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übersetzte und so dessen Erfolg in Europa tatkräftig Vorschub leistete –, die ihn als den Wegbereiter einer neuen Poesie feierten. Im konservativen intellektuellen Klima der damaligen USA dagegen wurde Poe als Exzentriker betrachtet, und noch heute gilt er dem Augsburger Amerikanisten Hubert Zapf zufolge »als Prototyp des Schriftstellers, als romantischer Außenseiter, der in der materialistisch eingestellten amerikanischen Gesellschaft keine Überlebenschancen hat«1.

      Gerade in dieser Autonomie von der äußeren Wirklichkeit, seinem Interesse an den Nachtseiten der menschlichen Psyche und seiner symbolischen ›Traumsprache‹ liegt der große Einfluss begründet, den Poes Werke auf die französische Lyrik ausübten, die ihrerseits wegbereitend für die literarische Moderne war. Auch seine theoretischen Überlegungen hinsichtlich des Wesens der Lyrik erwiesen sich als höchst wirkungsmächtig; der ›Nachtseitenpoet‹ war einer der Wegbereiter der pure poetry oder poésie pure, die die Kunst selbst als alleinigen Zweck der Kunst betrachtete. Für Poe stand allein das Schöne im Mittelpunkt des Gedichts – das Schöne in der Sprache, im Rhythmus, in der Metrik und im Gegenstand der Lyrik, wobei er allerdings die Melancholie zur höchsten ästhetischen Emotion erklärte. Deren angemessenstes Sujet, so Poe, sei der Tod einer schönen Frau, und so drehen sich seine bekanntesten Gedichte, wie Der Rabe, Anabel Lee und Lenore, um diese Thematik. Poe erhob außerdem die Musikalität zum höchsten Prinzip seiner ästhetizistischen Dichtung und führte eine ganz neue Verssprache in die englischsprachige Literatur ein, die in erster Linie auf der Rhythmik der Sprachmelodie beruht. Des Weiteren proklamierte er die Verbindung von »symmetry and strangeness«, wie er in seiner Erzählung Ligeia schreibt, von idealisierter Schönheit mit bizarren Verfremdungselementen. Dadurch entstanden in seiner Lyrik oft dunkle, apokalyptische Bilder, welche die für Poe so typische Atmosphäre des Unheimlichen erzeugen.

      Obwohl Poe auch satirische und humoristische Erzählungen verfasste, ist auch seine Prosa für dieses Unheimliche bekannt; er selbst bezeichnete sie als ›grotesk‹ oder ›arabesk‹. Damit meinte er die Atmosphäre der Irrationalität und Fantastik, der Exotik und des inneren Verfalls, die er in seinen Geschichten erzeugt. Diese sind von der europäischen Schauerromantik inspiriert, verwandeln dieses Genre jedoch in ein Medium der Erforschung innerseelischer, dysfunktionaler Zustände. Poes Erzählungen werden so zu einem frühen Ausdruck der Krise des Subjekts, die die Entwicklung zur Moderne charakterisiert. Dies schlägt sich auch in Poes Erzählstil nieder, der von analytischer Beobachtung bis hin zur dramatischen Unmittelbarkeit reicht. Nicht selten wählt sich der Nachtseitenpoet vom Wahnsinn gezeichnete narrative Stimmen.

      Nicht nur auf dem Gebiet der grotesken Erzählung betrat Poe Neuland. Vielmehr schuf er mit seinen tales of ratiocination – von denen Der Mord in der Rue Morgue (The Murders in the Rue Morgue, 1841) die erste ist – das Genre der Detektivgeschichte mit all seinen charakteristischen Merkmalen: die analytischen Verfahren der Wahrheitsaufdeckung; die Inkompetenz der Polizei; die Figur des naiven Freundes, der als Erzähler fungiert; und die Figur des Meisterdetektivs mit seiner überlegenen Verstandesschärfe. So ist Edgar Allan Poe und nicht Sir Arthur Conan Doyle (1859–1930) der Vater des ›Helden der Logik‹, der in Sherlock Holmes seinen berühmtesten Vertreter gefunden hat.

      Nicht zuletzt ging Edgar Allan Poe als einer der Schöpfer und Theoretiker der short story, der Kurzgeschichte, in die Literaturgeschichte ein; er argumentierte für die Dichte und Kürze einer Prosaerzählung und etablierte die unity of effect (›Einheit des Effekts‹), das heißt die Erzeugung einer ganz bestimmten, einheitlichen Atmosphäre, als entscheidendes Merkmal der Kurzgeschichte (im Gegensatz zum Roman). So war es dem Nachtseitenpoeten Poe, der die Lyrik als seine Leidenschaft bezeichnete, letztendlich beschieden, als Meister der Kurzprosa in das literarische Gedächtnis einzutreten.

