Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Friedrich Nietzsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friedrich Nietzsche
Издательство: Bookwire
Серия: Klassiker der Weltliteratur
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843802970
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erfinden.) Sodann: Weil es in schlichten Verhältnissen vorteilhaft ist, direkt zu sagen: Ich will dies, ich habe dies getan, und dergleichen; also weil der Weg des Zwangs und der Autorität sicherer ist, als der der List.

      Schätzung der unscheinbaren Wahrheiten. – Es ist das Merkmal einer höheren Kultur, die kleinen unscheinbaren Wahrheiten, welche mit strenger Methode gefunden wurden, höher zu schätzen, als die beglückenden und blendenden Irrtümer, welche metaphysischen und künstlerischen Zeitaltern und Menschen entstammen.

       Charakter, Psychologie und »Ich«

      Nietzsches Vorstellung vom »Ich« ist recht modern. Er geht nicht von einer zentralen Anlauf- und Verarbeitungsstelle jeglichen Denkens und Erfahrens aus, sondern von einem recht diffusen, eng mit körperlichen Bedürfnissen und Stimmungslagen zusammenhängenden Sammelsurium an psycho-physischen Ebenen. In diesem Punkt kann er als philosophischer Vorläufer der Psychoanalyse eines Sigmund Freud, aber auch der modernen kognitiven Psychologie betrachtet werden. »Charakter« und »Ich« sind für Nietzsche stets im Wandel und durch mehr oder weniger »irrationale« Momente bestimmt.

      Gedanken. – Gedanken sind die Schatten unserer Empfindungen, – immer dunkler, leerer, einfacher, als diese.

      Müßiggang ist aller Psychologie Anfang. Wie? Wäre Psychologie – ein Laster?

      Moral für Psychologen. – Keine Kolportage-Psychologie treiben! Nie beobachten, um zu beobachten! Das gibt eine falsche Optik, ein Schielen, etwas Erzwungenes und Übertreibendes. Erleben als Erleben-Wollen – das gerät nicht. Man darf nicht im Erlebnis nach sich hinblicken, jeder Blick wird da zum »bösen Blick«. Ein geborener Psycholog hütet sich aus Instinkt, zu sehn, um zu sehen; dasselbe gilt vom geborenen Maler. Er arbeitet nie »nach der Natur«, – er überlässt seinem Instinkte, seiner camera obscura, das Durchsieben und Ausdrücken des »Falls«, der »Natur«, des »Erlebten« … Das Allgemeine erst kommt ihm zum Bewusstsein, der Schluss, das Ergebnis: Er kennt jenes willkürliche Abstrahieren vom einzelnen Falle nicht. – Was wird daraus, wenn man es anders macht? Zum Beispiel nach Art der Pariser Romanciers groß und klein Kolportage-Psychologie treibt? Das lauert gleichsam der Wirklichkeit auf, das bringt jeden Abend eine Handvoll Kuriositäten mit nach Hause … Aber man sehe nur, was zuletzt herauskommt – ein Haufen von Klecksen, ein Mosaik besten Falls, in jedem Falle etwas Zusammen-Addiertes, Unruhiges, Farbenschreiendes. Sehen, was ist – das gehört einer andern Gattung von Geistern zu, den antiartistischen, den Tatsächlichen. Man muss wissen, wer man ist …

      Fleiß und Gewissenhaftigkeit. – Fleiß und Gewissenhaftigkeit sind oftmals dadurch Antagonisten, dass der Fleiß die Früchte sauer vom Baume nehmen will, die Gewissenhaftigkeit sie aber zu lange hängen lässt, bis sie herabfallen und sich zerschlagen.

      Der richtige Beruf. – Männer halten selten einen Beruf aus, von dem sie nicht glauben oder sich einreden, er sei im Grunde wichtiger, als alle anderen. Ebenso geht es Frauen mit ihren Liebhabern.

      Ziel und Wege. – Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, Wenige in Bezug auf das Ziel.

      Das Empörende an einer individuellen Lebensart. – Alle sehr individuellen Maßregeln des Lebens bringen die Menschen gegen Den, der sie ergreift, auf; sie fühlen sich durch die außergewöhnliche Behandlung, welche jener sich angedeihen lässt, erniedrigt, als gewöhnliche Wesen.

      Unwillkürlich vornehm. – Der Mensch beträgt sich unwillkürlich vornehm, wenn er sich gewöhnt hat, von den Menschen Nichts zu wollen und ihnen immer zu geben.

      Phantasie der Angst. – Die Phantasie der Angst ist jener böse äffische Kobold, der dem Menschen gerade dann noch auf den Rücken springt, wenn er schon am schwersten zu tragen hat.

