Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde. Оскар Уайльд. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Оскар Уайльд
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027225644
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sie zu ihrer Loge mit einer gewissen prahlerischen Demut, die feisten, juwelenbedeckten Hände hastig bewegend und sich mit der Stimme beinahe überschlagend. Dorian verabscheute ihn mehr als je. Er hatte das Gefühl, als sei er gekommen, um Miranda zu besuchen und Caliban habe ihn empfangen. Dagegen hatte Lord Henry etwas für ihn übrig. Wenigstens erklärte er, daß er ihm gefiele, bestand darauf, ihm die Hand zu schütteln und versicherte ihm, er sei stolz darauf, einen Mann kennenzulernen, der ein bedeutendes Genie entdeckt habe und an einem Dichter bankerott geworden sei. Hallward unterhielt sich damit, die Gestalten im Stehparterre zu beobachten. Die Hitze war äußerst drückend, und der riesige Sonnenkronleuchter flammte wie eine gigantische Dahlie mit Blättern von gelbem Feuer. Die jungen Leute auf der Galerie hatten Röcke und Westen ausgezogen und sie über die Brüstung gehängt. Sie riefen einander quer über das ganze Theater zu und fütterten die grell gekleideten Mädchen neben sich mit Orangen. Ein paar Weiber unten im Stehparterre lachten. Ihre Stimmen waren schrecklich schrill und unangenehm. Vom Büfett her hörte man Flaschen entkorken.

      »Was für ein sonderbarer Platz, um seine Göttin zu finden!« sagte Lord Henry.

      »Ja«, erwiderte Dorian Gray. »Hier habe ich sie gefunden, und sie ist göttlicher als alles Lebendige. Wenn sie spielt, wirst du alles vergessen. Diese gewöhnlichen rohen Leute mit ihren alltäglichen Gesichtern und brutalen Bewegungen werden ganz verwandelt, sobald sie auf der Bühne steht. Sie sitzen stumm da und beobachten sie. Sie weinen und lachen, wenn sie es will. Sie hält sie in Stimmung, wie man es mit einer Geige tut. Sie veredelt sie, und man spürt, daß sie vom selben Fleisch und Blut sind wie man selbst.«

      »Vom selben Fleisch und Blut wie man selbst? Oh, ich hoffe nicht!« rief Lord Henry, der die Leute auf der Galerie mit seinem Opernglas musterte.

      »Höre nicht auf ihn, Dorian!« sagte der Maler. »Ich begreife, was du meinst, und ich glaube an dies Mädchen. Der Mensch, den du liebst, muß wunderbar sein, und jedes Mädchen, das die von dir geschilderte Wirkung erzielt, muß fein und edel sein. Seine Mitmenschen veredeln – das verlohnt der Mühe. Wenn dies Mädchen die beseelen kann, die seelenlos gelebt haben, wenn sie in Menschen, deren Dasein schmutzig und häßlich war, einen Sinn für Schönheit wecken kann, wenn sie sie aus ihrem Eigennutze losreißen und ihnen Tränen um Sorgen entlocken kann, die nicht ihre eigenen sind, dann ist sie deiner Verehrung wert, dann ist sie der Verehrung der ganzen Welt wert. Solche Heirat ist ganz das Rechte. Ich dachte zuerst nicht so, aber jetzt gebe ich es zu. Die Götter haben Sibyl Vane für dich geschaffen. Ohne sie wärst du nur unvollständig gewesen.«

      »Danke, Basil«, antwortete Dorian Gran und drückte ihm die Hand. »Ich wußte, daß du mich verstehst. Harry ist ein Zyniker, er erschreckt mich. Aber da kommt das Orchester. Es ist furchtbar, aber es dauert nur knappe fünf Minuten. Dann geht der Vorhang auf und du erblickst ein Mädchen, dem ich mein ganzes Leben schenken will, dem ich alles überantwortet habe, was gut ist in mir.«

      Eine Viertelstunde später betrat Sibyl Vane unter einem geräuschvollen Beifallssturm die Bühne. Ja, sie war wirklich entzückend – eins der entzückendsten Geschöpfe, dachte Lord Henry, die er je gesehen hatte. Es lag etwas von einem Reh in ihrer scheuen Grazie und ihren erstaunten Augen. Ein schwaches Erröten wie der Widerschein einer Rose in einem silbernen Spiegel trat auf ihre Wangen, als sie das überfüllte und begeisterte Haus erblickte. Sie trat ein paar Schritte zurück, und ihre Lippen schienen zu zittern. Basil Hallward sprang auf und begann zu klatschen. Bewegungslos, und wie in tiefem Traume, saß Dorian Gray da und sah sie an. Lord Henry starrte unverwandt durch sein Glas und murmelte: »Entzückend! Entzückend!«

      Die Szene stellte die Halle in Capulets Hause dar, und Romeo war in seinem Pilgerkleid mit Mercutio und seinen anderen Freunden aufgetreten. Die Musik präludierte, so gut sie konnte, mit ein paar Akkorden, und der Tanz fing an. Mitten in dem Gewimmel von ungeschickten, schäbig gekleideten Schauspielern bewegte sich Sibyl Vane wie ein Geschöpf aus einer höheren Welt. Ihr Körper schwebte im Tanze wie eine Blume auf dem Wasser. Die Linien ihres Halses glichen denen einer weißen Lilie. Ihre Hände schienen aus kühlem Elfenbein zu sein.

