Helder lachte höhnisch. Maple schaute ihn von unten herauf an.
»Lachen Sie nicht«, sagte er mit unsicherer Stimme. »Sie sprechen von einer Zeit, in der ich verantwortungslos handelte und mir meiner Vergehen gar nicht bewußt war – heute ist das anders!« Plötzlich warf er den Kopf zurück! »Ich war ein Trinker, bin es auch heute noch – und darauf haben Sie gebaut. Ich kenne Sie. Und ich kenne auch mich selbst.«
Sein Kopf sank wieder auf die Brust, und er starrte scheinbar teilnahmslos vor sich hin.
Helder und Tiger Brown wechselten einen schnellen Blick und sahen dann Clinker an, aber der schüttelte den Kopf, als ob damit eine unausgesprochene Frage beantwortet wäre.
»Los, Maple, kommen Sie«, sagte Helder freundlich. »Wir wollen zusammen einen trinken und dabei die ganze Angelegenheit besprechen.«
Maple erhob sich und stützte sich mit den Händen auf die Tischplatte. Helder beobachtete erstaunt, wie sich seine Haltung plötzlich verändert hatte, wie entschlossen und ruhig er aussah.
»Ich werde nichts trinken«, sagte er dann bestimmt. »Das ist ein fester Entschluß – ich will nüchtern bleiben, ein für allemal. Daß ich tief gesunken bin, weiß ich – aber jetzt will ich wieder aufwärts!«
Helder schoß das Blut ins Gesicht.
»Reden Sie keinen Unsinn, Maple. Für Sie gibt es keine Reue und kein Zurück mehr – weder für Sie noch für mich. In dieser Sache hier hängen Sie genauso drin wie wir, und Sie müssen jetzt so lange bei uns aushalten, bis wir unser Schäfchen im Trockenen haben.«
Maple schüttelte nachdrücklich den Kopf.
»Hören Sie« – Helder trat dicht auf ihn zu –, »glauben Sie vielleicht, ich würde Sie jetzt freilassen, damit Sie zur Polizei rennen und mich anzeigen? Meinen Sie, ich hätte Lust, zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt zu werden? Bilden Sie sich bloß keinen Augenblick ein, daß ich meine Freiheit und meine Stellung in der Gesellschaft aufzugeben gedenke!« Er lachte, diese Vorstellung schien ihn geradezu zu belustigen. »Nein, mein Lieber, wenn ich je Pech haben sollte und entdeckt werde, dann mache ich selber Schluß – dafür habe ich vorgesorgt. Aber eines will ich Ihnen sagen – und schreiben Sie sich das hinter die Ohren –; wenn ich bereit bin, mich selbst umzubringen, dann bin ich auch imstande, jemand anderes ins Jenseits zu befördern! Ich habe betrogen, gelogen und gestohlen, um mein Vermögen zusammenzubringen – und es soll mir auf einen Mord nicht ankommen, wenn zwischen mir und dem Gelingen des letzten großen Coups jemand steht. Kapiert?«
Maple sah ihn gleichgültig an und schüttelte den Kopf.
»Sie haben mich anscheinend nicht verstanden«, sagte Helder wütend. »Ich wiederhole noch einmal, daß ich keine Rücksicht nehme, wenn Sie sich nicht fügen. Sie müssen diese englischen Noten in Angriff nehmen – und zwar sofort! Zur Zeit befaßt sich die Polizei eingehend mit den amerikanischen Scheinen, und es wird nicht mehr lange dauern, bis sie hinter den französischen Banknoten her sind.«
Maple zeigte plötzlich Interesse an der Unterhaltung.
»Sind die französischen Scheine schon auf den Markt gekommen?« fragt er erregt.
Helder nickte.
»Die erste Lieferung ist bereits hinausgegangen. Wollen wir uns nicht lieber wieder vertragen, Maple?« fragte er dann und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. »Werden Sie das tun, was ich Ihnen gesagt habe?«
Maple zuckte schwach die Schultern.
