Der Torstensen hatte ein Steuerrad, keine Ruderpinne. Jörnsen umklammerte die eine Speiche des Rades mit der Linken, und mit der Rechten hielt er uns eine große Repetierpistole entgegen. Er traute offenbar Boche Boches Friedfertigkeit nicht recht.
»Steck’ das Ding nur wieder weg,« meinte mein Kamerad mit einer halben Verbeugung. »Mehr als um Entschuldigung bitten kann ich nicht. Ich werde mich fernerhin zu beherrschen wissen. – Du hast doch nichts dagegen, Käpten, daß Olaf und ich uns die Mahlzeiten selber zubereiten?«
»Nein … Aber nicht in der Kombüse. Ihr habt ja den kleinen Ofen in eurer Kajüte. Nur geht mir vorsichtig mit dem Feuer um.« Er schob die Waffe wieder in die Tasche, und seine sehnige, gestraffte Gestalt nahm wieder lässigere Haltung an. Indem er nach seiner Pfeife griff, die er auf den Kompaßstock gelegt hatte, fügte er hinzu: »Damit deine Neugier befriedigt wird, Boche Boche, unser Ziel ist Punta Garras, der südchilenische Hafen!«
Punta Garras bedeutete für mich nichts, gar nichts. Ich kannte es nicht. Aber mein Freund rief staunend: »Was willst du denn in dem gottverlassenen Nest?! Und – Monate brauchen wir bis dorthin!«
»Nein, genau einen Monat,« erklärte der Alte gelassen. »Ihr wißt noch nicht, was der Kutter zu leisten vermag. Wir werden Kap Horn vermeiden und durch den Panama schleusen, dann südwärts gehen … Wenn das Wetter nur einigermaßen günstig ist, schaffen wir’s in drei Wochen.« Und als wollte er uns beweisen, daß unser Motor bisher nur gespielt hatte, ließ er nun auch die beiden anderen Zylinder an … Durch den Rumpf ging’s wie ein Beben … Ein dicker, sprudelnder Schwall quoll am Heck hoch … »Wir haben nämlich zwei Schrauben,« sagte der Alte kühl. »Jetzt läuft der Torstensen zwölf Knoten, und frischt der Wind auf, fünfzehn. – Bist du zufrieden, Boche Boche?«
Der hatte sich in einen anderen Gedanken festgebissen. »Hm – gedenkst du etwa dort bei Punta Garras herum in den Bergen mit der Wünschelrute Gold zu suchen, Käpten?!«
Ein Lächeln glitt um Jörnsens harten Mund. Der Widerschein der Kompaßlampe fiel auf seine verwitterten Züge. In den jungen Augen erschien ein verächtlicher Ausdruck.
»Gold?! Was sollte ich wohl damit?!« erwiderte er ernst. »Nein, Gold hat mich noch nie gereizt, denn was man im Überfluß besitzt oder doch besitzen könnte, mein lieber Boche, das lockt niemand mehr …«
Mich überraschte diese Äußerung offensichtlich viel weniger als Freund Boche Boche, denn ich hatte nie recht daran geglaubt, daß Holger Jörnsen in seinem Alter – er mochte siebzig sein – sich noch auf Goldsucherabenteuer einlassen würde.
Mein Kamerad verhehlte sein Erstaunen, das gleichzeitig Enttäuschung über eine unrichtige Mutmaßung war, in keiner Weise. »Wie – – wirklich sollte es sich nicht um Gold handeln?!« rief er kopfschüttelnd. »Dann bist du mir erst recht unverständlich, Käpten … Das Geheimnisvolle, das deine Person und die deiner Frau umgibt, wird nur noch verstärkt, wenn …«
Jörnsen unterbrach ihn. Und auch jetzt war in seiner ganzen Art die kühle, selbstsichere Überlegenheit des gebildeten und auch ans Befehlen gewöhnten Mannes so hervorstechend wie bei all den bisherigen unliebsamen Auftritten mit dem zuweilen so krankhaft reizbaren Boche Boche.
»Mein Geheimnis bleibt mein Geheimnis, bis es mir selbst geeignet erscheint, euch beide einzuweihen … – Gute Nacht … Um elf Uhr beginnt deine Wache, Abelsen … Gute Nacht.«
Wir waren entlassen.
Wir faßten stumm an die Mützen und kletterten wieder in unsere Back hinab. Mein Kamerad sprach kein Wort, warf sich in Kleidern auf sein Bett und kehrte das Gesicht nach der Wand.
Ich nahm mir eins der Bücher vor, das Jörnsen mir geliehen hatte. Keins von denen auf dem Wandbrett. Nein – ein Spezialwerk über den Magelhaens-Archipel bei Kap Horn … Es führte den Titel »Letztes Land am Ende der Welt«, und der Verfasser war der chilenische Professor Rodrigo Pascaro. – Diese Lektüre sollte für mich später außerordentlich wertvoll werden.