      Und doch schien sie von seltsamer Abwesenheit. Sie zeigte kein Zeichen der Freude, während ihr Auge auf Romeo ruhte. Die wenigen Worte, die sie zu sprechen hatte –

      Nein, Pilger, lege nichts der Hand zuschulden

      Für ihren sittsam-andachtsvollen Gruß;

      Der Heiligen Rechte darf Berührung dulden,

      Und Hand in Hand ist frommer Waller Kuß –

      mit dem kurzen Dialog, der folgt, sprach sie in einem ganz gekünstelten Tone. Die Stimme klang wundervoll, aber der Ton ganz verfehlt. Er traf die Stimmungsfarbe nicht. Er nahm den Versen alles Leben. Er machte die Leidenschaft unwahr.

      Dorian Gray erbleichte, als er es hörte. Er war verlegen und erschreckt. Seine beiden Freunde wagten nicht, ihm etwas zu sagen. Sie schien ja ganz talentlos zu sein. Sie waren furchtbar enttäuscht.

      Aber sie wußten, daß der wahre Prüfstein für jede Julia die Balkonszene im zweiten Akt sei. Darauf warteten sie. Wenn sie hier versagte, war nichts an ihr.

      Sie sah reizend aus, als sie im Mondschein auftrat. Das konnte niemand leugnen. Aber das Theatralische ihres Spiels war unerträglich und wurde im Verlauf immer ärger. Ihre Gesten waren lächerlich gekünstelt. Sie übertrieb das Pathos von allem, was sie zu sagen hatte. Die wundervollen Verse –

      Du weißt, die Nacht verschleiert mein Gesicht,

      Sonst färbte Mädchenröte meine Wangen

      Um das, was du vorhin mich sagen hörtest –

      deklamierte sie mit der peinlichen Genauigkeit eines Schulmädchens, das einen mittelmäßigen Vortragslehrer in der Schule gehabt hat. Als sie sich über den Balkon lehnte und zu den herrlichen Versen kam –

      Obwohl ich dein mich freue,

      Freu' ich mich nicht des Bundes dieser Nacht:

      Er ist zu rasch, zu unbedacht, zu plötzlich,

      Gleicht allzusehr dem Blitz, der schon vorbei,

      Noch eh' man sagen kann: es blitzt. – Schlaf süß!

      Mag warmer Sommerhauch die Liebesknospe

      Zur Blume bis zum Wiedersehn entfalten –

      sprach sie die Worte, als enthielten sie keinerlei Sinn für sie. Es war nicht Aufregung. Nein, weit entfernt davon, erregt zu sein, schien sie ganz mit sich zufrieden. Es war einfach schlechte Kunst. Es war ein richtiger Abfall.

      Selbst das gewöhnliche, ungebildete Publikum auf Stehplatz und Galerie verlor sein Interesse am Stück. Man wurde unruhig und begann laut zu sprechen und zu zischen. Der jüdische Direktor, der im Hintergründe des ersten Ranges stand, stampfte mit den Füßen und fluchte vor Wut. Einzig und allein unbewegt war das Mädchen selbst.

      Als der zweite Akt vorüber war, brach ein Sturm von Zischen los, und Lord Henry stand von seinem Stuhl auf und zog seinen Rock an. »Sie ist wunderschön, Dorian,« sagte er, »aber sie kann nicht spielen. Wir wollen gehen.«

      »Ich will das Stück zu Ende sehen«, antwortete der junge Mann mit harter, bitterer Stimme. »Es tut mir äußerst leid, daß ich dich veranlaßt habe, einen Abend zu vergeuden, Harry. Ich muß mich bei euch beiden entschuldigen.«

      »Mein lieber Dorian, ich glaube, Miß Vane war krank«, unterbrach ihn Hallward. »Wir wollen an einem anderen Abend wiederkommen.«

      »Ich wünschte, sie wäre krank«, erwiderte er. »Aber ich glaube, sie hat nur kein Gefühl und ist kalt. Sie ist völlig verändert. Gestern abend war sie eine große Künstlerin. Heute abend ist sie nur eine gewöhnliche, mittelmäßige Schauspielerin.«

      »Sprich nicht so über jemand, den du liebst, Dorian. Liebe ist etwas viel Wunderbareres als Kunst.«

      »Es sind beides nur Formen der Nachahmung«, bemerkte Lord Henry. »Aber wir wollen gehen. Dorian, du darfst nicht länger hier bleiben. Es schadet der Moral, schlechte Schauspielkunst zu sehen. Ich glaube übrigens nicht, daß du deine Frau auftreten