An die Umstände seines Aufbruchs aus Rom erinnerte sich Cicero gleich nach seiner Rückkehr in der Rede Pro domo sua an die römischen pontifices:
»(97) Ich habe, ihr Priester, einen großen und unsterblichen Schmerz erlitten, ich leugne es nicht. Und ich beanspruche für mich auch nicht jene Weisheit, die einige bei mir suchten, welche sagten, dass ich mit zu sehr gebrochenem und verletztem Herzen [gegangen sei]. Konnte ich denn, als ich mich von einer so vielfältigen Art von Dingen losriss, die ich deswegen übergehe, weil ich sie nicht einmal jetzt ohne Tränen erwähnen kann, dass ich ein Mensch bin, verleugnen oder das uns von Natur aus gemeinsame Empfinden? Dann allerdings würde ich weder meine Tat lobenswert nennen noch behaupten, dass jemals irgendeine Wohltat für die res publica von mir ausging, wenn ich um dieser res publica willen nur das verlassen hätte, was ich leichten Herzens entbehren konnte, und jene Härte im Herzen und an einem Körper, der, obwohl er brennt, es nicht spürt, eher für Starrheit als für Tüchtigkeit halten. (98) Solche Leiden des Herzens auf sich zu nehmen und das, was allen Besiegten in einer eroberten Stadt geschieht, in einer unversehrten Stadt alleine zu erdulden und zu erleben, wie man weggerissen wird aus der Umarmung der Angehörigen, wie das Haus zerstört wird, der Besitz zerstreut, das Vaterland schließlich um des Vaterlandes willen zu verlieren, der höchsten Ehrungen des römischen Volkes beraubt zu sein, aus dem höchsten Stand der Würde hinabzustürzen, zu sehen, wie die Feinde in Amtstracht, noch bevor der eigene Tod betrauert ist, die Bestattungsgebühren einfordern – das alles um der Rettung der Bürger willen auf sich zu nehmen, und zwar so, dass man, weil man es mit Trauer hinnimmt, nicht so weise ist wie die, denen alles egal ist, vielmehr die Seinen liebend wie es die gemeinsame Menschlichkeit fordert, das ist herausragendes, göttliches Verdienst.«
Am Tag nach seiner Abreise wurde das Gesetz angenommen, und Ciceros Haus auf dem Palatin geplündert und in Brand gesteckt. Ebenfalls ausgeraubt und zerstört wurde seine Villa in Tusculum. Wenige Wochen später brachte Clodius, um eine langfristige Abwesenheit Ciceros sicherzustellen, ein weiteres Gesetz in die Volksversammlung ein, das regelte, dass Cicero unter das erstgenannte Gesetz falle, da er die Senatsprotokolle gefälscht habe. Damit wurde dieser innerhalb eines Kreises von 600 km um Rom herum sowie in allen übrigen Teilen Italiens für geächtet erklärt. Sein Vermögen wurde eingezogen. Den Paragraphen, der verbot, eine Aufhebung dieses Gesetzes zu betreiben, ließ Clodius noch einmal gesondert veröffentlichen und an den Torpfosten der Kurie schlagen. Eine Rückkehr Ciceros war damit vorerst ausgeschlossen.
Im Exil
Den ausziehenden Cicero begleiteten mehrere Freunde ein Stück des Weges. Zunächst hielt er sich in der Erwartung baldiger Rückkehr wohl noch in der Umgebung Roms auf. Im weiteren Verlauf der Entwicklung hoffte er in Sizilien Zuflucht zu finden. Sein Wunsch, das weitere Verhalten mit Atticus zu besprechen, für den er wohl seine Reise zunächst absichtlich langsam gestaltete, damit Atticus ihn noch würde einholen können, erfüllte sich nicht, da dieser durch eigene Angelegenheiten in Rom festgehalten wurde. Clodius’ Folgegesetz nötigte Cicero dann, auch sein alternatives Ziel Malta aufzugeben und Italien samt zugehöriger und naheliegender Inseln ganz zu verlassen, worauf er sich nach Dyrrachium in Epirus begab, die dem Hafen Brundisium in Italien am nächsten gelegene Stadt, heute Durazzo. Von dort aus plante er, seinen aus Asien zurückkehrenden Bruder zu treffen, was sich ebenfalls zerschlug. Am 23. Mai traf Cicero in Thessaloniki ein, wo ihm vom amtierenden Quästor in Makedonien, Cn. Plancius, eine sichere Unterkunft gewährt wurde, was der zuständige Prokonsul L. Appuleius Saturnius duldete.
Für Cicero war die Zeit in Griechenland ein Wechselbad zwischen Hoffnung und Verzweiflung, das sich in seinen Briefen – auch in überzogenem Selbstmitleid und bisweilen ungerechten Vorwürfen gegen seine Freunde – wiederspiegelt. Aus seinen Äußerungen wurde von Ärzten auch schon herausgelesen, der Mann, der Rom für sein Leben brauchte wie die Luft zum Atmen, sei im Exil an einer Depression erkrankt. Manche Personen, die Cicero im Exil besuchten, darunter Reisende und vielleicht auch einige Briefboten scheinen in Rom erzählt zu haben, er sei verrückt geworden. Jedenfalls war er außer Stande, das Exil, noch dazu in Griechenland, wie andere vor ihm, als geistige Anregung fruchtbar zu machen, eine Beruhigung der Lage in Rom gelassen abzuwarten und auf seine Freunde zu vertrauen.
