Unersättlich trank dieser junge Mensch das Leben und brannte die Kerze an beiden Enden mit noch stärkerem Fieber als vordem sein Onkel Edgar: Arbeit, verzehrende, nicht rastende Arbeit und daneben die wirbelnde Geselligkeit; als einzige Erholung die Anstrengungen des Sports und der weiten, fruchtbaren aber nervenaufpeitschenden Reisen, bei denen er sich so wenig wie daheim eine Ruhezeit gönnte. Denn die fremden Länder mussten ihm alles hergeben, was sie einem Geist wie diesem zu geben hatten. Die Welt lag im Feuerschein vor ihm, und so weit das Auge reichte, war alles sein, er trug es im Skizzenbuch, im Kodak, im nicht fehlenden Gedächtnis mit nach Hause. Nur für das Unsichtbare, das hinter den Dingen steht, war in seiner Anlage kein Raum.
In jenen Jahren sahen wir uns selten mehr, auch wenn wir eine Stadt bewohnten. »Frau Welt« hatte ihn in den Arm genommen und lockte ihn mit ihren Scheinbildern weg aus dem beseelteren Luftkreis, dem er durch die Geburt angehörte, mancherlei fremde Züge der Übersättigung und Unlust in sein Gesicht und Wesen zeichnend – Züge, die er mit seinem ganzen Zeitgeschlecht teilte. Es kam dazu, dass ja von allen Künsten die Baukunst, auch wenn sie ewigen Zwecken dient, dennoch durch ihre Riesenkosten und die damit verbundene wirtschaftliche Verantwortung am unlöslichsten mit irdischen Belangen verknüpft ist und das Seelische des Künstlers durch die widerspruchsvolle Doppelaufgabe am stärksten belastet. Trotzdem konnte das Angeborene, in der Stille Waltende von dem Eingedrungenen nicht völlig überwältigt werden, und nach Zeiten des inneren Ferneseins fand man sich im Geistigen ganz plötzlich wieder. Die Weite und Schwungkraft seines Wollens und die vielseitige Aufgeschlossenheit, die ihn niemals zum Fachmenschen werden ließ, trug beim Wiederbegegnen über die Verschiedenheit der Lebensauffassungen hinweg.
Während des Krieges, der unseren Thole jahrelang als Fahrer zwischen Nordfrankreich, Rumänien, Italien hin- und herwarf, ging immer der Künstler mit dem Soldaten. Seine kurzen, im Telegrammstil gehaltenen Briefe, die ich aus jener Zeit bewahre, sprechen nur von den landschaftlichen, städtebaulichen, architektonischen Eindrücken, die ein inmitten der Schrecken ungetrübtes Künstlerauge aufgenommen hatte. Nach Italien kommandiert, brauchte er das Land seiner Jugend nicht zu bekriegen. Da er dem Kunst- und Denkmalschutz zugeteilt war, kam er vielmehr als Schirmer und Retter. Was er von gefährdeten Werken der Baukunst nicht schützen konnte – manches wurde von den Italienern selber zusammengeschossen –, das hielt er noch während des Untergangs mit dem Stift für die Erinnerung fest. Köstlich war es, ihn später in mitteilsamen Stunden von seinen Kriegsbegegnungen erzählen zu hören, denn er gab nur die heiteren Episoden, die er da und dort auffing, zum besten. Wenn er mit seiner glücklichen Komik die Personen selber vorstellte und sie in den verschiedenen Dialekten dieser zusammengewürfelten Menschheit durcheinanderreden ließ, konnte man sich an Wallensteins Lager erinnert fühlen.
Ein Verhältnis von seltener Innigkeit herrschte zwischen Sohn und Vater. Thole besaß alle diejenigen Eigenschaften, die meinem Bruder Erwin mangelten, um sich äußerlich durchzusetzen; ein allzu zartes Gemütsleben, das sich an den frühen Lebenskämpfen wundgerieben hatte, wie auch mangelnder praktischer Sinn (das Erbe der eigenen Eltern) machte diesem alles Ringen nach Vorteil und Ehren tief zuwider und ließ ihn auch seine künstlerischen Arbeiten niemals nach ihrem materiellen Werte richtig einschätzen. Da war es Sache des viel welterfahreneren Sohnes, für den Vater zu denken, während umgekehrt der Vater in allem Ethischen immer für den Sohn maßgebend blieb. In dieser Kameradschaft fiel bald dem einen, bald dem anderen Teil die Rolle des väterlichen Beraters zu. Einen Kampf der Generationen gab es auch zwischen diesen beiden nicht: bei des Sohnes großen baulichen Aufgaben arbeitete der Vater mit, indem er den plastischen Schmuck der Fassaden oder figürliche Darstellungen für die Innenräume übernahm. Das köstlichste Zeugnis, wie der tiefgründige, weltabgewandte Vater und der ehrgeizige, glänzende, nach außen gerichtete Sohn sich im strengen künstlerischen Ideal zusammenfanden, legt die edle Gabrielskirche in München ab mit Erwins »Verkündigung« über dem Hauptportal, wozu Thole nach des Vaters Tod noch sein letztes Werk, die Pietà, für das Hauptschiff der Kirche gestiftet hat.
Auch mir war unser Thole des öfteren ein wertvoller Helfer und Rater und wurde es zuletzt immer mehr. Wenn ich im Zweifel war, ob meine inneren Gesichte sich mit der Wirklichkeit ausgleichen ließen, und