Gesammelte Werke von Sacher-Masoch. Леопольд фон Захер-Мазох. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Леопольд фон Захер-Мазох
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207350
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aber die Zarin Katharina die Zweite schien noch immer nicht daran zu denken, das festliche Petersburg mit dem idyllischen Landaufenthalt von Zarskoje Selo zu vertauschen.

      In der geräumigen weißgetünchten Wachstube schliefen die Soldaten sitzend, aus Furcht, ihre großen festgewickelten Zöpfe zu beschädigen; in dem kleinen anstoßenden Offizierszimmer lagerten Lieutenants und Junker von den verschiedensten Regimentern um einen langen schmierigen Tisch und spielten Onze et demi; sie spielten bereits den ganzen Nachmittag und spielten bis in die Nacht hinein bei dem spärlichen Lichte einer kleinen Öllampe, welche von der rußigen Decke herabhing. Nur einer spielte nicht. Es war ein junger schlanker Offizier mit blühendem Gesicht und großen hellblauen Augen unter dunklen Wimpern und dunklen Brauen, welche sich beinahe kokett von dem weißen Toupet abhoben. Er saß, die Beine weit von sich gestreckt, die Hände nach rückwärts in die Taschen seines grünen Uniformrockes versenkt, in einer finstern Ecke und starrte vor sich hin.

      Jetzt verließ auch ein Zweiter den Spieltisch; er atmete auf und blickte um sich, dann näherte er sich dem Kameraden in der Ecke.

      »Du spielst nicht mehr, Koltoff?« begann er, die Hand auf seine Schulter legend.

      »Nein – und Du?«

      »Ich bin fertig,« erwiderte der Zweite. »Ich habe alles verspielt.«

      »Ich auch,« sprach Koltoff, »aber bei Dir, mein lieber Lapinski, bedeutet dies im Grunde nichts, oder doch nicht viel. Eine Karambole mit Deinem teueren Vater, eine Sittenpredigt, und damit gut. Ich bin ruiniert. Ich habe entsetzlich viel Schulden, wie Du weißt, und keinen Vater, der sie zahlen würde, nicht einmal einen Onkel, den ich beerben könnte; ich habe heute meine Gage verspielt in der wahnsinnigen Hoffnung, das Glück könnte mir lächeln und mir ein paar Tausend Rubel in den Schoß werfen wie neulich dem Grafen Saltikoff, und jetzt stehe ich da ohne eine Kopeke, und in ganz Rußland giebt es niemand mehr, der mir eine Kopeke leiht. Mir bleibt also nichts übrig, als mich zu erschießen.«

      »Hör’ mir auf,« erwiderte sein Freund. »Wie Du richtig bemerkt hast, gilt es nur eine Karambole mit meinem teuren Vater, und wir haben Geld.«

      »Das heißt, Du hast Geld.«

      »Nein, wir.«

      »Ich kann doch nicht –«

      »Was kannst Du nicht?«

      »Von Deinem Gelde leben,« sprach Koltoff; »die Ehre gebietet mir, mich zu töten.«

      »Ah! ich glaube, Du hast zu viel getrunken,« erwiderte Lapinski, die Achseln zuckend; »aber sage mir lieber gleich, wie viel Du brauchst, es geht in Einem.«

      Koltoff schwieg.

      »Nun, wenn Du durchaus nicht willst,« sprach Lapinski ärgerlich, »ich dränge meine Liebe und Freundschaft niemandem auf.«

      Damit stülpte er den dreieckigen goldbordierten Hut so heftig auf seinen wohlgepuderten Kopf, daß eine weiße Wolke aus demselben emporwirbelte, und verließ sporenklirrend die Wache; als er jedoch vor dem niedrigen Thore seines Wohnhauses stand und bereits den Klopfer in der Hand hatte, da fielen ihm die Worte seines Kameraden schwer und beängstigend auf die Brust; er kehrte um und ging mit raschen Schritten zu Koltoff’s Wohnung, sprang über die Planke, welche den Hof derselben umfaßte, und die morsche Holztreppe empor.

      Durch die Thüre seines Freundes fiel ein weißer Streifen Licht auf die Diele. Er war also gleichfalls nach Hause zurückgekehrt und noch wach. Lapinski klopfte. Keine Antwort. Er klopfte stärker und rief zugleich: »Um Gottes willen, mach auf; Geld, es ist Geld da für Dich!«

      Nun hörte er Schritte, dann wurde eine Lade zugeschoben, endlich öffnete Koltoff.

      Lapinski erschrak über die Veränderung, die in so kurzer Zeit mit seinem Freunde vorgegangen war; das Haar hing ihm wirr in das bleiche Gesicht, die Augen waren tief in ihren Höhlen eingesunken und zeigten ein unheimliches, unruhiges Feuer.

