Kathy Porter wußte es nicht mit letzter Sicherheit zu ergründen. Sie beeilte sich, schloß auf und schlüpfte mit den übrigen Kunden in den Lift. Sie sorgte dafür, daß sie nicht in Lady Simpsons Blickfeld geriet.
Ihre Chefin unterhielt sich gerade nicht besonders leise mit ihrem Verehrer. Lady Simpson verfügte immerhin über einen energisch klingenden Baß, der nicht zu überhören war. Sie hatte sich zu einem Kaffee einladen lassen, und auch zu einem Kognak, wie sie deutlich hinzufügte.
Von der Seite aus studierte Kathy Porter das Gesicht des seriös aussehenden Mannes. Sie gewann sofort den Eindruck, es mit einer glatten Maske zu tun zu haben. Der Mann spielte mit Sicherheit seine Rolle. Aus Zufall hatte er sich bestimmt nicht an Lady Agatha herangemacht. Kathy Porters Mißtrauen wuchs.
Das oberste Stockwerk war erreicht.
Von hier aus führte eine breite Treppe zum Dachgarten, wo sich auch die Cafeteria befand. Der Seriöse geleitete Agatha Simpson, die einen recht aufgekratzten Eindruck machte, hinüber an einen Tisch, der in einer Art Nische stand. Höflich rückte er ihr den Stuhl zurecht und winkte dann der Bedienung.
Kathy Porter befand sich in Alarmstimmung.
Die Nische war nicht gut einzusehen. Falls der Mann etwas plante, hätte er sich keinen besseren Platz aussuchen können. Kathy Porter hielt Ausschau nach einem passenden Tisch, konnte aber leider nichts finden. Also blieb sie stehen und besichtigte die reichhaltig bestückte Kuchentheke.
Die Serviererin erschien mit dem Kaffee und einem gut gefüllten Kognakschwenker. Mylady hatte sich einen doppelten Kreislaufbeschleuniger bestellt, wie Kathy Porter automatisch feststellte.
Kathy löste sich von der Kuchentheke. Ihre Sorge wuchs. Die junge Dame wollte unbedingt einen Blick in die Nische werfen. Lady Simpson hatte sich auf ein Abenteuer eingelassen, das unter Umständen dramatisch werden konnte.
Leider wurde Kathy Porter genau in diesem Moment vom Geschäftsführer der Cafeteria angesprochen. Der Mann hatte ihre Unschlüssigkeit beobachtet und wollte Kathy unbedingt einen freien Tisch in Fensternähe besorgen. So bugsierte er sie sehr höflich, allerdings auch sehr nachdrücklich von der Nische weg. Um nicht aufzufallen, mußte Kathy notgedrungen der Aufforderung Folge leisten.
Sie passierte den Tisch hinter dem Paravant, der die Nische bildete. Kathy Porter sah gerade noch, wie Agatha Simpson sehr gekonnt den Kreislaufbeschleuniger hinunterkippte.
*
Norman Lower war sich seines Opfers sicher.
Die Alte war ihm auf den Leim gegangen, dachte er, und saß jetzt mit ihm an einem Tisch. Sie trank ihren Kognak und bemerkte überhaupt nicht, daß er blitzschnell ihren Kaffee präparierte. In diesen Dingen besaß der Berufskiller viel Erfahrung. Das war schließlich seine Methode, nach der er zu arbeiten pflegte.
Trank sein Opfer jetzt den Kaffee, so passierte zuerst mal gar nichts. Die ersten Anzeichen würden sich nach etwa dreißig Minuten einstellen, doch dann wollte er sich längst von seiner Bekanntschaft verabschiedet haben.
Nach weiteren dreißig Minuten hatte dann die schrullige Alte mit Herzkrämpfen zu rechnen. Wahrscheinlich würde sie Gleichgewichtsstörungen haben, vielleicht auch ohnmächtig werden. Mit Sicherheit landete sie aber in einem Krankenhaus. Und dort wurde dann der Schlußpunkt unter diesen Auftrag gesetzt. Man würde dieser Frau Anregungsmittel für das stolpernde Herz spritzen und sie damit töten! Genau diese Mittel verbanden sich mit seinem Gift zu der wirklich tödlichen Dosis ...
Norman Lower dachte an die zehntausend Pfund und an die Dummheit seiner bisherigen Opfer.
Lady Agatha hatte ihr Glas abgesetzt und griff wunschgemäß nach der Kaffeetasse. Der Mörder ließ sich nichts anmerken, lächelte höflich-neutral und bat um die Erlaubnis, sich eine Zigarette anzünden zu dürfen.