6. Kapitel
Aus dem »Trompeter« …
Am nächsten Tage zeigte sich Jörnsen wieder genau so zugeknöpft wie bisher. Die Scheidewand, die Boche Boche und mich unsichtbar von dem Ehepaar trennte, blieb bestehen. Freilich, zu Zwistigkeiten kam es nicht mehr. Die Reise bis zum Panamakanal verlief ohne jeden Zwischenfall, und als wir dann erst im Stillen Ozean bei andauernd gutem Winde an der Westküste Südamerikas in unaufhaltsamer, gleichmäßiger Fahrt dem Hafen Punta Garras zustrebten, wurde die Langeweile oft geradezu geistestötend. So viel wie in jenen Wochen hatte ich bis dahin in meinem ganzen Leben noch nicht gelesen. Das Überraschende war, daß die Bibliothek Jörnsens unerschöpflich schien. Und doch ist es für einen gebildeten und an Sport und andere körperliche Bewegung und besonders an schaffende geistige Tätigkeit gewöhnten Menschen unmöglich, tagaus tagein lediglich Bücher zu verschlingen, nur damit die Zeit irgendwie ausgefüllt werde. So hatten denn Boche Boche und ich uns ein geregeltes Tagesprogramm geschaffen, bei dem Freiübungen, Boxen und Scheibenschießen mindestens vier Stunden ausfüllten.
Scheibenschießen …
Gewiß, die Damenpistole, die meine Retterin mir damals nachts übergeben hatte, lag auf dem Grunde des Atlantik. Aber eine gelegentliche Bemerkung dem Alten gegenüber, wie gern wir mal zum Zeitvertreib nach der Scheibe schießen würden, brachte uns in den Besitz von zwei tadellosen neuen Repetierbüchsen, Modell Sniders, neunschüssig, Kaliber sieben, und auch ein paar Pakete Patronen wurden uns anvertraut. – Es unterlag keinem Zweifel, daß der Kutter noch mehr Waffen und Munition in einem guten Versteck an Bord hatte. Bei der Zollkontrolle in Panama war ja der Torstensen aufs allergenaueste durchschnüffelt worden, denn den Herren Yankees dort wollte es durchaus nicht einleuchten, daß ein schwedischer Fischer nur zum Vergnügen ein Viertel der Weltmeere durchkreuzt hatte und sogar noch weiter wollte. Die Schiffspapiere waren jedoch in Ordnung, und Boche Boche und ich galten eben als unterwegs aufgelesene Schiffbrüchige. Verdächtig waren wir den Zöllnern – sogar sehr. Stundenlang hatten sie den Kutter durchstöbert, und schließlich gewann ich den Eindruck, daß Jörnsen die lästigen Herrschaften wohl nur durch einen dicken wertpapiernen Händedruck losgeworden war. – Das so nebenbei. Und noch etwas aus jenen zwei Tagen, da ich mit dem Backofen Panama und den großartigen Kanalanlagen ein unverhofftes Wiedersehen feierte. (1914 war ich zum ersten Male dort gewesen.) Im Hafen von Panama lag ein dänischer Frachtdampfer neben uns. Ich war gerade dabei, die Gallionfigur unseres Kutters, die den Oberleib eines gepanzerten Ritters wohl als Anspielung auf das bekannte wehrhafte Geschlecht der Torstensen darstellte, frisch zu vergolden und den Küraß zu versilbern, als ich in einer Ruhepause unseren Ankernachbar genauer ins Auge faßte. Hecksöör, Kopenhagen, stand in weißen Buchstaben am runden Heck. Und oben am Heck lehnte an der Reling ein Mann in weißer Bordjacke und mit weißer Schirmmütze, der mich unverwandt anglotzte. Als unsere Blicke sich begegneten, drehte er sich rasch um und verschwand hinter dem Heckaufbau. Nicht schnell genug, denn meine guten Augen hatten sein scharfes Profil bereits erfaßt. Es war zweifellos derselbe Herr, der sich im Rauchsalon der »Drottning Viktoria« beim Erscheinen der drei Kriminalbeamten weit nervöser gezeigt hatte als ich. – Ich hatte das Gefühl, daß auch er mich erkannt hatte, und diese leise Befürchtung gewann noch dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß ich denselben Mann gleich darauf mit dem Liggy zum Bollwerk rudern sah, wo soeben die Zöllner, die unseren Kutter so eingehend beehrt hatten, ihr Boot verließen. Der Mann sprach sie an und schlenderte mit ihnen davon. Zum Glück lichteten wir schon eine Viertelstunde später die Anker, und meine geheime Angst, hier womöglich als steckbrieflich verfolgter Ausbrecher festgenommen zu werden, war überflüssig gewesen. –
Abenteuer abseits vom Alltagswege … – Möglich, daß der Leser das, was ich bisher seit meiner Flucht aus dem verwanzten Staatshotel erlebt hatte, nicht gerade als so außerordentlich eigenartig einschätzt. Nun, all das bis jetzt nach