       Wichtige Werke:

      Ligeia (Ligeia, 1838)

      The Fall of the House of Usher (Der Untergang des Hauses Usher, 1839)

      William Wilson (William Wilson, 1839)

      The Murders in the Rue Morgue (Der Mord in der Rue Morgue, 1841)

      The Masque of the Red Death (Die Maske des roten Todes, 1842)

      The Black Cat (Die schwarze Katze, 1843)

      The Tell-Tale Heart (Das verräterische Herz, 1843)

      The Raven (Der Rabe, 1845)

      Eureka. A Prose Poem (Heureka. Ein Prosagedicht, 1848)

      The Poetic Principle (Das dichterische Prinzip, 1850)

      1 Unter dem Byronic hero, dem Byronschen Helden, versteht man die Figur des geheimnisvoll-düsteren romantischen Helden, den Lord Byron in seinen Dichtungen popularisierte und in gewisser Weise selbst lebte.

      2 Poes erster Gedichtband erschien bereits 1827 unter dem Titel Tamerlane and Other Poems.

      1 Als Poe und Virginia Clemm im Jahr 1836 heirateten, zählte die Braut zarte 13 Jahre – eine Tatsache, die das ihrige zum Ruf des Dichters und Literaturkritikers als verruchter Byronic hero beitrug. Manche behaupten allerdings, die Beziehung zwischen Poe und Virginia sei eher geschwisterlicher und asexueller Natur gewesen.

      1 Hubert Zapf: »Romantik und ›American Renaissance‹ «. in: Hubert Zapf (Hg.): Amerikanische Literaturgeschichte. Stuttgart/Weimar: Metzler 2004. S. 85–153. hier: S. 110.

      HERMAN MELVILLE

      (1819–1891)

       Ishmael – Der Seefahrer und der amerikanische Prometheus

       Die Frage nach dem amerikanischen Nationalepos kann nicht eindeutig beantwortet werden; vielmehr teilen sich diesen Titel drei Werke von gleichgroßer Bedeutung: Huckleberry Finn (Adventures of Huckleberry Finn, 1855) von Mark Twain (1835–1910), die Grashalme (Leaves of Grass, Endfassung 1881/82) von Walt Whitman (1819–1892) und Herman Melvilles Moby Dick (1851). Letzterer gehört zu den berühmtesten Romanen der Weltliteratur überhaupt. Die mythisch überhöhte Jagd Captain Ahabs auf den Weißen Wal ist zum kulturellen Symbol geworden für den Kampf des sich selbst absolut setzenden Individuums gegen eine Naturgewalt, die jenseits des Beeinflussbaren liegt.

      Die US-Literatur des 19. Jahrhunderts ist geprägt von der Suche nach der eigenen Stimme, dem Versuch der Emanzipation von der Alten Welt im Allgemeinen und England im Besonderen. Das Werk Herman Melvilles stellt einen bedeutenden Schritt auf diesem Weg dar, auch wenn es von seinen Zeitgenossen nicht in dem ihm gebührenden Maße anerkannt wurde. Erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Melvilles Werk wiederentdeckt und entsprechend gewürdigt.

      Herman Melville, einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller überhaupt, war Autodidakt. Der Vater, ein New Yorker Kaufmann, starb früh, und so musste sein Sohn bereits mit dreizehn Jahren die Schule verlassen. Es folgten verschiedene Tätigkeiten, etwa als Bankangestellter, als Farmarbeiter und als Lehrer, bis Melville 1839 seinem bisherigen Leben den Rücken kehrte und cabin boy auf der Redburn wurde, die nach Liverpool segelte. 1841 heuerte er dann auf dem Walfänger Acushnet an – der Beginn einer Reihe von ›Irrfahrten‹ durch die Südsee, die 1844 endeten, als Melville als Matrose der US-Navy nach Norfolk zurückkehrte. Die Seefahrt ist Melvilles großes Thema, und das Meer mit seiner unfasslichen Weite und wilden Elementarität ist das symbolische Feld, dem die intensiven Bilder entspringen, die so charakteristisch für sein Gesamtwerk sind. Moby Dick kann dabei als die Summe von Melvilles Erfahrungen, Reflexionen und autodidaktischen literarischen Studien betrachtet werden. Zunächst allerdings begann Melville hauptsächlich aufgrund seiner schwierigen finanziellen Lage nach seiner Rückkehr an Land und dem Fehlen jeglicher Berufsausbildung zu schreiben. Bereits zu dieser Zeit allerdings verkehrte der aufstrebende Literat in einem Kreis