      Gegen die Lobenden. – A.: »Man wird nur von Seinesgleichen gelobt!« B.: »Ja! Und wer dich lobt, sagt zu dir: du bist Meinesgleichen!«

      Verschiedene Gefährlichkeit des Lebens. – Ihr wisst gar nicht, was ihr erlebt, ihr lauft wie betrunken durch‘s Leben und fallt ab und zu eine Treppe hinab. Aber, Dank eurer Trunkenheit, brecht ihr doch nicht dabei die Glieder: Eure Muskeln sind zu matt und euer Kopf zu dunkel, als dass ihr die Steine dieser Treppe so hart fändet, wie wir Anderen! Für uns ist das Leben eine größere Gefahr: Wir sind von Glas – wehe, wenn wir uns stoßen! Und alles ist verloren, wenn wir fallen!

      Lachen. - Lachen heißt: schadenfroh sein, aber mit gutem Gewissen.

      Bedürfnis. – Das Bedürfnis gilt als die Ursache der Entstehung: In Wahrheit ist es oft nur eine Wirkung des Entstandenen.

      Bescheidenheit. – Es gibt wahre Bescheidenheit (das heißt die Erkenntnis, dass wir nicht unsere eigenen Werke sind); und recht wohl geziemt sie dem großen Geiste, weil gerade er den Gedanken der völligen Unverantwortlichkeit (auch für das Gute, was er schafft) fassen kann. Die Unbescheidenheit des Großen hasst man nicht, insofern er seine Kraft fühlt, sondern weil er seine Kraft dadurch erst erfahren will, dass er die Anderen verletzt, herrisch behandelt und zusieht, wie weit sie es aushalten. Gewöhnlich beweist dies sogar den Mangel an sicherem Gefühl der Kraft und macht somit die Menschen an seiner Größe zweifeln. Insofern ist Unbescheidenheit vom Gesichtspunkte der Klugheit aus sehr zu widerraten.

      Des Tages erster Gedanke. – Das beste Mittel, jeden Tag gut zu beginnen, ist: beim Erwachen daran zu denken, ob man nicht wenigstens einem Menschen an diesem Tage eine Freude machen könne. Wenn dies als ein Ersatz für die religiöse Gewöhnung des Gebetes gelten dürfte, so hätten die Mitmenschen einen Vorteil bei dieser Änderung.

      Der Denker. – Er ist ein Denker: das heißt, er versteht sich darauf, die Dinge einfacher zu nehmen, als sie sind.

      Anmaßung als letztes Trostmittel. – Wenn man ein Missgeschick, seinen intellektuellen Mangel, seine Krankheit sich so zurecht legt, dass man hierin sein vorgezeichnetes Schicksal, seine Prüfung oder die geheimnisvolle Strafe für früher Begangenes sieht, so macht man sich sein eigenes Wesen dadurch interessant und erhebt sich in der Vorstellung über seine Mitmenschen. Der stolze Sünder ist eine bekannte Figur in allen kirchlichen Sekten.

      Zum Lachen!. – Seht hin! Seht hin! Er läuft von den Menschen weg –: diese aber folgen ihm nach, weil er vor ihnen herläuft, – so sehr sind sie Herde!

      Die Bettler und die Höflichkeit. – »Man ist nicht unhöflich, wenn man mit einem Steine an die Türe klopft, welcher der Klingelzug fehlt« – so denken Bettler und Notleidende aller Art; aber niemand gibt ihnen Recht.

      Der Neidbold. – Das ist ein Neidbold, – dem muss man keine Kinder wünschen; er würde auf sie neidisch sein, weil er nicht mehr Kind sein kann.

      Der Weg zum Glücke. – Ein Weiser fragte einen Narren, welches der Weg zum Glücke sei. Dieser antwortete ohne Verzug, wie einer, der nach dem Wege zur nächsten Stadt gefragt wird: »Bewundere dich selbst und lebe auf der Gasse!«. »Halt, rief der Weise, du verlangst zu viel, es genügt schon sich selber zu bewundern!« Der Narr entgegnete: »Aber wie kann man beständig bewundern, ohne beständig zu verachten?«

      Die Ruhesuchenden. – Ich erkenne die Geister, welche Ruhe suchen, an den vielen dunklen Gegenständen, welche sie um sich aufstellen: Wer schlafen will, macht sein Zimmer dunkel oder kriecht in eine Höhle. – Ein Wink für die, welche nicht wissen, was sie eigentlich am meisten suchen, und es wissen möchten!

      Immer in unserer Gesellschaft. – Alles, was meiner Art ist, in Natur und Geschichte, redet zu mir, lobt mich, treibt mich vorwärts, tröstet mich –: das Andere höre ich nicht oder vergesse es gleich. Wir sind stets nur in unserer Gesellschaft.

      Ruhm. – Wenn die Dankbarkeit vieler gegen einen alle Scham wegwirft, so entsteht der Ruhm.

      Der unveränderliche Charakter. – Dass der Charakter unveränderlich sei, ist nicht im strengen Sinne wahr; vielmehr heißt dieser beliebte Satz nur so viel, dass während der kurzen Lebensdauer eines Menschen