Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: August Sperl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831439
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      »Da hinauf, geschwind!« Die Doktorin ist auf einen Stuhl gesunken und sitzt bleich, mit weitgeöffneten Augen da, als ginge sie das alles nichts mehr an. Sie hat das schreiende Knäblein auf dem Schoß; der ältere Knabe schmiegt sich verängstet an ihre Seite.

      »Da hinauf!« Die Magd ist schon die paar Stufen oben, sie dreht den Schlüssel im Schlosse und stemmt ihre Schultern an die schwere Türe, sie hebt die Türe und lehnt sie an die Brüstung. Dann springt sie neben die Frau, nimmt das Knäblein auf den einen Arm und umfaßt mit dem andern die Herrin: »Geschwind, geschwind!«

      Willenlos läßt sich die Doktorin hinaufzerren. Der ältere Knabe hält sich fest am Rocke der Mutter. Nun sind sie droben. Nun setzt die Magd das weinende Kind auf die Steinplatten. Sie selber geht zurück auf die Stiege.

      Da besinnt sich die erstarrte Frau. »Du auch – du auch!« ruft sie angstvoll, bückt sich und will ihre Retterin heraufziehen. Die Magd aber befreit sich mit einem Griffe, packt die Falltüre und duckt sich. Mit hartem Schlage ist die schwere Türe herabgepoltert. Wieder ein Griff, und kreischend schiebt sich der Riegel in die Falle.

      Sie steht hochaufatmend inmitten der Stube und hat den Schlüssel in der Hand.

      Angstvoll ruft oben die Frau: »Aber so bleib doch bei uns!«

      Noch einmal springt die Getreue die Stufen empor: »Und wer soll dann absperren da herunten? Es ist ja nur von unten zu sperren!«

      »Aber um Gotteswillen, Klara, denk doch an dich!«

      »Ruhig sein! Legen Sie sich auf den Boden! Bringen Sie den Gerhard zur Ruhe!« Sie sagt es in befehlendem Tone. Und angstvoll kommt die Antwort zurück: »Ich – will's – ja tun.«

      Mit dem Schlüssel in der geballten Hand steht sie am Fenster und späht hinüber zum Hause. Aus der Nähe und aus der Ferne tönt Schreien und Brüllen der Plündernden, Kreischen und Heulen der Überfallenen.

      Sie faltet die Hände um ihren Schlüssel und bewegt ihre bleichen Lippen. Sie weiß, daß etwas Furchtbares kommen wird; denn sie hat seine Stimme erkannt. Wohl denkt sie einen Augenblick daran, mit ihrem Schlüssel durch den Garten zu entfliehen. Aber sie weiß ja, daß sie niemals über die hohe Mauer entkommen kann. Es gibt nur einen Ausweg aus dem Garten, und der geht durch den Hof, den Feinden entgegen. Sie mißt noch mit verzweifeltem Blick die Fenster. Aber, o Gott, die Fenster sind Gucklöcher; es ist gar nicht daran zu denken, daß sie sich hindurchzuzwängen und hinabzustürzen vermöchte. Gierig sucht ihre Hand in der Rocktasche; aber sie hat nicht das kleinste Federmesser bei sich. Soll sie vielleicht den Tisch und die vier Stühle die enge Treppe hinunterwerfen? Es wird nicht das Geringste nützen. Soll sie sich den Kopf einrennen an der Wand der Stube? Damit sie halbtot in seine Hände fiele!

      Regungslos steht sie am Fenster mit ihrem Schlüssel in der krampfhaft geschlossenen Hand. Da fliegt es wie ein Schatten heran, da läßt es sich nieder in der Fensterhöhle. Es ist eine von den Amseln, von den zahmen, die sie immer füttert im Garten. Regungslos steht die Magd, und die schwarze Amsel sieht sie an mit glänzenden Äuglein. Dann hebt sie die Flügel und schwebt über die Wipfel der Bäume davon.

      Spute dich, lieber Erbgraf, gib dem Pferde die Sporen, spute dich, Erbgraf, es gilt!

      Die Magd hört vom Haus herüber ein Krachen und Splittern. Die Gartentüre wird eingeschlagen. Da wirft sie den Schlüssel im weiten Bogen aus dem Fenster in den Krautacker des Nachbars.

      Ihre Zähne schlagen aufeinander. Da – da – der Mörser – dort in der Ecke! Sie stürzt hinzu, sie will ihn heben. Das erstemal gelingt's nicht. Aber jetzt. Keuchend hebt sie den zentnerschweren Steinmörser und schleppt ihn zur Türe. Sie reißt die Türe auf und schleppt den Mörser hinaus an die Treppe.

