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Lady Agatha Simpson ließ sich von einem waschechten Chinesen den Tee servieren.
Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin in einem Pavillon und erholte sich etwas von der massierten Unterhaltung, die man ihr serviert hatte.
Die Dame – immens reich und unabhängig – hatte sich auf den Besuch dieses Ferienparadieses schon seit Wochen gefreut. Sie erfüllte sich damit einen Kindertraum und war tatsächlich noch einmal zu einer Halbwüchsigen geworden.
»Wonderland«, wie das Ferienparadies hieß, war vor knapp einem Jahr etwa anderthalb Autostunden von London entfernt in der Nähe von Oxford errichtet worden. Kenner der Vergnügungsindustrie hatten hier in einem sanften Hügelland, das von einigen Tälern durchschnitten wurde, eine Art Disneyland aus dem Boden gestampft. Es gab im Grunde nichts, was es nicht gab.
Lady Simpson hatte die ersten Attraktionen bereits andeutungsweise genossen.
Sie war auf dem Wildwasserkanal gewesen und hatte sich vom Boot durch die tosenden Fluten tragen lassen. Dieser Kahn war natürlich unterhalb der Wasseroberfläche an einer Führungskette befestigt und nahm seinen vorprogrammierten Kurs. Auch der Wasserfall war nichts als eine geschickte Täuschung, die allerdings den Blutdruck ansteigen ließ.
Die Alligatoren im Dschungelsee bestanden aus Plastik und waren täuschend nachgeahmt worden. Ihr Schnappen nach dem trägen Ruderboot wurde elektronisch gesteuert, was dem Spaß aber keinen Abbruch tat.
Echte Alligatoren hingegen konnte man in einem benachbarten See bewundern. Auf ihm verkehrten natürlich keine Besucherboote. Die Panzerechsen sollten nicht unnötig gefüttert werden. Die Besucher konnten sich diese Ungeheuer aus grauer Vorzeit von einer sicheren Plattform aus ansehen.
Obwohl ein normaler Wochentag, war das Ferienparadies überaus gut besucht. Die Fahrt hinaus nach »Wonderland«, war vor allen Dingen für Familien ein Ereignis. Es gab so viel zu sehen, daß man den ganzen Tag lang bleiben konnte.
»Was haben wir bisher abhaken können, Kindchen?« fragte Lady Simpson, sich an Kathy Porter wendend. Kathy lächelte, nahm den Parkführer hoch und reichte ihn Lady Agatha.
»Den Wildwasserkanal haben wir, dann den Alligatorensee und das Feenschloß«, meinte Lady Simpson. »Richtig, dann die Delphin-Schau, die Western-Eisenbahn und ›Gun Town‹.«
»Die Goldmine, Mylady, die Reptilienfarm und auch das ›Reich der Gnome‹.«
»Eine ganz hübsche Liste, Kindchen.« Lady Agatha lehnte sich zufrieden zurück. »Nach dem Tee werden wir uns die Zauberburg und die Raubtier-Safari vornehmen.«
»Hoffentlich läßt sich das zeitlich schaffen, Mylady.« Kathy Porter wunderte sich wieder einmal über die Energie der älteren Dame. Lady Agatha wollte sich wirklich nichts entgehen lassen.
»Falls nicht, kommen wir morgen noch einmal zurück«, erklärte Lady Simpson. »Haben Sie mitbekommen, daß Mr. Parker sich gar nicht wohl fühlt?«
»Mr. Parker hält, glaube ich, nicht viel von solchen Belustigungen, Mylady.« Kathy lächelte wieder. Sie hatte sogar noch reichlich untertrieben. Sie kannte den Butler nur zu gut, der für solche Ferienparadiese überhaupt nicht geschaffen war.
»Und was sagen Sie dazu, Kindchen? Hand aufs Herz, machen Sie mir nichts vor.«
»Ich amüsiere mich, Mylady.« Kathy meinte es ehrlich. »Man kann sich gruseln und weiß, daß einem nichts passieren kann.«
»Ich werde mit meinem Vermögensverwalter ein offenes Wort reden müssen«, sagte Lady Agatha nachdenklich. »An solch einem Ferienpark sollte man sich beteiligen. Ich hätte eine Menge Ideen für zusätzliche Attraktionen. Sagen Sie, wo bleibt denn Parker? Hat er sich etwa abgesetzt?«
»Er trocknet wahrscheinlich seine Kleidung«, antwortete Kathy. »Der Wildwasserkanal schien es auf ihn abgesehen zu haben.«
Lady Agatha hätte gar zu gern einige spitze Bemerkungen gemacht, doch sie wurde plötzlich abgelenkt. Zwei Herren traten an den Tisch. Sie waren feierlich gekleidet und hielten große Blumensträuße in Händen.
