Mami Staffel 3 – Familienroman. Gisela Reutling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisela Reutling
Издательство: Bookwire
Серия: Mami Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959796736
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Von den Ursachen des ganzen Aufruhrs hatten sie nichts begriffen, nur daß Sven Struve ausziehen würde, war ihnen klar. Darüber waren sie nicht traurig. Viel wichtiger war ihnen die Frage, was sie ihrer kranken Mutter zuliebe tun könnten.

      »Ich male ihr ein Bild!« sagte Florentine begeistert.

      »Und ich bastle etwas mit der Laubsäge«, fügte Markus hinzu. »Aber einer muß hier bleiben, falls Mami aufwacht.«

      »Geht ihr nur«, sagte Julia würdevoll. »Ich bin schließlich die älteste.« Florentine war schon zur Tür hinausgeschlüpft. Das Bild, das sie ihrer Mutter malen wollte, schwebte ihr schon genau vor. Sie wollte einen Garten voller Blumen malen, mit einem Teich in der Mitte, in dem ein Delphin mit einem Reifen spielte. Ein ähnliches Bild hatte sie neulich in einem Kinderbuch gesehen.

      Im Kinderzimmer waren ihre Buntstifte, aber kein Papier. Richtig: Gestern hatte sie ja das letzte Blatt von dem Zeichenblock verbraucht. Florentine trippelte ins Wohnzimmer hinunter. Dort stand der Sekretär, an dem Mami ihre Abrechnungen machte und Briefe schrieb. Aber es war wie verhext: Auch hier konnte sie kein schönes Zeichenpapier finden, nur einen Rechnungsblock aus grauem Altpapier.

      Ärgerlich stampfte das kleine Mädchen mit dem Fuß auf. Sollte das schöne Bild etwa an Papiermangel scheitern? Doch da fiel ihr plötzlich etwas ein. Sven benutzte eines der beiden Zimmer der Einliegerwohnung als Arbeitszimmer. Sicher gab es dort Papier. Eigentlich war den Kindern zwar der Zutritt zu dem Zimmer verboten, weil dort ein teurer Computer stand – aber würde Sven nicht sowieso ausziehen? Da konnte sie sich ruhig ein oder zwei Bögen von seinem Papier nehmen. Er würde es gar nicht merken.

      In der Küche hörte sie Onkel Heinrich und Frau Falkenroth wirtschaften. Leise öffnete Florentine die Tür zum Souterrain und huschte hinein. In den beiden Räumen herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Halb gepackte Reisetaschen standen zwischen Wäschehaufen und alten Zeitungen auf dem Boden, und auf dem Tisch standen Kaffeetassen mit eingetrockneten Rändern.

      Auch der Schreibtisch war ein einziges Chaos. Der Computer war bereits in einem Karton verpackt, aber auf der Schreibtischplatte lagen haufenweise Zettel, Entwürfe, Grafiken und Schreibmappen herum. Sauberes Papier konnte Florentine zunächst nicht entdecken. Doch dann schaute sie in einen Pappkarton neben dem Schreibtisch und jauchzte vor Freude auf. Er war randvoll mit schönem, weißem Papier.

      Florentine hatte ihre Buntstifte die ganze Zeit in der Hand gehalten. Jetzt wollte sie ihr Bild sofort malen. Sie setzte sich an den Schreibtisch und räumte ein Stück der Platte frei. Dabei kippte einer der Stapel mit Grafiken vom Tisch. Erschrocken bückte sich das kleine Mädchen und hob ihn wieder auf. Ein Papier fiel ihr auf. Es war bräunlich, sehr dick und fest, eine ideale Unterlage für die Zeichnung. Oder sollte sie sogar dieses Papier für ihr Bild nehmen?

      Florentine setzte sich auf den Schreibtischstuhl und setzte den blauen Stift an, um als allererstes den Teich zu zeichnen, als sie Schritte sich nähern hörte. Sie fuhr zusammen und wollte weglaufen, aber schon kam Sven zur Tür herein.

      »Was fällt dir ein?« brüllte er sie an. »Was wühlst du in meinen Papieren herum?«

      »Ich wollte nur ein Bild malen«, sagte Florentine weinerlich.

      Sven kam näher und hob die Hand, als wollte er sie schlagen. Florentine wich ängstlich aus und brach in Tränen aus. Aber Sven ließ die Hand wieder sinken. Er kümmerte sich gar nicht mehr

      um das Mädchen, sondern suchte nervös auf dem Schreibtisch herum, griff nach dem dicken, bräunlichen Papier und drehte es um.

      Das kleine Mädchen wollte zur Tür hinauslaufen, aber dort stieß sie mit ihrem Bruder zusammen. »Wo warst…« sagte er und brach mit offenem Mund ab. Markus hatte entdeckt, was Sven Struve da in der Hand hielt, und daß dieser nun versuchte, das Dokument unter anderen Papieren zu verstecken, nützte ihm nichts mehr. »Der Dürerbrief!« schrie Markus. »Mami! Julia! Onkel Heinrich! Der Brief ist wieder da!«

      Sven blickte die Kinder haßvoll an, als ob er sie am liebsten umbringen würde. Er blickte hilflos im Raum herum, als suchte er einen Fluchtweg. Aber schon kamen Heinrich Zott und Erika Falkenroth, von Markus’ Geschrei angelockt, zur Tür herein.

