Georg Hermann
Die deutsche Karikatur im 19. Jahrhundert
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021
EAN 4064066112837
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.
Es soll in Folgendem der Versuch gemacht werden, einen Überblick zu geben über die wichtigsten Erscheinungen der deutschen politischen und sozialen Karikatur, sowie unserer humoristischen Zeichnung im neunzehnten Jahrhundert.
Und wenn es vielleicht sich ermöglichen ließe, zu erkennen, welche Bahnen diese Schaffensart technisch, geistig, künstlerisch durchlaufen hat; wenn es gelingen sollte, hie und da den Kontakt mit der Zeitgeschichte zu bestimmen; wenn es glücken sollte, einmal die Rolle zu umschreiben, welche die Karikatur im Leben einer Epoche gespielt hat, glücken sollte, zu verstehen, wie in ihr die feinen Äußerungen des gesellschaftlichen Beieinander, der Geistes- und Gemütskultur Deutschlands Widerhall gefunden haben, und wie in ihr das zu festen Formen erstarrte, was sonst der rasche Tag hinweggerafft hätte, — ich meine all das, was neben der Geschichte ist, und eben zu zart, zu flüchtig, zu wechselnd, als daß es Klio mit ehernem Griffel in ihre ehernen Tafeln ritzen könnte ... wenn es glücken sollte, einem oder dem andern dieser Dinge nur annähernd gerecht zu werden, so will der Verfasser mehr denn zufrieden sein.
Aber zu guter Stunde sei es gesagt, um den Ruhm, ein brauchbares Nachschlagebuch zu schaffen, welches nur alles irgendwie wissenswerte Material enthielte, geizt er nicht. Der nach allen Seiten überquellende Reichtum des Stoffes ließe sich auch nicht in einem Büchelchen, wie dem vorliegenden — und sei es selbst in Gestalt der nüchternsten Nomenclatur — bändigen. Es kann sich darin nur um einen flüchtigen Überblick, einen kleinen Spaziergang durch dieses interessante Gebiet handeln.
So wird zwar das Werkchen des streng wissenschaftlichen Charakters entbehren, aber vielleicht wird es dennoch Freunde finden; allein schon deshalb, weil es sich mit einem Stoff beschäftigt, der in den letzten Jahren mehr und mehr in den Vordergrund der künstlerischen Anteilnahme gerückt ist, und der uns heute reizvoller und schätzenswerter, als je, erscheint.
Ich bin in meinen Arbeiten in freundlicher Weise durch Bibliotheken, Museen, Verleger, Sammler unterstützt worden und sage hiermit allen — besonders aber den Herren Braun und Schneider, Bassermann (München), Herrn A. Hofmann und Emanuel Mai (Berlin) — meinen Dank.
Berlin, im Mai 1900.
Georg Hermann.
Nach einer farbigen Lithographie von L. Baltz (mutmaßlich Pseudonym für Löffler). Um 1855. (Sammlung v. Lipperheide.)
Abb. 1. Daniel Chodowiecki: Leiste mit Karikaturen. (Originalgröße.)
D
ie einzige Arbeit, welche bisher die gesamte deutsche Karikatur im Zusammenhange darzustellen sich bemüht, hat den französischen Kenner dieser Materie J. Grand-Carteret zum Verfasser. Sie erschien in Paris 1885 und beleuchtet infolgedessen noch nicht die letzte, so interessante Phase der deutschen Karikatur, welche sich fast wie absichtlich in Gegensatz zu der jeder früheren Epoche setzt. Das Werk Grand-Carterets hat den großen Vorzug, eine — wenn auch noch lückenhafte — so doch überaus fleißige und dankenswerte Zusammenstellung des Materials zu liefern und durch die biographischen Notizen über die Künstler, sowie durch einen gewissenhaften Katalog der periodisch erscheinenden und erschienenen illustrierten humoristischen und politisch-satirischen Blätter jedem Späteren viel Mühe und Arbeit zu ersparen. Während Grand-Carteret die Karikatur — man fasse hier diesen Begriff im weitesten Sinne, als Sammelwort für Darstellungen jeder Art, welche in der Absicht geschaffen sind, unsere Heiterkeit, unsere lachende Anteilnahme, unseren bitteren Spott, unsere Verachtung zu erregen; man nehme Sittenschilderung, wie politische Satire in ihm auf; ja selbst das zwecklose, liebenswürdige Spiel der künstlerischen Phantasie rechne man zu ihm — während der Franzose also die deutsche Karikatur, soweit die deutsche Zunge klingt, in den Rahmen seiner Besprechung aufnimmt, Deutschland, Oesterreich, Schweiz, wird der Schreiber nur die Arbeiten Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert berücksichtigen. Wenn er trotzdem den Schweizer Toepfer in der Debatte zu Worte kommen lassen wird, so erscheint ihm dieser zuerst als Künstler von Interesse, und er muß als geistiger Ahne des größten niederdeutschen Humoristen und Zeichners Wilhelm Busch unserer doppelten Anteilnahme gewiß sein.Was man dem Werk Grand-Carterets zum Vorwurf machen könnte, ist einzig und allein in der Herkunft des Verfassers begründet. Nicht, daß es irgendwie tendenziös färbte, — in diesen Fehler verfällt er nur selten, — aber wie ist es überhaupt denkbar, daß ein Mensch anderer Rasse volles, eingehendes Nachempfinden für alle Eigenheiten deutscher Arbeiten haben könnte; und wie kann es ihm möglich sein, sich in das einzuleben, was die intimsten Eigenheiten fremder Volksseele offenbart? Ja, uns, die doch Sprache, Denken, tausend Erscheinungen der Rasse, des Empfindens unbewußt miteinander verbindet, wie schwer wird es schon uns, den Witz, den Humor, die Karikatur einer vergangenen Epoche, läge sie nur fünfzig Jahre zurück, zu verstehen, sich da hineinzufinden; und wir haben doch schon durch Geburt vor jenen hierin einen Vorsprung voraus, den selbst das ernsteste Streben nicht wett zu machen vermag. Alles, was Grand-Carteret durch Arbeit und Gewissenhaftigkeit erreichen konnte, ist erreicht; und wenn er meines Erachtens trotzdem zum Verständnis der Bewegung nichts von Belang beigebracht hat, so hat das seine Begründung in einem Etwas, welches stärker ist als er.
Was in der Arbeit Grand-Carterets besonders vermißt wird, ist das Eingehen auf künstlerische Eigenart einzelner Zeichner, wie ganzer Epochen, und der Hinweis auf die fundamentalen Änderungen, welche die fortschreitende Entwickelung der Vervielfältigungsverfahren mit sich brachte. Ebenso scheint mir die Entwickelung und Wandlung der humoristischen und satirischen Momente, die vollkommene Umgestaltung unserer seelischen Struktur im Laufe eines Jahrhunderts — das, was eigentlich der leitende Gedanke sein müßte, — nirgends hervorgehoben.
Abb. 2. Neujahrswunsch um 1800. (Sammlung v. Lipperheide.)
Es wäre also eine ebenso verdienstvolle, wie schwierige Aufgabe, einmal eine Geschichte der deutschen Karikatur zu schreiben, in der die Entwickelungslinien deutlich gezeichnet wären. Der Verfasser müßte als Künstler, als Historiker, als kulturgeschichtlicher Forscher gleich verständnisvoll dem Thema gegenüberstehen. Dieses Buch fehlt uns, wie das liebe Brot; aber wer hätte wohl Mut und Fähigkeiten genug, um diese Herkulesarbeit zu bewältigen?
Abb. 3–5. »Nürnberger Schimpfwörter.« Um 1790.
Und