»Legen Sie das Bein hoch«, riet er Falcon. »Sonst verlieren Sie zu viel Blut.«
Die ersten Geschosse bohrten sich in die Tür. Gardner angelte zwei Reservemagazine aus Falcons Gürtel, ließ eines davon in den Magazinschacht des Maschinengewehrs einrasten und steckte sich das andere in die Tasche seiner Cargohose.
Vierzig Schuss Munition. Gardner schlug eines der Fenster ein, rechts neben der Eingangstür. Mit dem Lauf der Colt rasierte er die verbliebenen Glasscheiben aus dem Rahmen und schoss eine Salve auf die Straße. Die Messengers feuerten blindlings aus ihrer Deckung hinter den Ziegeln.
»Die fünf Minuten sind rum, Rafa. Wo zur Hölle steckt die BOPE?«
»Wahrscheinlich haben sie der Rauch und die Schusswechsel aufgehalten.«
»Verflucht. Hoffentlich sind sie auf dem Weg hierher.«
Aber sechsunddreißig Kugeln waren im Moment alles, was die beiden davon trennte, überrannt zu werden.
Kapitel 18
12:25 Uhr
Weiss ging davon aus, dass die Kerle es langsam angehen würden, und so war es auch. Zuerst setzte ihm der Typ mit den Schlagringen ein wenig mit einem rechten Aufwärtshaken zu, der ihn von den Beinen holte. Kalter Stahl brach seinen Kiefer auf so üble Art und Weise, dass es sich anfühlte, als hätte man ihm Rasierklingen ins Gesicht genäht. Dann war der Typ mit der Eisenstange an der Reihe. Er verpasste seinen beiden Beinen eine tüchtige Abreibung, die daraufhin rot und geschwollen waren. Keine große Sache. Er hatte schon Schlimmeres durchgestanden. Die Schmerzen hob er sich für später auf. Er hatte damit gerechnet.
Sie zogen ihm einen Kartoffelsack über den Kopf und nahmen ihm den Mantel ab. Dann führten sie ihn kreuz und quer durch die Straßen. Der Sack war dicht gewebt, und Weiss konnte nicht sehen, wohin sie gingen. Sie lotsten ihn in ein Gebäude und eine knarzende Treppe hinauf. Er lauschte nach Geräuschen, irgendetwas, dass ihm einen Hinweis gab, wo sie sich befanden. Aus einem Fernsehgerät im Hintergrund dröhnte die Titelmelodie von 24. Und er glaubte, ein paar Jungs rufen zu hören.
Sie ließen ihn auf einen Stuhl plumpsen und banden seine Hände hinter seinem Rücken mit Kabelbindern zusammen. Jemand nahm ihm den Sack vom Kopf. Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen wieder an das Licht gewöhnten. Vor ihm schälten sich die Umrisse eines kräftigen Mannes aus dem Licht. Breitschultrig, eine Sonnenbrille mit großen runden Gläsern, Hulk-Shirt und Sandalen. Er saß verkehrt herum auf einem Metallstuhl und untersuchte eine der Spritzen aus Weiss' Mantel.
»Du bist also der Kerl, den sie den Nadelmann nennen.«
»Und da es diesen Xavier nicht gibt«, entgegnete Weiss, »musst du … lass mich nachdenken … Roulette sein. Ist aber scheißegal. Der Name spielt keine Rolle. Du bist so oder so ein toter Mann.«
Roulette lachte leise in sich hinein. »Das ist echt lustig. Weißt du, allein dein Name bewirkt, dass sich 'ne Menge harter Kerle vor Angst in die Hosen scheißen. Aber mir machst du keine Angst. Als Luis sagte, dass du hierher kommen würdest, konnte ich mein Glück kaum fassen. Lass hören, was ist in der hier drin?«
Weiss kniff die Augen zusammen.
»Thallium.«
»Und was verdammt noch mal soll das sein?«
»Ein Gift.«
Roulette hielt ihm die Spritze hin. Doch dann begriff Weiss, dass sie nicht allein in dem Raum waren. Er sah zwei andere Männer mit leeren Augen, dürr wie die Stangen in einem Strip-Klub, in schlackernden Jeans und T-Shirts, die bis zu den Knien hinunter hingen. Die beiden hätten Zwillinge sein können, allerdings trug einer von ihnen eine gefälschte goldene Rolex, der andere ein Shirt der Los Angeles Lakers. Rolex nahm die Spritze und warf sie auf den Boden. Dann zertrat er sie unter seinen Schuhen.
