»Bist du sicher, dass es das ist?«, flüsterte Dave Hands mit heiserer Stimme und nickte zu dem ECM-Peilsender, den Bald in der Hand hielt.
»Hundertprozentig.«
Balds kantige Gesichtszüge reflektieren das rotblinkende Licht des Peilsenders. Gardner und er waren Kameraden seit dem Tag, an dem beide die Auswahlprüfungen bestanden hatten. Als man Gardner nach der brutalen simulierten Folterübung in den Raum mit den anderen Kandidaten führte, hatte Bald ihm nur zugezwinkert und gesagt: »Kinderkacke.« Der Mann war schottischer als eine Kiste Irn-Bru und lächelte unentwegt, halb belustig, halb hinterlistig. Nun schaute Gardner konzentriert auf den Peilsender in Balds Hand. Er war etwa so groß wie ein iPhone, aber in der riesigen, schwieligen Hand seines Kumpels sah es aus, als wäre es beim Waschen eingelaufen.
Dave Hands blickte wenig überzeugt zu dem Gebäude hinüber.
»Sieht für mich verdammt leer aus.«
»Tariq Afridi ist der Anführer der pakistanischen Taliban«, antwortete Bald und steckte das Gerät in die Tasche seiner Salwar-Hose. »Er ist ein hohes Tier, Davey Boy, und wir wissen exakt, wo er sich aufhält. Nämlich genau da drin.«
Alle Blades trugen regionale Kleidung, aber unter dem regionaltypischen Kameez trug jeder der Männer eine Einsatzweste der Spezialeinheiten vom Typ Viper mit vier Taschen für Reservemagazine und drei weiteren Taschen für Ausrüstungsgegenstände: Kompass, Karte, Feuerzeug, Goldmünzen, Wasserreinigungstabletten, Taschenmesser, Fallschirmleine.
Sie waren jetzt fünfzig Meter von dem Haus auf der anderen Seite der Straße entfernt, die nach Ragesh führte und nicht mehr war als ein ausgefahrener Streifen Asphalt, der zu neunzig Prozent aus Schlaglöchern und Dreck bestand. Bald führte die Gruppe an, danach Hands, und Gardner als dritter. Der vierte Mann im Team war ein Yankee. Anthony Shaw war ein Navy SEAL mit einem Blick so kalt wie eisgekühltes Bier und bleistiftdünnen Lippen, die er nur öffnete, um Bibelverse zu zitieren. Die anderen Jungs im Regiment waren nicht sonderlich religiös und verarschten Shaw von dem Moment an, als er mit dem Bibelquatsch angefangen hatte. So fing er sich den Spitznamen Prediger ein. Aber fairerweise musste man sagen, dass es der Yank nicht krummnahm. Man hatte ihn dem Team zugeteilt, weil die Operation ein gemeinsamer Einsatz der USA und des Vereinigten Königreichs war, aber insgeheim hatten Gardner und Bald sich gefragt, ob er sich bei der Mission nicht vielleicht als Schwachstelle herausstellen könnte. Es gab Gerüchte, Shaw hätte die Aufnahme ins Team für die bin-Laden-Sause verpasst, weil die SEAL-Commander den über zwei Meter großen, 300 Pfund schweren Afroamerikaner für einen Hitzkopf hielten. Lag wohl an seinem Blutdruck.
»Jesus«, hatte Bald zu Gardner gesagt, als die beiden allein waren und sich auf die Operation vorbereiteten. »Stell dir vor, wie schießwütig der Junge sein muss, wenn ihn selbst die verdammten Yanks für zu kampflustig halten.«
Die Männer bewegten sich schnell, passierten ein Rapsfeld, das in voller Blüte stand und sich bis zur hügeligen nordwestlichen Seite des Mardan erstreckte. Sie hielten einen unregelmäßigen Abstand zum Vordermann – vier bewegliche Ziele mit uniformen Abständen zueinander hätte das menschliche Auge sofort bemerkt.
Zwanzig Meter bis zu dem Gebäude. Das Vier-Mann-Team sammelte sich im Schutz einer Gruppe Kiefern. Die Kiefernnadeln bewegten sich müde im Hauch einer schwachen Brise, welche die Hitze zumindest ein wenig erträglicher machte. Zudem boten die Kiefern eine gute Deckung. Aus dieser Position waren sie für Afridis Männer unsichtbar.
Ihre Bewaffnung bestand aus verschiedenen Modellen der AK-47, wie sie von der albanischen Antiterroreinheit benutzt wurden. Die ASH-78 Tip-3 verfügte über drei Einstellungen: Einzelschuss, Drei-Schuss-Salven und Dauerfeuer. An Hands Waffe war noch ein Granatwerfer an der Unterseite des Laufs angebracht. Gardners Gewehr hatte einen etwa fünfzehn Zentimeter langen Riss, der quer durch den hölzernen Kolben ging, und das Magazin war mit Klebeband umwickelt, um zu verhindern, dass die Patronen herausfielen.
