Die erwähnten beiden Dogmen des Anaxagoras stehn übrigens in genauer Verbindung. — Nämlich παντα εν πασιν ist seine symbolische Bezeichnung des Homoiomeriendogma’s. In der chaotischen Urmasse staken demnach, ganz fertig vorhanden, die partes similares (im physiologischen Sinne) aller Dinge. Um sie auszuscheiden und zu specifisch verschiedenen Dingen (partes dissimilares) zusammenzusetzen, zu ordnen und zu formen, bedurfte es eines νους, der, durch Auslesen der Bestandtheile, die Konfusion in Ordnung brächte; da ja das Chaos die vollständigste Mischung aller Substanzen enthielt (Scholia in Aristot. p. 337). Jedoch hatte der νους diese erste Scheidung nicht vollkommen zu Stande gebracht; daher in jedem Dinge noch immer die Bestandtheile aller übrigen, wenn gleich in geringerem Maaße, anzutreffen waren: παλιν γαρ παν εν παντι μεμικται (ibid.). —
Empedokles hingegen hatte, statt zahlloser Homoiomerien, nur vier Elemente, — aus welchen nunmehr die Dinge als Produkte, nicht, wie beim Anaxagoras, als Edukte hervorgehn sollten. Die verneinende und scheidende, also ordnende Rolle des νους aber spielen bei ihm φιλια και νεικος, Liebe und Haß. Das ist Beides gar sehr viel gescheuter. Nicht den Intellekt (νους) nämlich, sondern dem Willen (φιλια και νεικος) überträgt er die Anordnung der Dinge, und die verschiedenartigen Substanzen sind nicht, wie beim Anaxagoras, bloße Edukte; sondern wirkliche Produkte. Ließ Anaxagoras sie durch einen sondernden Verstand, so läßt sie hingegen Empedokles durch blinden Trieb, d. i. erkenntnißlosen Willen, zu Stande gebracht werden.
Ueberhaupt ist Empedokles ein ganzer Mann, und seinem φιλια και νεικος liegt ein tiefes und wahres appercu zum Grunde. Schon in der unorganischen Natur sehen wir die Stoffe, nach den Gesetzen der Wahlverwandtschaft, einander suchen oder fliehen, sich verbinden und trennen. Die aber, welche sich chemisch zu verbinden die stärkste Neigung zeigen, welche jedoch nur im Zustande der Flüssigkeit befriedigt werden kann, treten in den entschiedensten elektrischen Gegensatz, wenn sie im festen Zustande in Berührung mit einander kommen: sie gehn jetzt in entgegengesetzte Polaritäten feindlich auseinander, um sich sodann wieder zu suchen und zu umarmen. Und was ist denn überhaupt der in der ganzen Natur unter den verschiedensten Formen durchgängig auftretende polare Gegensatz Anderes, als eine stets erneuerte Entzweiung, auf welche die inbrünstig begehrte Versöhnung folgt? So ist denn wirklich φιλια και νεικος überall vorhanden und nur nach Maaßgabe der Umstände wird jedesmal das Eine, oder das Andere hervortreten. Demgemäß können auch wir selbst mit jedem Menschen, der uns nahe kommt, augenblicklich befreundet, oder verfeindet seyn: die Anlage zu Beidem ist da und wartet auf die Umstände. Bloß die Klugheit heißt uns, auf dem Indifferenzpunkt der Gleichgültigkeit verharren; wiewohl er zugleich der Gefrierpunkt ist. Eben so ist auch der fremde Hund, dem wir uns nähern, augenblicklich bereit, das freundliche, oder das feindliche Register zu ziehn und springt leicht vom Bellen und Knurren zum Wedeln über; wie auch umgekehrt. Was dieser durchgängigen Phänomene des φιλια και νεικος zum Grunde liegt ist allerdings zuletzt der große Urgegensatz zwischen der Einheit aller Wesen, nach ihrem Seyn an sich, und ihrer gänzlichen Verschiedenheit in der Erscheinung, als welche das principium individuationis zur Form hat. Imgleichen hat Empedokles die schon ihm bekannte Atomenlehre als falsch erkannt und dagegen unendliche Theilbarkeit der Körper gelehrt, wie uns Lukretius berichtet Lib. I, v. 747 fg.