»Vielleicht«, antwortete er. »Es wird mir nichts anderes übrigbleiben. Ich habe eine gewisse Verantwortung – meine Nichte ist nicht versorgt.«
Helder unterdrückte ein Lächeln.
»Machen Sie sich um Ihre Nichte keine Sorgen – es geht ihr gut.«
Clinker hob plötzlich warnend die Hand. Alle lauschten angestrengt.
»Es kommt jemand die Straße entlang; ich will mal nachschauen, wer es ist.«
Mit diesen Worten ging er hinaus und schloß die Tür hinter sich. Sie hörten, wie kurz darauf die Haustür geöffnet und nach einer Weile wieder geschlossen wurde.
Einige Minuten später war Clinker wieder oben und brachte ein Telegramm.
»Es war nur der Postbote«, sagte er. »Für Sie.«
Brown nahm den Umschlag, öffnete ihn und las aufmerksam.
»Was gibt es?« fragte Helder.
»Schriener wurde in Paris verhaftet, als er versuchte, Tausendfrancnoten zu wechseln.«
Seine Stimme war unsicher.
Die beiden sahen einander an. Browns Gesicht zuckte nervös, und Helder war blaß geworden. Clinker blieb auch jetzt völlig gleichgültig.
Bei den Worten Browns hatte Maple den Kopf gehoben.
»Eine Tausendfrancnote, sagten Sie? War das etwa eine, die von Platten gedruckt wurde, die ich graviert habe?« fragte er lauernd.
Helder nickte bestätigend.
»Hm«, machte Maple, um dann wieder in seinen alten Zustand der Lethargie zurückzufallen.
Helder und Brown fuhren in der Abenddämmerung nach London zurück. Beide schwiegen. Erst als sie in die Nähe von Waltham Cross kamen, begann Brown plötzlich: »Finden Sie nicht, daß sich Maple ziemlich merkwürdig benommen hat?«
Helder saß wieder am Steuer und schaute vor sich hin auf die Straße.
»Er glaubt, daß es mit uns zu Ende geht«, sagte er nach einer Pause.
Tiger wartete, ob Helder fortfahren würde, aber da dieser hartnäckig schwieg, sprach er weiter.
»Ihre Drohungen Maple gegenüber waren wohl nicht so ernst gemeint?«
»Ich wollte ihn durchaus nicht bluffen«, entgegnete Helder scharf. »Es würde mir nichts ausmachen, ihn oder jeden andern, der mir ins Gehege kommt, umzulegen.«
Weiter wurde kein Wort mehr gesprochen. Helder setzte seinen Begleiter in der City ab und fuhr zu einer Garage, wo er seinen Wagen abstellte. Von dort ging er zur Curzon Street. Er fühlte, daß das Netz um ihn enger gezogen wurde. Der Russe saß bereits im Gefängnis, Schriener befand sich in den Händen der französischen Polizei, und Maple wollte auch nicht mehr mitmachen. Besonders in Maple hatte er sich schwer geirrt; er hatte doch zu sehr auf seine Trunksucht gebaut.
Helder ging in sein Arbeitszimmer, wo ein kleiner Stapel Post auf ihn wartete. Gerade in der letzten Zeit hatte er in der vornehmen Gesellschaft Londons richtig Fuß gefaßt, und die Einladungen häuften sich. Er zitterte bei dem Gedanken, was passieren würde, wenn sein Plan mißglückte.
Schnell sah er die Briefe durch, stutzte aber plötzlich, als er ein Schreiben des Chefredakteurs des ›Post Journal‹ geöffnet hatte:
»Würden Sie die Liebenswürdigkeit haben, uns möglichst umgehend aufzusuchen? In der Comstock-Bell-Sache ist eine neue Entwicklung eingetreten, und da Sie uns schon vor einiger Zeit so viele wertvolle Informationen gegeben haben, nehmen wir an, daß Sie uns auch hier helfen können. Wir haben nämlich allen Grund zu der Vermutung, daß Mrs. Verity Bell tot ist.«
Helder