      Sie ist nun ganz ruhig. Vor ihr steht der Mörser.

      Die Beerenstauden rauschen, und mit zwei Füßen zu gleicher Zeit springt einer in den Turm.

      Die Magd hat sich gebückt, und ihre Hände umklammern die Griffe des Mörsers.

      Die Stufen knarren unter polternden Tritten.

      Sie steht regungslos, aber ihre Muskeln sind gespannt, und mit weitaufgerissenen Augen starrt sie hinab in die Tiefe.

      Da stürmt er die krachenden Stufen empor, um die Ecke zur letzten Treppe. Er hat den Kopf im Nacken und späht nach oben. Er sieht das kauernde Weib. Er brüllt auf wie ein Stier und springt drei Stufen hinan.

      Wie ein Weidenkörblein hebt sie den Mörser hoch und läßt ihn senkrecht fallen. Krachend stürzt der Mörser mit dem Mann auf die Bretter.

      Aber da poltern zwei andre um die Ecke und klettern wie die Pantherkatzen die Treppe hinan.

      Sie rasseln die Bachgasse herauf, der Erbgraf und seine französischen Reiter, sie hauen die Wachen zusammen und durchschneiden die Stricke der Gefangenen.

      Der Doktor rafft einen Säbel vom Pflaster und rast zu seiner Behausung. Der Erbgraf ihm nach.

      Die Tür steht offen sperrangelweit. Im Hausflur ducken sich zwei plündernde Kerle, kriegen Hiebe über die Schädel und fliehen auf den Marktplatz hinaus. Der Doktor rennt die Stiege empor. Er schreit nach seinem Weibe, er brüllt den Namen der Magd, er stürmt von Stufe zu Stufe bis hinauf unters Dach. Der Erbgraf hinter ihm her.

      Vom Bodenfenster fällt sein Blick auf den Gartenturm. Da sieht er seine Knaben.

      Er weiß nicht, wie er in den Hof hinuntergekommen ist, er stürmt in den Garten. Er hört eine schwache Stimme aus der Höhe: »Papa, Papa!«

      Sie dringen durch die Beerenstauden. Die Treppen krachen unter ihren Tritten.

      Der Doktor stutzt. Ein Toter liegt im Wege. Daneben, halb versunken in eingedrückte Dielen, noch gehalten von zersplitterten Brettern, der Mörser.

      Droben ist's totenstill.

      Sie stehen in der Turmstube. Das Mädchen lehnt an der Mauer. Ihre Haare hängen wirr herab. Mit entsetzten Augen sieht sie den beiden entgegen.

      »Klara – ist dir 'was geschehen?«

      »Ja – Herr,« bringt sie heiser heraus.

      »Die Frau –?«

      Sie wendet den Kopf nach oben und lallt: »Gerettet.« Dann gleitet sie ohnmächtig an der Mauer zu Boden.

      Es währte lange, bis sie das Schloß gesprengt hatten; dann kostete es harte Mühe, die Falltüre zu heben. Denn die Frau lag darauf.

      Endlich gelang es, und die Knaben drängten sich lautlos dem Vater entgegen.

      Liebkosend zog sie der Erbgraf hinab in die Stube. –

      Lange lauschte der Arzt am Herzen seiner Frau. Endlich stand er auf.

      Der Graf sah fragend empor.

      »Das Herz steht still. Aber nun hilf mir die Magd hinunterbringen.«

      Die Magd erwachte und richtete sich auf, versuchte ihre Haare zurecht zu streichen und sagte mühsam: »Zuerst die Frau. Ich geh' allein.«

      7. Totenstille

       Inhaltsverzeichnis

      Es liegt ein Totes in der Kammer.

      Die Leute kommen und gehen und reden mit verhaltenen Stimmen. Ruhig brennen die Kerzen, und das Haus ist erfüllt vom Dufte der Blumen.

      Warum doch schneidet man die Blume ab und steckt sie sorglos in den Gürtel? Willst du dich an Blumen erfreuen, dann gehe hinaus, bücke dich und atme den Duft der Rose, wenn ihr Kelch alle Süßigkeiten ausströmt in der heißen Mittagsluft, wandle zwischen Resedabeeten, wenn der Mond golden hinter dem Walde emporsteigt. So tue, nur stecke nimmermehr die abgeschnittene Blume in deinen Gürtel! Wenn aber ein Totes in der Kammer liegt und wartet, bis die schwarzen Träger kommen, dann überschütte den Leib mit der Fülle der Blumen, daß nur das Antlitz