Bemerkenswert viele Freunde bemühten sich unterdessen in Rom unablässig um Ciceros Rückberufung. Die erste entsprechende Eingabe machte Volkstribun L. Ninnius Quadratus am 1. Juni 58. Der Senat beschloss einstimmig in Ninnius’ Sinne, doch der Volkstribun Aelius Ligus legte dagegen sein Veto ein. Ciceros Tochter Tullia und ihr Ehemann C. Calpurnius Piso Frugi baten den Konsul L. Calpurnius Piso Caesoninus um Hilfe, waren jedoch ebenso erfolglos wie Q. Fabius Sanga (Ciceros Informant gegen Catilina) bei Pompeius. Cicero musste das Jahr 58 abwarten und seine Hoffnung auf die gewählten Magistrate und Volkstribunen für das Jahr 57 setzen. Zum Volkstribun für dieses Amtsjahr wurde unter anderem sein Gesinnungsgenosse P. Sestius gewählt, der noch vor seinem Amtsantritt am 10. Dezember zu Caesar reiste, um diesen als den starken Mann Roms zur Rückberufung Ciceros zu veranlassen. Sestius erhielt allerdings eine ausweichende Antwort. Von Sestius’ anschließendem Gesetzesentwurf über die Rückberufung zeigte sich Cicero in einem Brief gar nicht begeistert, vor allem weil darin die Rückerstattung des Vermögens nicht klar genug gefordert wurde. Im Oktober reichten noch einmal die acht ihm wohlgesonnenen Volkstribunen einen Antrag zugunsten Ciceros ein, der wie alle vorigen Versuche abgeschmettert wurde. Den nächsten Anlauf startete Ciceros Freund, der neu gewählte P. Lentulus Spinther in der ersten von ihm als Konsul geleiteten Senatssitzung am 1. Januar 57. Sein Amtskollege Q. Caecilius Metellus Nepos, noch als Volkstribun einer der heftigsten Gegner Ciceros, erklärte, einer Rückberufung nicht im Wege stehen zu wollen, wenn der Senat diese wünsche. Einen Beschluss an diesem sowie an mehreren weiteren Sitzungstagen verhinderte aber der Einspruch des Volkstribunen Sex. Atilius Serranus. Die Abstimmung über einen Antrag von acht Volkstribunen, die für den 23. Januar vorgesehen war, verhinderten die Schlägertrupps des Clodius, wobei in einem Handgemenge Ciceros Bruder Quintus von der Rednerbühne Rostra hinabgeworfen wurde. Clodius gehörte die Straße, und der Senat sah keine Möglichkeit ihm entgegenzutreten. Die Volkstribunen T. Annius Milo und P. Sestius, von denen der letztgenannte bei einem Überfall nur knapp mit dem Leben davongekommen war, entschlossen sich daraufhin, eigene kleine Privatarmeen aus Klienten, Freigelassenen und Sklaven gegen Clodius Banden zu organisieren.
Als L. Calpurnius Piso Caesoninus, dem Konsul des Jahres 58, das Prokonsulat in der Provinz Makedonien zugefallen war und seine Ankunft dort erwartet wurde, musste Cicero wiederum ausweichen und begab sich im November 58 zurück nach Dyrrachium, von wo seine letzten Exilbriefe abgesandt wurden.
Im Sommer endlich entschloss sich Pompeius mit der Zustimmung Caesars, die Rückberufung Ciceros anzugehen. Nach den entsprechenden Vorbereitungen im Senat berief er eine Volksversammlung auf das Marsfeld. Die Versammlung zur Abstimmung fand am 4. August statt und wurde von Milos Truppen geschützt. Die Rückberufung Ciceros wurde einstimmig beschlossen. Am selben Tag schon reiste Cicero nach Brundisium ab und kam am 5. August dort an.
Die Adressaten der Exilbriefe
Briefe an vier verschiedene Adressaten sind aus Ciceros Exil 58/57 erhalten: 27 an seinen Freund T. Pomponius Atticus (an diesen auch noch einer über seine Rückkehr), vier an seine Frau Terentia, zwei an seinen Bruder Q. Tullius Cicero sowie einer an einen der Konsuln des Jahres 57, Q. Caecilius Metellus Nepos.
Quintus Tullius Cicero
Ciceros jüngerer Bruder wurde 103/102 v. Chr. geboren und mit Marcus zusammen in Rom erzogen. Er begleitete den Bruder auch bei dessen Bildungsreise nach Griechenland. Zu ihm hatte Cicero lebenslang eine sehr innige, herzliche Beziehung.
Quintus, von dem nur wenige Briefe erhalten sind, erwähnt im Gegensatz zu seinem älteren Bruder in einem dieser Briefe auch einmal die gemeinsame