aber ist das Ganze ein Aberglauben, und ich zaubre, begreifen Sie das? Ich zaubre ein bißchen.«

      Bagradian sprang lachend auf. Er machte jetzt einen frischen und zuversichtlichen Eindruck:

      »Falls ich Sie überlebe, gilt weder das Testament noch der Scheck ... Also nehmen Sie sich zusammen ...«

      Sein Lachen klang angestrengt. Awakian hielt die Papiere weit vor sich hin und begann noch einmal mit seinem Widerspruch. Jetzt aber fuhr ihn Gabriel zornig an:

      »Gehn Sie jetzt, ich bitte Sie, mir wird dann leichter sein!«

      Die letzten Stunden vor dem Morgen dehnten sich unerträglich. Mit zusammengebissenen Zähnen durchlauerte Bagradian die zergehende Finsternis. Im ersten Zwielicht stellte er das Geschütz auf die Südbastion ein. Der dicke Morgennebel dieses windstillen Tages zerriß lange nicht. Ganz plötzlich war eine rote zornige Sonne da. Gabriel kniete, wie es sich gehört, rechts von der ersten Haubitze und zog inbrünstig die Zündschnur ab. Der furchtbare Knall, das wilde Zurückfahren der Lafette, Feuer und Dampf, das Verheulen in der Luft, die kristallharten Sekunden bis zum Einschlag der Granate im Ziel, dies alles war wie Erlösung. Mit dem Haubitzschuß entlud sich zugleich die unermeßliche Spannung in der Seele des Feuerwerkers. Aus welchem Grunde begann der umsichtige Feldherr des Damlajik seine unersetzlichen Granaten zu verpulvern, noch ehe der türkische Angriff ins Rollen gekommen war? Wollte er den Feind wecken oder schrecken? Wollte er den Eigenen Mut machen? Hoffte er, mit