Frank Fellowe gestand sich ein, daß er in gewisser Weise Anstoß erregen mußte und daß Gurdens Groll gegen ihn vielleicht in seinem eigenen sonderbaren Benehmen begründet war. Er beschloß, nicht weiter darüber nachzudenken, und machte sich auf den Weg zur Croome Street, wo sein Haus lag.
Als er dort ankam, schloß er die Haustür auf und ging in das Wohnzimmer.
Die Wände waren mit einem modernen Muster bemalt. Auch die Möbel ähnelten der üblichen Einrichtung solcher Häuser nur wenig. Allein der alte, kostbare Stich, der über dem Kamin hing, mußte das Jahreseinkommen eines Polizisten gekostet haben. Der kleine, mit hübschen Schnitzereien verzierte Tisch, der in der Mitte des Teppichs stand, war zweifellos ein echtes Stück, ebenso die Sessel, Stühle und das Büfett. Obwohl sie aus verschiedenen Stilperioden stammten, paßten sie doch sehr gut zusammen.
Ein helles Feuer brannte im Kamin, denn der Abend war bitter kalt. Fellowe blieb vor dem Kamin stehen und betrachtete die beiden Briefe, die dort auf ihn warteten, legte sie aber wieder zurück und trat durch eine Schiebetür in sein Schlafzimmer.
Er hatte einen sehr angenehmen Hauswirt. Im allgemeinen waren die Hauseigentümer in Somers Town, besonders, wenn sie eins der kleinen Häuser auf diesem teuren Grund und Boden besaßen, nicht leicht dazu zu bewegen, Reparaturen und Verbesserungen an den Gebäuden vornehmen zu lassen, wie Frank Fellowe sie gewünscht hatte. Ein anderer Hauswirt würde kein so geräumiges Badezimmer eingebaut haben, aber Franks Hauswirt war eben ein außergewöhnlicher Mann.
Nachdem Frank Fellowe ein Bad genommen hatte, legte er Zivilkleidung an, kochte sich eine Tasse Tee, zog einen langen, warmen Mantel über und verließ das Haus, nachdem er sich eine halbe Stunde dort aufgehalten hatte.
Er wandte sich nach Westen. Am King’s-Cross-Bahnhof rief er ein Auto an und ließ sich zum Piccadilly Circus fahren. Bevor er aber diesen historischen Platz erreicht hatte, klopfte er an das Fenster und ließ sich absetzen, um zu Fuß weiterzugehen.
*
Am gleichen Abend um elf Uhr verließ Sergeant Gurden die Polizeistation. Obgleich er äußerlich ruhig schien, kochte er doch innerlich vor Ärger und Wut.
Seine Abneigung gegen Frank Fellowe war während der letzten Wochen noch besonders gesteigert worden durch die Haltung, die der junge Mann gegenüber Oberst Black, seinem besonderen Schützling, eingenommen hatte.
Gurden erschien den Beamten seines Bezirks ebenso rätselhaft wie Frank Fellowe, ja vielleicht sogar noch rätselhafter, denn das Geheimnis seines Lebens schien düsterer zu sein als das des jungen Polizisten.
Gurden wurde von maßlosem Ehrgeiz gequält. Zu Beginn seiner Laufbahn hatte er gehofft, sich bei der Polizei rasch auszuzeichnen; da ihm aber die nötige Schulbildung fehlte und sein Wesen allzu abstoßend und schroff war, hatte er trotz seines Eifers nicht recht vorwärtskommen können.
Er hatte schließlich die Grenzen seiner Fähigkeiten erkannt und eingesehen, daß ihm keine Hoffnung auf Beförderung zum Polizeiinspektor oder zu einem höheren Rang blieb, die jedem Polizisten winkt. Man sagt ja auch, daß jeder Soldat den Marschallstab im Tornister trägt – obwohl selten genug aus einem Soldaten ein Feldmarschall wird.
Gurdens gekränkter Ehrgeiz suchte sich nun ein anderes Feld: Gelderwerb. Der Sergeant konzentrierte all sein Sinnen und Trachten darauf, ein Vermögen anzuhäufen. Seine Sparsamkeit, sein Geiz und seine unersättliche Habgier waren in der Londoner Polizei bald sprichwörtlich geworden.
