Wie er nun weinend zu seinem Vater kam und dieser ihn fragte, was vorgefallen sei, erzählte er dem Vater die Vorgänge. Daraufhin sprach der Exilarch den Bann über R. Saadia aus und setzte an seine Stelle R. Joseph ben Jakob zum Oberhaupt der Hochschule von Sura ein. Aber auch R. Saadia tat seinerseits den Exilarchen in Bann und schickte Hassan, den Bruder des David ben Sakkai, d. i. Josija, an Stelle seines Bruders die Exilarchenwürde zu bekleiden. Aber bereits nach drei Jahren starb dieser, der Streit hielt jedoch noch sieben Jahre an und wurde immer heftiger …
(Da gelang es endlich einem edelgesinnten und hochangesehenen Manne, Kaschar ben Aaron, dem Schwiegervater des Kaleb ben Siragru, den Frieden zwischen dem Exilarchen und dem Gaon Saadia herzustellen. Nachdem beide sich zur Versöhnung bereitgefunden hatten, schlossen sie am Tage des Fastens Esther in seinem Hause einen Bund des Friedens. Nun wurde durch das Los entschieden, wer bei dem andern das Purimmahl einnehmen sollte. Das Los fiel auf Saadia; er speiste beim Exilarchen und blieb nach Purim noch zwei weitere Tage bei ihm zu Gast.)
Als der Exilarch starb, wollte man seinen Sohn zu seinem Nachfolger machen, dieser aber starb schon sieben Monate darauf und hinterließ einen einzigen zwölfjährigen Knaben. Diesen nahm R. Saadia zu sich ins Haus und ließ ihn unterrichten und erziehen. Erst der Tod des Meisters trennte ihn von dem Enkel des früheren Exilarchen.
b) Aus seinen Werken.
»Emunot wědeot« (Glaubenslehren und Vernunftansichten). (32)
Vernunftgebot und Offenbarungsgesetz (Traktat III).
Die auf die Erkenntnis und Verehrung Gottes bezüglichen Gebote sind ebenso wie die Gesetze der Moral, nach ihrem Wesen betrachtet, als Vernunftgebote anzusehen, d. h. als Pflichten, zu deren Erkenntnis die menschliche Vernunft bei fortschreitender Entwicklung auch ohne Offenbarung hätte gelangen müssen. Allein tatsächlich verdankt der Mensch die Erkenntnis dieser Pflichten einer ihm durch die Propheten vermittelten Offenbarung, deren er auch trotz der Vernunftgemäßheit jener Gebote gar nicht entraten konnte, weil er sonst in der langen Zeit, deren es bedurft hätte, bis er durch die fortschreitende Entwicklung seines Geistes zur Erkenntnis derselben gelangt wäre, jeder Richtschnur für sein religiöses und sittliches Verhalten würde entbehrt haben. Die bei Weitem überwiegende Mehrzahl der Menschen aber würde ohne göttliche Offenbarung vielleicht niemals zur Erkenntnis jener Gebote gelangt sein, da es ihr entweder an der geistigen Fähigkeit oder an der Energie des Denkens gebricht, durch die wir allein imstande sind, uns diese Erkenntnis anzueignen und sie vor jeder Anfechtung und Trübung zu bewahren. Nachdem uns aber Gott durch seine Propheten diese Gebote mitgeteilt und uns zu deren Erfüllung verpflichtet hat, sind wir allerdings imstande, uns von ihrer Notwendigkeit und Unerlässlichkeit auch vermittelst unserer Vernunfterkenntnis zu überzeugen.
Die Gebote, deren Verbindlichkeit die menschliche Vernunft uns lehrt, können in drei Klassen eingeteilt werden. Erstens macht die Vernunft es dem Menschen zur Pflicht, sich für empfangene Wohltaten erkenntlich zu erweisen entweder durch Gegenleistungen, wenn der Wohltäter deren bedarf, oder, wo dies nicht der Fall ist, dadurch, dass er seinem Wohltäter gegenüber dem Gefühl der Dankbarkeit Ausdruck verleiht. Wenden wir nun diesen Grundsatz auf das Verhältnis des Menschen zu Gott an, so ergibt sich daraus die Verbindlichkeit aller derjenigen Gebote, die dem Menschen die Erkenntnis und Anbetung Gottes, die Demütigung vor Gott und die Dankbarkeit gegen Gott zur Pflicht machen. Zweitens: Die Vernunft lehrt uns, dass ein Weiser seinen Untergebenen nicht gestatten werde, ihn zu beschimpfen oder zu verfluchen; demgemäß muss auch Gott, obschon ihm selber keinerlei Schaden daraus erwachsen würde, ein solches Verhalten seinen Dienern untersagen. Darauf gründen sich die Verbote: Gott einen Genossen beizulegen, bei seinem Namen falsch zu schwören und ihm unangemessene Eigenschaften zuzuschreiben. Drittens erkennt es die Vernunft als notwendig an, die Geschöpfe davon zurückzuhalten, dass sie einander auf irgendwelche Weise Unrecht tun oder schädigen; mithin konnte dies auch von der göttlichen Weisheit nicht gestattet werden. Darauf gründen sich die Gebote: Recht zu tun, Wahrheit und Gerechtigkeit zu üben, die Verbote des Mordes, des Ehebruchs und des Diebstahls, die dem Gläubigen auferlegte Verpflichtung, seinen Bruder wie sich selbst zu lieben u. dgl. m. Alle diese Ge- und Verbote sind zwar durch die Schrift verordnet worden, aber auch die uns von Gott eingepflanzte Vernunfterkenntnis lässt uns die Übung des Gebotenen als lobenswert, des Verbotenen als schimpflich erscheinen.
Zu diesen drei Klassen von Geboten kommt aber noch eine vierte hinzu, deren Gebote im Unterschied von den Vernunftgeboten Offenbarungsgebote genannt werden; das sind solche Gebote, die an und für sich unserer Vernunft als ganz gleichgültig erscheinen, weder als lobenswert noch als schimpflich, deren Verbindlichkeit mithin nicht in ihrem Wesen, sondern einzig und allein in einer Offenbarung begründet ist. Allein obschon unsere Vernunft den Grund dieser Gebote nicht einzusehen vermag, so dürfen sie doch keineswegs als vernunftwidrig bezeichnet werden, denn es steht mit unserer Vernunft durchaus nicht im Widerspruch, dass die göttliche Weisheit uns gewisse Pflichten auferlege, um uns für deren Erfüllung einen besonderen Lohn zu gewähren; das bringt uns Gewinn, Gott aber keinen Schaden. Die Offenbarung dieser Gebote kann aber auch noch einen anderen Zweck haben. Wenn wir uns nämlich diesen Geboten unterwerfen, weil wir in ihnen den Ausdruck des göttlichen Willens verehren, so üben wir damit eine Art von Gottesdienst. Insofern könnten diese Gebote auch der ersten Klasse der Vernunftgebote, d. i. den Pflichten der Gottesverehrung, zugeteilt werden. Im Übrigen aber wird eine tiefere Erforschung auch bei diesen Geboten irgendwelchen Nutzen