      Lapinski hatte instinktmäßig, als wenn er ihn von einem Vorhaben abhalten wollte, seine Hand ergriffen und blickte verstört im Zimmer umher, ohne daß er etwas Verdächtiges entdecken konnte, dann näherte er sich rasch dem Tische, welcher in der Fenstertiefe stand und auf dem Koltoff zu schreiben pflegte. Dieser machte eine Bewegung, aber schon hatte der Kamerad eine Lade hervorgezogen und in derselben die Pistole entdeckt, deren Hahn noch gespannt war.

      »Also wirklich?« stammelte Lapinski; mehr vermochte er im Augenblicke nicht.

      Beide schwiegen einige Zeit. Dann nahm Lapinski das Wort. »Habe ich Dir nicht gesagt, daß ich Dir Geld schaffen will?«

      »Ich erkenne Deine treue Freundschaft von ganzem Herzen an,« erwiderte Koltoff, »aber ich bin nicht imstande, auf fremde Kosten zu leben. Es handelt sich ja bei mir nicht um momentane Hülfe. Es fehlt jede Aussicht für die Zukunft, und wenn ich auch von Brot und Wasser leben und Spiel und Frauen für immer abschwören will, wie soll ich von meiner elenden Lieutenantsgage meine Schulden zahlen? Zuletzt wird mir doch nichts übrig bleiben als – eine Kugel.«

      »Sollte es wirklich keinen anderen Ausweg mehr geben?« sprach Lapinski. »Laß uns nachdenken. Aber versprich mir vor allem, nichts gegen Dein Leben zu unternehmen, ehe unser Witz sich nicht erschöpft hat. Gieb mir die Hand darauf.«

      »Unter Bedingungen,« entgegnete Koltoff.

      »Gut,« entschied der erstere, »wenn wir binnen einem Monate zu keinem Resultate gelangt sind, steht es Dir frei –«

      »Mich zu erschießen?«

      »Zu erschießen, zu ersäufen, zu vergiften, rädern zu lassen, was Dir besser gefällt.«

      »Abgemacht.«

      Die Kameraden schüttelten sich herzlich die Hände.

      »Aber was hast Du für ein Projekt?« begann Koltoff.

      »Vor der Hand noch gar keins,« erwiderte Lapinski, »aber mir ist nicht bange darum. Gäbe es etwas erfinderischeres auf der Welt als das Hirn eines Lieutenants? Also gieb Acht! Fangen wir gleich mit dem Kühnsten an. Stürze Orloff und schwinge Dich zum Günstling der Zarin auf.«

      »Was fällt Dir ein!« rief Koltoff.

      »Warum nicht?« meinte der Kamerad. »Die Geschichte ist nur halb so lebensgefährlich wie das Erschießen, Du bist ein hübscher Junge, es muß Dir gelingen.«

      Koltoff antwortete mit einem lauten Lachen.

      »Warum lachst Du?« fuhr Lapinski fort. »Heutzutage ist alles möglich, alles, sag ich Dir, das Wunderbarste und Seltsamste, genau so wie zu Zeiten des Kalifen Harun al Raschid. Aber ich sehe, zu einem solchen Wagestück hast Du nicht den Mut, oder ist Katharina die Zweite vielleicht nicht ganz nach Deinem Geschmacke? Ziehst Du die schwarzen Augen vor?«

      »Genug des Spaßes!« sagte hierauf Koltoff, »der Weg, den ich gehen soll, muß vor allem ein ehrlicher sein.«

      »Hm« – Lapinski sann nach. »Ich hab’ es« schrie er plötzlich auf. »Ich hab’ es. Du mußt heiraten.«

      »Heiraten?« Nein, da will ich mich lieber erschießen,« erwiderte der Lieutenant mit dem Ausdrucke wirklichen Entsetzens in dem jugendlichen Gesichte.

      »Verloren bist Du einmal,« lachte der Kamerad, »so wähle mindestens die angenehmste Todesart und – heirate.«

      »Angenommen, ich könnte mich entschließen,« sprach Koltoff, »wo fändest Du eine Frau für mich; eine reiche Frau, die den armen verschuldeten Offizier die Hand reichen würde?«

      »Nichts leichter als das,« erwiderte Lapinski, »ein armes Mädchen zu finden, das Dich nimmt, aus purer Liebe nimmt, das hielte schwer; unsere Fräulein vom alten Adel und leerem Geldsack spekulieren sämtlich auf Generäle oder mindestens auf einen reichen Bojaren vom Lande; aber eine Dame, die selbst ein großes Vermögen hat, kann sich schon den Luxus gestatten, einen Mann zu nehmen, den sie liebt.«

      Koltoff lächelte. »Du hast vielleicht schon eine Braut für mich in petto

      »Warum