»Dürfen wir vielleicht einen Moment stören?« fragte der jüngere der beiden Männer und verbeugte sich höflich.
»Sie haben gewonnen«, verkündete der zweite Mann, der ein wenig füllig war.
»Und was?« erkundigte sich Lady Simpson sofort. Gegen Gewinn hatte sie grundsätzlich nichts einzuwenden.
»Zuerst einmal die Blumen, Madam«, meinte der junge Mann, der mit dem Steve identisch war, der sich im Kontrollraum des Ferienparks befunden hatte.
»Der eigentliche Preis wartet auf Sie in unseren Geschäftsräumen«, fügte der Füllige freundlich hinzu. »Wenn wir die Damen einladen dürften?«
»Wieso hat Mylady gewonnen?« wollte Kathy wissen. Sie hatte von Parker gelernt, immer mißtrauisch zu sein.
»Sie sind die 500 000. Besucherin in dieser Saison«, sagte der junge Mann.
»Und wieso finden Sie mich erst jetzt?« wollte Lady Simpson genau wissen.
Steve griff in seine Brusttasche, holte zwei Polaroid-Farbfotos hervor und reichte sie Lady Simpson.
»Sie wurden an der Kasse bereits fotografiert, Madam«, meinte er geschmeidig.
»Worauf warten Sie noch, junger Mann?« Lady Simpson ließ ihre tiefe Stimme ertönen. »Sagen Sie mir endlich, was ich gewonnen habe?«
»Wollen Sie sich nicht überraschen lassen, Madam? Der Wagen wertet bereits vor dem Pavillon.«
»Und wie verständigen wir Mr. Parker?« Kathy Porter war mit dieser Einladung nicht sehr einverstanden. Sie wußte aus Erfahrung, daß Lady Simpson gefährlich lebte. Was immer sie auch anpackte, es wurde daraus früher oder später ein Kriminalfall.
»Sie haben noch einen Begleiter bei sich?« fragte der Korpulente.
»Mein Butler.« Lady Simpson war ungeduldig geworden. Sie wollte endlich ihren Preis kassieren.
»Ich werde hier auf ihn warten«, meinte der Füllige, indem er mit seinem Begleiter Steve einen schnellen Blick wechselte.
»Wollen Sie mich um meinen Preis bringen?« Lady Simpson war noch ungeduldiger geworden. Sie setzte sich bereits in Bewegung und war nach Lage der Dinge nicht mehr zu stoppen. Kathy folgte ihr notgedrungen. Sie wollte Lady Simpson auf keinen Fall allein gehen lassen.
Und damit marschierten die beiden Damen unwissend bereits in ihr nächstes Abenteuer hinein.
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Butler Parker kam sich ein wenig unglücklich vor.
Er wartete nun schon seit einer halben Stunde auf die Rückgabe seines schwarzen Zweireihers, doch bisher hatte sich nichts getan. Er war in die Schnellbügelanstalt in der Nähe des Wildwasserkanals gegangen, um sein Äußeres wieder in die alte Form bringen zu lassen. Vor einer halben Stunde noch hatte er die Einrichtung solch einer Schnellbüglerei äußerst begrüßt, doch nun änderte sich seine Meinung gründlich. Ohne Jackett und Hose kam er sich hilflos und verlassen vor.
Er saß in einer freundlich eingerichteten Kabine und ließ sich von Musik berieseln. Er hatte in den hier ausliegenden Magazinen lustlos herumgeblättert, immer wieder auf seine unförmig aussehende Taschenuhr geblickt und schließlich sehr nachdrücklich auf den Klingelknopf gedrückt, um die Bedienung herbeizurufen.
Nun, entweder war die Klingel nicht in Ordnung, oder man reagierte überhaupt nicht.
Josuah Parker erhob sich aus dem kleinen Sessel und ging zur Tür. Er kam dabei an dem großen Wandspiegel vorüber und warf einen prüfenden Blick auf sich.
Besonders korrekt sah er wirklich nicht aus.