»Was für eine Frage«, dröhnte Lady Simpsons Baß ihm entgegen. »Ich werde mir gleich eine Zigarre zu Gemüt führen. Tun Sie sich nur keinen Zwang an!«
Der Berufskiller bedankte sich durch eine leichte Verbeugung und beobachtete, wie die ältere Dame die Tasse hochführte und ... jetzt wieder absetzte!
»Hoffentlich haben Sie nichts gegen Frauen, die rauchen?« erkundigte sich Agatha Simpson neckisch.
»Auf keinen Fall, Madam«, sagte der Mörder, der seine Enttäuschung geschickt verbarg. Warum, so fragte er sich, warum trank die Alte nicht endlich? Sie sollte es gefälligst hinter sich bringen. Er wolle noch den Zug erreichen, den er für den frühen Nachmittag gewählt hatte. Der Mörder lebte auf dem Land, fernab vom Leben und Treiben der Metropole London.
Endlich, sagte sich der Mörder, als Lady Simpson erneut die Tasse zum Mund führte. Er hatte sich inzwischen die Zigarette angezündet und nickte ihr neutral zu.
Ja, jetzt war es endlich soweit! Der Tassenrand hatte bereits die sich öffnenden Lippen erreicht...
»Normalerweise lasse ich mich nicht ansprechen«, stellte Agatha Simpson in diesem Augenblick fest und ließ die Tasse wieder sinken.
»Selbstverständlich nicht, Madam.« Der Mörder lächelte und griff nun seinerseits nach der Tasse. Durch sein Beispiel wollte er die Schrullige animieren. Warum trank sie denn nicht? Mußte sie unbedingt solch einen verdammten Unsinn reden ...?
Sein Beispiel steckte an.
Sie hob erneut die Tasse und führte sie zum Mund. Der Mörder trank ein wenig und musterte seine Tischpartnerin dabei über den Tassenrand. In der nächsten Sekunde war es soweit. Gleich mußte auch die Detektivin den ersten tödlichen Schluck zu sich nehmen. Um sie in Stimmung zu halten, trank der Mörder weiter und setzte dann die leere Tasse ab. Wohlig lehnte er sich zurück.
»Ausgezeichneter Kaffee«, meinte er. Sein Ton war immer noch höflich und verbindlich, obwohl er nun doch leicht gereizt war. Die verrückte Alte hatte immer noch nicht getrunken. Ja, sie setzte die Tasse sogar wieder ab und lächelte zurück ...
Doch es war nicht dieses Lächeln, das er eben erst noch in ihren Augen gesehen hatte. Es war ein anderes Lächeln, kalt und auch ein wenig boshaft.
»Ausgezeichneter Kaffee«, stellte Agatha Simpson dann ebenfalls fest. Sie sprach mit einer seltsamen Betonung.
Der Mörder stutzte und verlor teilweise die Selbstbeherrschung. Eine schreckliche Ahnung dämmerte in ihm. Er hüstelte und sah Lady Simpson verdutzt an.
»Ein wunderbarer Kaffee«, sagte die ältere Dame jetzt deutlich boshaft. »Möge er Ihnen bekommen!«
Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.
Norman Lower hatte begriffen. Er wußte zwar genau, daß sie unmöglich Zeit und Gelegenheit gehabt hatte, die beiden Tassen zu vertauschen. Es war einfach ausgeschlossen, daß er den vergifteten Kaffee gerade getrunken hatte. Und dennoch mußte sie es geschafft haben! Nackte Angst würgte den Berufsmörder. Er schnappte nach Luft, beugte sich vor, sah wieder die Boshaftigkeit in ihren Augen und wollte aufspringen. Er mußte so schnell wie möglich zu einem Arzt. Wenn er sich beeilte, wenn man ihm den Magen auspumpte, dann war ihm vielleicht noch zu helfen ...
»Sie dummer Lümmel!« Lady Agathas Stimme klang wie eine tiefe Orgel. »Lassen Sie sich Ihr Lehrgeld zurückzahlen.«
Der Berufskiller drückte sich hoch... setzte sich dann wieder. Er tat es nicht freiwillig, sondern nahm Platz, weil ihn Myladys Pompadour an der linken Schläfe getroffen hatte. Da sich in diesem Handbeutel ein echtes Hufeisen befand, das nur andeutungsweise mit Schaumgummi umgeben war, fiel die Berührung sehr nachdrücklich aus. Der Mann hatte das deutliche Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein.
Agatha Simpson sah grimmig auf den ohnmächtigen Mann, der weich und schlaff in seinem Sessel hing. Sie hatte sich also keineswegs getäuscht. Dieser Flegel war auf ihren Bluff hereingefallen und mußte ihr aus irgendwelchen Gründen etwas in den Kaffee gegeben haben. Sie fand das empörend.
Die Detektivin wuchtete sich hoch und kümmerte sich um den seriös aussehenden Mann. Bevor