Oberst Black war sehr liebenswürdig zu ihm gewesen, und Geldgier und Habsucht stimmten Gurden den moralischen Eigenschaften seines Wohltäters gegenüber nachsichtig. Der Sergeant gehörte nicht zu den Beamten, die Gesetzesübertretern mit Vorbedacht und Absicht helfen; aber man konnte auch nicht behaupten, daß ein nicht konzessionierter Börsenmakler, dem sich kein Betrug nachweisen ließ, in seinen Augen ein minderwertiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft war.
Die beiden hatten sich miteinander verabredet, und Gurden war jetzt auf dem Wege zu Blacks Wohnung. Das Haus des Obersts lag an einem der früher sehr geschätzten Plätze von Camden Town; er war sichtlich wohlhabend, denn er besaß eine luxuriös eingerichtete Wohnung an den Serrington Gardens.
Gurden hatte keine Zeit, sich umzuziehen. Aber das war auch nicht notwendig, wie er sich sagte, denn seine Beziehungen zu Oberst Black waren derart, daß es sich erübrigte, gesellschaftliche Regeln zu beachten.
*
Um diese Zeit des Abends lag der Platz verlassen da. Gurden ging zum Kücheneingang von Blacks Haus und klingelte.
Die Tür wurde sofort von einem Diener geöffnet.
»Sind Sie es, Sergeant?« hörte der Beamte eine Stimme aus dem Dunkel, als er zu der finsteren Diele hinaufstieg.
Gleich darauf drehte Oberst Black das elektrische Licht an und streckte seinem Besucher die Hand zur Begrüßung entgegen.
»Ich bin sehr froh, daß Sie gekommen sind.«
Gurden nahm Blacks Hand und schüttelte sie herzlich.
»Ich bin hier, um mich zu entschuldigen«, begann er. »Ich habe diesen Konstabler Fellowe ernstlich verwarnt.«
Der Oberst machte eine abwehrende Handbewegung.
»Ich möchte nicht, daß einer Ihrer Leute durch mich Unannehmlichkeiten bekommt, aber das Benehmen dieses Menschen ist wirklich unentschuldbar und unerträglich.«
»Ich kann Ihren Ärger wohl verstehen. Aber Sie wissen ja auch, daß diese jungen Beamten immer etwas übereifrig sind und dazu neigen, ihre Befugnisse zu überschreiten.«
Gurden sprach sehr höflich, fast bittend, da er den Oberst davon überzeugen wollte, daß er das Verhalten seines Untergebenen in jeder Weise mißbilligte.
Das schien ihm auch gelungen zu sein, denn Black nickte ihm wohlwollend zu.
»Wir wollen nicht weiter darüber sprechen. Ich bin ganz sicher, daß der junge Polizist mich nicht absichtlich verletzen oder beleidigen wollte.«
Er führte seinen Gast in ein geräumiges Wohnzimmer, das in dem hinteren Teil des Hauses lag. Auf dem Tisch standen Whisky und Zigarren bereit.
»Bedienen Sie sich, Sergeant.«
Mit einigen Dankesworten ließ sich der Beamte in dem behaglichen Sessel nieder, den der Oberst ihm zurechtrückte.
»In einer halben Stunde muß ich wieder auf dem Revier sein – wenn Sie mich dann entschuldigen wollen.«
»Bis dahin haben wir sicher alles besprochen. Zunächst möchte ich Ihnen noch für alles danken, was Sie schon für mich getan haben.«
Black nahm zwei Banknoten aus seiner Brieftasche und legte sie auf den Tisch in Reichweite des Sergeanten.
Gurden protestierte schwach, aber seine Augen leuchteten bei dem Anblick der Scheine auf.
»Ich fürchte, ich habe nicht so viel für Sie tun können, daß ich das verdiene.«
Der Oberst lächelte und schob die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen.
»Ich zahle selbst für kleine Dienste gut, Sergeant. Ich habe viele Feinde – Leute, die meine Absichten falsch auslegen –, und es ist wichtig, daß ich vor ihnen gewarnt werde.«
Nachdenklich ging er im Zimmer auf und ab.
»Für Leute, die nun einmal das Pech haben, sich mit Finanzgeschäften abgeben zu müssen, ist es nicht leicht, in England zu leben«, fuhr er fort.
Gurden murmelte ein paar zustimmende Worte.
»In unserem Geschäft, mein lieber Sergeant, kömmt es häufig vor, daß Leute enttäuscht sind, wenn sie nicht so viel verdienen, wie sie