Vor Allem aber ist, unter den Lehren des Empedokles, sein entschiedener Pessimismus beachtenswerth. Er hat das Elend unseres Daseyns vollkommen erkannt und die Welt ist ihm, so gut wie den wahren Christen, ein Jammerthal, — Ατης λειμων. Schon er vergleicht sie, wie später Platon, mit einer finstern Höhle, in der wir eingesperrt wären. In unserm irdischen Daseyn sieht er einen Zustand der Verbannung und des Elends, und der Leib ist der Kerker der Seele. Diese Seelen haben einst sich in einem unendlich glücklichen Zustande befunden und sind durch eigene Schuld und Sünde in das gegenwärtige Verderben gerathen, in welches sie, durch sündigen Wandel, sich immer mehr verstricken und in den Kreislauf der Metempsychose gerathen, hingegen durch Tugend und Sittenreinheit, zu welcher auch die Enthaltung von thierischer Nahrung gehört, und durch Abwendung von den irdischen Genüssen und Wünschen wieder in den ehemaligen Zustand zurückgelangen können. — Also die selbe Urweisheit, die den Grundgedanken des Brahmanismus und Buddhaismus, ja, auch des wahren Christenthums (darunter nicht der optimistische, jüdisch-protestantische Rationalismus zu verstehen ist) ausmacht, hat auch dieser uralte Grieche sich zum Bewußtseyn gebracht; wodurch der consensus gentium darüber sich vervollständigt. Daß Empedokles, den die Alten durchgängig als einen Pythagoreer bezeichnen, diese Ansicht vom Pythagoras überkommen habe, ist wahrscheinlich; zumal, da im Grunde auch Platon sie theilt, der ebenfalls noch unter dem Einflusse des Pythagoras steht. Zur Lehre von der Metempsychose, die mit dieser Weltansicht zusammenhängt, bekennt Empedokles sich auf das Entschiedenste. — Die Stellen der Alten, welche, nebst seinen eigenen Versen, von jener Weltauffassung des Empedokles Zeugniß ablegen, findet man mit großem Fleiße zusammengestellt in Sturzii Empedocles Agrigentinus, S. S. 448—458. —
Die Ansicht, daß der Leib ein Kerker, das Leben ein Zustand des Leidens und der Läuterung sei, aus welchem der Tod uns erlöst, wenn wir der Seelenwanderung quitt werden, theilen Aegypter, Pythagoreer, Empedokles, mit Hindu und Buddhaisten. Mit Ausnahme der Metempsychose ist sie auch im Christenthum enthalten. Jene Ansicht der Alten bezeugen Diodorus Sikulus und Cicero. (S. Wernsdorf, de metempsychosi Veterum, p. 31, und Cic. fragmenta, p. 299 [somn. Scip.], 316, 319, ed. Bip.) Cicero giebt an diesen Stellen nicht an, welcher Philosophenschule solche angehören; doch scheinen es Ueberreste Pythagorischer Weisheit zu seyn. Auch in den übrigen Lehrmeinungen dieser vorsokratischen Philosophen läßt sich viel Wahres nachweisen, davon ich einige Beispiele geben will.
Nach Kant´s und Laplace’s Kosmogonie, welche durch Herschels Beobachtungen noch eine faktische Bestätigung a posteriori erhalten hat, die nun wieder wankend zu machen, Lord Rosse mit seinem Riesenreflektor, zum Trost des Englischen Klerus, bemüht ist, — gestalten sich aus langsam gerinnenden und dann kreisenden, leuchtenden Nebeln, durch Kondensation, die Planetensysteme: da behält, nach Jahrtausenden, wieder Anaximenes Recht, welcher Luft und Dunst für den Grundstoff aller Dinge erklärte (Schol. in Arist. p. 514). Zugleich aber auch erhalten Empedokles und Demokritos Bestätigung; da schon sie, eben wie Laplace, Ursprung und Bestand der Welt aus einem Wirbel, δινη, erklärten (Arist. op. ed. Berol. p. 295, et Scholia p. 351), worüber, als eine Gottlosigkeit, auch schon Aristophanes (Nubes, v. 820) spottet; eben wie heut zu Tage über die Laplace’sche Theorie die englischen Pfaffen, denen dabei, wie bei jeder zu Tage kommenden Wahrheit, unwohl zu Muthe, nämlich um ihre Pfründen Angst wird. — Ja, sogar führt gewissermaaßen unsere chemische Stöchiometrie auf die Pythagorische Zahlenphilosophie zurück: τα γαρ παθη και αί έξεις των αριθμων των εν τοις ουσι παθων τε και έξεων αιτια, οίον το διπλασιον, το επιτριτον, και ήμιολιον (Schol. in Arist. p. 543 et 829). — Daß das Kopernikanische System von den Pythagoreern anticipirt worden war ist bekannt; ja, es war dem Kopernikus bekannt, der seinen Grund-Gedanken geradezu geschöpft hat aus der bekannten Stelle über Hicetas in Cicero’s quaestionibus acad. (II, 39) und über Philolaos im Plutarch de placitis philosophorum (Lib. III, c. 13). Diese alte und wichtige Erkenntniß hat nachher Aristoteles verworfen,