»Sag mir – stimmt es, dass du … wie viele Opfer mittlerweile auf dem Gewissen hast? Sechshundert?«
»Kommt drauf an«, antwortete Weiss.
»Kommt worauf an?«
»Ob du dich und deine zwei beschissenen Freunde bereits mitzählst.«
Roulette sprang auf.
»Vai toma no cu!«, bellte er und griff sich in die Leistengegend. »Es gibt nur noch einen Tod, dem der Nadelmann beiwohnen wird, und das ist sein eigener!«
»Du machst einen großen Fehler, mein Freund. Lebendig bin ich mehr wert als tot.«
Roulette trat an Weiss heran, so nah, dass dieser die Pockennarben auf der Haut des Gangsters sehen konnte.
»Falsch«, flüsterte Roulette. »Denn weißt du, unser Anführer, Luis, steht in Kontakt mit ein paar Leuten, die dich nur zu gerne tot sehen würden. Das Sinaola Kartell oder die Los Negros aus Mexiko sind ganz erpicht darauf, dass wir ihnen deinen Kopf auf einem Tablett servieren. Die haben Luis bereits eine … wie nennt man das noch … Anzahlung gemacht. Ende der Fahnenstange, mein Bester.«
Lakers nahm Weiss die Schuhe ab. Er griff sich etwas von einem Regal – eine orangefarbene kabellose Bohrmaschine mit einem wolfram-beschichteten 10mm-Bohrer im Bohrfutter. Weiss biss die Zähne zusammen und versuchte sich auf seine Atmung zu konzentrieren. Wenn er vor Schmerz ohnmächtig wurde, würde er womöglich nie wieder aufwachen. Aber er konnte seine Augen nicht von dem Bohrer abwenden.
»Wenn du das tust, werde ich dich finden, und dann bringe ich dich und deine ganze Familie um«, sagte er zu Lakers.
Der ließ ein giftiges Lächeln aufblitzen und die Bohrmaschine aufheulen. Das Geräusch erinnerte Weiss an die regelmäßigen Zahnarztbesuche in seiner Kindheit.
»Dafür wirst du keine Gelegenheit mehr bekommen«, erwiderte Roulette. »Mein Freund.«
Rolex hielt Weiss' Fuß am Boden fest, und der dritte Gangster senkte die Bohrmaschine herab, bis der Wolframbohrer den Fußnagel seines großen Zehs berührte.
»Warte!«, rief Roulette. Er zog ein Mobiltelefon aus der Hosentasche seiner Jeans, klappte es auf, und hielt die Kamera direkt vor Weiss' Zeh. »Big Teeth wollte das sehen.«
Lakers drückte den Anschalter. Das Werkzeug begann sich in Weiss' Zeh zu bohren.
Der Schmerz war unerträglich, so als würde man ihm immer und immer wieder den Zehnagel herausreißen. Eine Million Mal. Er versuchte verzweifelt, seinen Fuß freizubekommen, aber der Kerl hielt ihn fest an seinem Platz. Der Nagel brach in der Mitte entzwei, als sich der Bohrer in sein Fleisch grub. Nagelstaub bedeckte seinen nackten Fuß.
Als sich der Bit in seinen Zeh fraß, gab Weiss den Widerstand auf.
Sie bohrten weiter.
Dann traf der Bohrer auf Widerstand. Knochen. Lakers drückte mehrmals auf den Schalter, ließ die Maschine aufheulen und trieb sie tiefer in den Zeh. Weiss kämpfte gegen die Schmerzen und gegen die Ohnmacht an, die in Wellen über ihn hereinzubrechen drohte. Er atmete schwer. Es war wichtig, sich nicht zu übergeben.
Benommenheit überspülte ihn wie Wasser in einer Badewanne. Das ist es, dachte er. Der Moment, an dem es kein Zurück mehr gibt. Dann hörte er ein Kreischen und Knirschen.
Der Bohrer war auf den Beton unter seinem Fuß getroffen.
Er öffnete die Augen und sah nach unten. Blut und Röllchen abgedrehten Fleisches lagen an der Stelle, wo sich gerade noch seine große Fußzehe befunden hatte. Schmutzig weiße, mit Knorpel überzogene Knochenfragmente wurden von spärlichen Resten schlaffen Muskelgewebes zusammengehalten. Er versuchte, seinen Zeh zu bewegen, aber nichts geschah. In seiner Kehle brannte Gallenflüssigkeit.