      »Sven hat den Dürerbrief gestohlen!« brüllte Markus, so laut er konnte. Onkel Heinrich trat auf den Schreibtisch zu und streckte die Hand nach dem Dokument aus, das Sven immer noch in der Hand hielt. Unter seinem festen Blick schlug der Dieb die Augen nieder und gab den kostbaren Brief widerstandslos her.

      »Genauso ein Dokument wie die anderen, die mein Sohn in seiner Mappe hat«, staunte Frau Falkenroth. »Wie kommt es hierher?«

      »Das erkläre ich Ihnen später«, sagte Onkel Heinrich. »Jetzt müssen wir wohl erst mal die Polizei rufen.«

      Bisher hatte Sven wie versteinert gestanden. Aber als er das Wort Polizei hörte, stieß er den alten Mann heftig beiseite und rannte zur Tür. Sie hörten, wie die Haustür zuschlug.

      Onkel Heinrich zuckte die Achseln. »Weit wird er nicht kommen«, meinte er. »Frau Falkenroth, jetzt bringen wir Ihrem Sohn erst einmal den Brief zurück. Er soll entscheiden, was weiter geschehen soll.«

      *

      Erika Falkenroth führte die kleine Prozession in die Kastanienallee an. Außer Onkel Heinrich kamen auch Markus und Florentine mit, nur Julia blieb bei der unruhig schlafenden Mutter.

      Christoph Falkenroth saß an seinem Schreibtisch und starrte vor sich hin. Er dachte an den Moment zurück, als er Christine unter den grünen, nach Harz duftenden Waldeswipfeln in den Armen hielt und küßte. Es war nur ein Augenblick gewesen, aber er würde ihn ein Leben lang in Erinnerung behalten, wie nah er dem Glück gewesen war. Und nun war es für immer verloren!

      Christoph schüttelte den Kopf über sich selber. Wie dumm er gewesen war! Wie hatte er nur glauben können, daß eine so schöne junge Frau ganz ungebunden sein könnte! Die ganze Zeit, in der er gehofft hatte, sie würde sich ihm zuwenden, hatte sie einen anderen geliebt. Sicher war er ihr völlig gleichgültig, sonst hätte sie doch seine Liebe zu ihr zumindest ahnen müssen. Und in diesem Fall hätte sie ihm doch wohl zu verstehen gegeben, daß sie einen anderen liebte! Nein, sicher hatte sie niemals auch nur einen tieferen Gedanken an ihn verschwendet!

      Der Gedanke an seinen Rivalen ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Die gemeinen Worte fielen ihm wieder ein, und er ballte vor Zorn die Fäuste. Dieser Mensch hatte die Frau, die er liebte, beleidigt, und er hatte ohnmächtig dabeistehen müssen. Weil er nur ein unwichtiger dritter war, weil es ihn nichts angehen durfte, was zwischen Christine und Sven war!

      Christoph Falkenroth ließ den Blick durch sein Arbeitszimmer schweifen. Der fremde Raum war ihm lieb geworden, seit er ihn der jungen Frau gezeigt hatte. Auch jetzt mahnte ihn jeder Gegenstand an sie, aber nun war die Erinnerung quälend. Was sollte er länger hier, in dieser fremden, kleinen Stadt? Er würde noch heute nach Hamburg zurückkehren, in seine Junggesellenwohnung, und sich in seine wissenschaftliche Arbeit vergraben.

      Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, sprang er auf, um seine Bücher und Papiere zusammenzuräumen. Der verschwundene Brief fiel ihm ein. Nun, er würde den Verlust eben auf seine eigene Kappe nehmen müssen, es würde seinem Ruf schaden, aber was machte das schon – es war doch ohnehin alles gleichgültig. Unglücklicher als jetzt konnte er nicht mehr werden.

      In diesem Moment trat seine Mutter ins Zimmer, gefolgt von Heinrich Zott und den beiden Kindern. Christoph war so tief in seine Gedanken versunken gewesen, daß er sie gar nicht hatte kommen hören.

      »Herr Falkenroth, der Brief ist wieder da!« rief Heinrich und rang nach Atem. »Sie werden es nicht glauben. Herr Struve hatte ihn in seinen Unterlagen versteckt!«

      »Was?« fragte er fassungslos. »Das ist doch nicht möglich!«

      »Leider schon.« Heinrich Zott räusperte sich. »Ich hätte das diesem Herrn auch nicht zugetraut, obwohl ich nie viel von ihm gehalten habe. Aber anscheinend hat er, als die Kinder uns ihren dummen Streich berichteten, die Idee gehabt, sich den Brief selbst zu sichern. Das war doch eine gute Gelegenheit, leicht zu viel Geld zu kommen – und er hat seine