Gardner gab Hands und Shaw ein Handzeichen.
»Ihr kommt von der Rückseite. Wir greifen von der Vorderseite aus an. Wenn wir losschlagen, kommt ihr über den Hintereingang herein und legt jeden um, der dumm genug ist, im Weg zu stehen.«
»Was, wenn es keinen Hintereingang gibt?«, fragte Hands.
»Dann nimm ein Fenster, du Blödmann. John und ich sichern das Erdgeschoss. Du und Everton, ihr übernehmt das erste Stockwerk.«
Sie verließen die Deckung hinter den Kiefern, Gardner ging voraus. Niemand sprach, um Afridi und seine Leute nicht zu warnen. Vermassel das bloß nicht, rief unentwegt eine Stimme in Gardners Kopf. Zu viel stand bei dieser Mission auf dem Spiel, denn der Mann in dem Gebäude war Tariq Afridi, Anführer der Tehrik-i-Taliban.
Die pakistanischen Taliban waren die bösen Brüder der afghanischen Ausgabe. Sie waren für eine ganze Reihe von grenzübergreifenden Angriffen auf vereinigte Truppenverbände entlang der Durand-Linie verantwortlich – oder AfPak, wie die Schreibtischtäter beim MoD die undefinierte Grauzone zwischen Afghanistan und Pakistan nannten, die sich zu einem sicheren Hafen für die Taliban gemausert hatte. Gardner wusste, dass Afridis Sicherheitsteam in diesem Moment damit beschäftigt war, ein Fernsehteam in einen spärlich dekorierten Raum mit Lehmboden zu führen. Nach monatelangen Verhandlungen hatte Afridi einem Interview mit einem taliban-nahen regionalen Nachrichtensender zugestimmt.
Afridi und seine Leute wussten jedoch nicht, dass der Kameramann ein Agent des MI6 war. Im Richtmikrofon seines Sony DSR-300 Camcorders versteckte sich ein ECM-Transmitter, und dieser führte Gardners Team direkt zum großen Hauptgewinn.
Zwölf Meter trennten die Blades von ihrem Ziel. Gardner spähte über die Schulter zu Hands und Shaw. Mit einer Handbewegung wies er sie an, nach rechts auszuschwärmen und sich dem Haus von der Seite zu nähern. Zwar wussten sie von dem Fernsehteam, aber im Grunde gingen seine Leute höchst unvorbereitet in diesen Einsatz. Niemand konnte genau sagen, wie viele Wachen Afridi um sich geschart hatte, daher galt die Devise, sich dem Ziel mit besonderer Vorsicht zu nähern.
Hands und Shaw lösten sich aus der Formation, vorbei an einem verrammelten Tabakladen. Gleichzeitig näherten sich Gardner und Bald auf dem kürzesten Weg der Haustür. Gardner beschleunigte sein Tempo und zog an Bald vorbei. Aus zwölf Metern wurden zehn.
Dann sahen sie, wie die Eingangstür aufflog. Gardner brachte sich unter dem kunstvoll verzierten Vordach eines Ladens neben dem Gebäude in Deckung, Bald folgte ihm nur Sekundenbruchteile später. Gemeinsam kauerten sie im zickzackförmigen Schatten und beobachteten einen Wachposten, der aus dem Haus trat und die Tür hinter sich schloss.
Neun Meter zwischen ihm und Gardner. Der Wachmann war untersetzt, wirkte schwammig, trug keine Schuhe. Er schwang sich sein RPK-Maschinengewehr auf die Schulter und hielt sich die hohlen Hände vors Gesicht. Die Spitze seiner Zigarette flammte auf. Er hatte sich der entgegengesetzten Richtung zugewandt und ahnte nichts von Gardners und Balds Anwesenheit.
Langsam und vorsichtig zog Gardner sein Fairbairn-Sykes-Kampfmesser aus dem Gürtel unter seinem Kameez hervor. Er spürte Balds lauwarmen Atem in kurzen Abständen an seiner Schulter. Mit dem Messer in der rechten Hand verließ er die Deckung unter dem Vordach und schlich sich an den Wachmann heran.
Sechs Meter. Der Wachmann kratzte sich am Ellenbogen. Rauch drang aus seiner Nase. Gardner war nur noch vier Meter von ihm entfernt … drei … das Blut rauschte in seinen Ohren, er atmete schwer. Der Mann hatte Gardner noch immer nicht bemerkt und starrte auf seine krummen Zehen hinab.
Zwei Meter …
Gardner hielt den Atem an. Die Luft in seiner Lunge fühlte sich wie ein Eisklumpen an.
Noch einer …
Gardner richtete sich auf, Knie