Die Ökonomie der Hexerei. David Signer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: David Signer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
Год издания: 0
isbn: 9783779505068
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noch hinzuzufügen, dass meine Forschungsarbeit im Dorf für die verbliebene Zeit fast unmöglich geworden war durch dieses Zerwürfnis mit den Kollegen.

      Unser guter Europäer: Er wollte kein Rassist sein; er wollte nicht einer von denen sein, die nach Afrika reisen, mit der Erstbesten ins Bett gehen und ihr dafür ein Goldkettchen schenken. In den Augen seiner afrikanischen Kollegen war er aber unanständig; gerade weil er so anständig sein wollte.

      Die Geschichte hätte übrigens noch weitergehen können. Wäre er mit ihr ins Bett gegangen, hätte er dann vielleicht pflichtbewusst rechtzeitig sein Präservativ gezückt, im guten Gefühl, kein rücksichtsloser Macho zu sein, sondern auch an die Frau zu denken. Es hätte ihm passieren können, dass die Frau gesagt hätte: „Ich schlafe nur ohne Pariser mit dir.“

      „Warum das?“

      „Weil ich ein Kind von dir will.“

      „Warum?“

      „Weil ich dich liebe.“

      „Du kennst mich ja kaum!“

      „Ich möchte ein Kind von dir.“

      „Ich reise in drei Wochen zurück.“

      „Dann bleibt das Kind hier und du kommst es von Zeit zu Zeit besuchen.“

      „Wird man nicht auf dich herabschauen? Wird man nicht sagen: Die hat es mit einem durchreisenden Weißen getrieben, er hat sie sitzen lassen – das hat sie nun davon?“

      „Nein, man wird stolz sein. Man wird sagen: Sie ist schön, sie ist unwiderstehlich, sie hat ein Kind vom reichen Weißen bekommen. Und vielleicht sogar: Er liebt sie, er schickt ihr viel Geld.“29

      Der Agronomiestudent, er hat keine Übertretung begangen. Er hatte sich nichts vorzuwerfen, als er um Mitternacht nach Hause ging. Das hieß aber nicht, dass er einfach aus dem System entschwand. Für sich selber hatte er sich ehrenvoll aus der Affäre gezogen, hatte verzichtet, aber dafür die Moral auf seiner Seite. Für die andern nicht. In ihrer Übertragung, wenn man so will, in dem, was sie von ihrer Welt auf ihn übertrugen, war er einfach ein Mann, der ein Geschenk ausgeschlagen, der einen Affront begangen hatte. So leicht ließen sie ihn nicht davonkommen. Sie ließen es ihn spüren.

      Aus ihrer Sicht hatte er sehr wohl eine Übertretung begangen. Er war geizig. Er war stark, reich, weiß, gebildet – aber er hatte nichts von sich gegeben, erst recht hatte er sich selbst nicht gegeben. Er hatte sich nicht zum Objekt machen lassen, er ließ sich nicht verführen. Wir würden sagen: Er blieb er selber und er blieb sich selber treu. Sie würden sagen: Er hat, aber er gibt nicht; das ist die Art Leute, die verhext werden, das ist die Art Stärke, die Neid weckt, weil die andern nichts davon haben. Er ist nicht wie der Bischof.

      Sie ließen ihn das spüren, sie machten ihn am Ende doch zu ihrem Objekt. Und in diesem Sinne fand doch noch so etwas wie eine Übertretung in seinem Leben statt. Er hatte zwar keine Grenze übertreten, aber durch die Übertragungen auf ihn änderte sich die Sicht, die er von sich und den andern hatte, die Grenze verschob sich gewissermaßen unter seiner Füßen, ohne dass er sich vom Ort bewegte, und in diesem Sinne kam es doch noch zu einem Übertritt.

      Wir sprachen lange über diese und ähnliche Geschichten, die uns verwirrt zurückgelassen hatten, und am Ende unseres Gesprächs hatte sich für uns beide etwas verändert; Grenzen hatten sich verschoben, Werte wurden umgewertet, Realitäten erschienen im Kontrast mit andern Realitäten plötzlich als Konstrukte, die dekonstruiert werden konnten.

      Es gibt einen einfachen Grund, warum es zwölf Jahre brauchte, bis ich fühlte, wie wichtig die Geschichte mit dem Bischof war. Ich hatte damals zwar fast ein Jahr in Ostafrika verbracht, aber es war mir gelungen, keine Beziehungen einzugehen, in denen wirklich etwas auf dem Spiel stand. Dieses Mal war es anders. Es waren Freundschaften entstanden, die mir tatsächlich etwas bedeuteten, die ich nicht gefährden wollte, deren Verlust mir weh getan hätte. Angelangt an jenem Punkt, an dem es kein leichtfertiges – „mir nichts, dir nichts“ – Zurück mehr gibt, hatte ich die Kontrolle aufgegeben, die man in unverbindlichen Kontakten behalten kann. Ich hatte mich ausgeliefert, ich ließ mit mir machen. Und das führte dazu, dass die Leute etwas von mir wollten. Ich hatte Geld, Prestige, Bildung, also wollte, wer mit mir verbunden war, daran teilhaben. Lange dachte ich: Wie komme ich aus dieser Rolle des Weißen heraus, immer werde ich als der reiche Weiße angegangen, als Patron, als Geldsack, nicht als Individuum. Ich träumte davon, irgendwann diese Art Beziehungen überwinden zu können und unter Afrikanern als einer der ihren aufgenommen zu werden – und merkte lange nicht, dass ich, gerade als Patron oder als grand-frère, schon lange ihrem System einverleibt worden war. Ich erlebte an mir selbst die Schwierigkeiten – nicht des Touristen, sondern des arrivierten Afrikaners, der es zu etwas gebracht hat, der sich vielleicht in der Metropole Bildung und eine Stellung angeeignet hat und sich nun kaum mehr ins Dorf zurück traut, weil er dort mit all den Erwartungen konfrontiert wird, die man an den grand-frère hat. Und die sich, falls sie nicht befriedigt werden, rächen. Denn jemand, der hat, aber nicht gibt, zieht Neid und Verhexung an.

      Der Agronomiestudent hatte das an seinem eigenen Leib erfahren. Er war nicht mehr der Beobachter von außen, sondern er wurde zu einem Element des Systems gemacht und erfuhr so etwas über das System an sich selbst. Eine Art Verhexung, die ihm an seiner Lebenskraft zehrte, seine Arbeit unmöglich machte, ihm weh tat, ihn verwirrte und isolierte. Aber indem er das Erlebte als typisch für die afrikanischen Beziehungen erkannte, erfuhr er vielleicht etwas Zentraleres über Afrika, als wenn er seine Studien über die Jamsknollen ungestört hätte zu Ende führen können.

      Ich möchte eine dritte Begebenheit erzählen, die sich auch mit jemandem abspielte, der wichtig, unverzichtbar für mich war; so wie die afrikanischen Kollegen für den Studenten. Denn erst dann spielt sich wahrscheinlich die Übertragung in einer Art ab, die erlebte Erkenntnis produziert. Dann erst ist es nicht mehr nur ein „Spielen“, sondern steht etwas auf dem Spiel.

      Coulibaly ist, wie bereits beschrieben, ein Féticheur, das heißt ein traditioneller Heiler, der mit einem Fetisch arbeitet, einer Figur, die einen Geist beherbergt. Coulibaly sorgt für diesen Geist, er gibt ihm Nahrung, in gewisser Hinsicht eine Wohnstatt, er befolgt gewisse Tabus – er vermeidet zum Beispiel den Kontakt mit Wasser, das der Geist nicht mag. Im Gegenzug hilft der Geist Coulibaly bei seinen Wahrsagungen, Diagnosen, Zukunftsvoraussagen, bei der Medikamentenherstellung und in seinem Alltag.

      Ich kenne Coulibaly seit einigen Jahren. Paradoxerweise könnte man sagen: Je besser wir uns kennen, umso fremder werden wir uns. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Bewegung markierte eine Reise, die wir zusammen in sein Heimatdorf in Mali unternahmen. Wir besuchten dort seinen Vater, von dem er seine Begabung geerbt und andere Heiler in der Umgebung, bei denen er seine Kenntnisse erweitert hat. Die Region dort nennt sich Bélédougou und ist über die Landesgrenzen hinaus berühmt-berüchtigt. „Ils sont trop forts là-bas, les féticheurs“, sagt man; und Coulibaly bemerkte mit einem gewissen Stolz: „Il n’y a ni de musulmans ni de chrétiens là-bas.“ Er sagte das im selben selbstbewussten Tonfall, wie wenn er jemandem erklärte, dass er nie eine Schule von innen gesehen hat, keinen Tag.

      Dass die Reise zu diesen seinen Ursprüngen ein bisschen anstrengend für mich war, lag jedoch nicht primär an der Kirchen- und Schullosigkeit dieser Region. Die Gründe waren mehr ökonomischer Natur, und zwar ökonomisch im weitesten Sinn als das, was die Grenzziehung und den Austausch zwischen dem Eigenen und dem Nicht-Eigenen betrifft. Coulibaly war einem Erwartungsdruck ausgesetzt: Der Migrant, der aus der Fremde zurückkommt, muss zuhause zeigen, dass er es zu etwas gebracht hat. Er nimmt Statussymbole mit: So lief er beispielsweise die ganze Zeit mit meinem Walkman durch die Dörfer, aber auch ich selbst als weißer Freund war in gewisser Hinsicht ein prestigeträchtiges Accessoire oder Mitbringsel. Daneben waren natürlich Geschenke zu machen: Reis, Kaffee, Seife, Mayonnaise und Batterien für die Familie und die Verwandten, Kolanüsse und Alkohol für die Dorfältesten, Geld für die diversen Féticheurs. Ich wusste von Coulibaly und von andern, wie kostspielig, ja ruinös