„Sie kommen uns aber so oft wie möglich besuchen, ja? Ich glaube, wir werden diesen Sommer viel Spaß haben, obwohl ich wahrscheinlich wie üblich wieder nur den Zaungast spielen darf. Ist es nicht furchtbar, wenn die Leute einen immer noch für ein kleines Kind halten, auch wenn man das längst nicht mehr ist?“
„Du hast noch genug Zeit zum Erwachsenwerden, Rilla. Sei froh, daß du jung bist. Die Jugend geht viel zu schnell vorbei. Du wirst bald einen Vorgeschmack vom Leben bekommen.“
„Vorgeschmack! Aufessen will ich es!“ lachte Rilla. „Ich will alles! Alles, was ein Mädchen haben kann. In einem Monat bin ich fünfzehn, und dann kann niemand mehr sagen, ich wäre noch ein Kind. Jemand hat mal gemeint, das Alter zwischen fünfzehn und neunzehn wäre das beste für ein Mädchen. Ich werde eine großartige Zeit daraus machen und einfach nur Spaß haben!“
„Es hat gar keinen Zweck, sich auszumalen, was man machen will, es kommt doch nicht dazu.“
„Aber das Ausmalen allein macht doch schon Spaß!“ rief Rilla ausgelassen.
„Du denkst wohl an nichts anderes als an Spaß, du kleiner Dummkopf“, sagte Miss Oliver nachsichtig und bewunderte dabei heimlich Rillas hübsches Kinn. „Was soll einem mit fünfzehn auch sonst einfallen? Denkst du denn überhaupt nicht daran, diesen Herbst aufs College zu gehen?“
„Nein, diesen Herbst nicht und auch keinen anderen. Ich will einfach nicht. Mich interessieren diese schlauen Wörter nicht, auf die Nan und Di so versessen sind. Außerdem gehen schon fünf von uns aufs College. Das reicht doch wohl. Einen Dummkopf muß schließlich jede Familie haben. Ich bin gern bereit, der Dummkopf zu sein, solange ich hübsch bin und begehrt. Ich kann nicht klug sein. Ich habe für nichts Talent, und Sie können sich gar nicht vorstellen, wie bequem das ist. Niemand erwartet etwas von mir, keiner belästigt mich. Und für hausfrauliche Sachen eigne ich mich auch nicht. Ich hasse Nähen und Staubwischen, und wenn Susan es schon nicht fertigbringt, mir Plätzchenbacken beizubringen, dann lerne ich das auch nie. Vater sagt, ich hätte zwei linke Hände. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als nur schön zu sein“, schloß Rilla und lachte.
„Du bist zu jung, um überhaupt nichts mehr zu lernen, Rilla.“
„Keine Sorge, Mutter will mich im Winter in einen Vorlesekurs schicken. Sie will wohl ihr Ansehen auffrischen. Zum Glück lese ich gern. Jetzt sehen Sie mich doch nicht so traurig und so mißbilligend an. Ich kann eben nicht vernünftig und ernst sein. Alles sieht in meinen Augen so rosarot und himmelblau aus. Nächsten Monat bin ich fünfzehn. Und nächstes Jahr sechzehn. Und übernächstes Jahr siebzehn. Gibt es denn etwas Aufregenderes als das?“
„Hals- und Beinbruch“, sagte Gertrude Oliver halb scherzhaft, halb im Ernst. „Hals- und Beinbruch, Rilla-meine-Rilla!“
Mondscheinparty
Rilla gähnte, reckte und streckte sich und lächelte dann Gertrude Oliver zu. Miss Oliver war gestern abend von Lowbridge herübergekommen, und sie hatte sich dazu überreden lassen, noch bis zur Tanzparty im Leuchtturm von Four Winds dazubleiben.
„Der neue Tag klopft ans Fenster. Was er uns wohl bringen mag?“
Miss Oliver zitterte ein wenig. Ihr gelang es nie, einen Tag mit einer solchen Begeisterung zu begrüßen wie Rilla. Sie war alt genug, um zu wissen, daß ein Tag auch etwas Schreckliches mit sich bringen kann.
„Ich finde, das reizvollste an einem Tag ist das Unerwartete“, sagte Rilla. „Es ist doch lustig, an so einem schönen, sonnigen Morgen aufzuwachen und sich zu fragen, was für ein Überraschungspaket der Tag dir überbringen wird. Ich döse immer noch zehn Minuten vor mich hin, bevor ich aufstehe, und male mir all die wunderbaren Dinge aus, die passieren könnten, bevor es Abend wird.“
„Ich hoffe, daß heute etwas ganz Unerwartetes passiert“, sagte Gertrude. „Ich hoffe nämlich, daß die Post uns die Nachricht überbringt, daß der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich abgewendet worden ist.“
„Ach so – ja“, sagte Rilla etwas unsicher. „Wenn nicht, ist das wahrscheinlich schrecklich, nehme ich an. Aber was wäre eigentlich so schrecklich daran? Ein Krieg wäre vielleicht ganz aufregend. Der Burenkrieg soll doch so spannend gewesen sein, aber das habe ich natürlich alles wieder vergessen. Miss Oliver, soll ich heute abend mein weißes Kleid anziehen oder mein neues grünes? Das grüne ist natürlich viel hübscher, aber ich getraue mich fast nicht, es zu einer Strandparty anzuziehen, es könnte ja kaputtgehen. Würden Sie mir diese neue Frisur machen? Von den Mädchen aus Glen trägt sie bis jetzt keine, das wäre doch die Sensation!“
„Wie hast du denn deine Mutter dazu überredet, daß sie dich zu der Tanzparty gehen läßt?“
„Walter hat sie ein bißchen um den Finger gewickelt. Er wußte, daß ich todunglücklich wäre, wenn ich nicht hingehen dürfte. Das ist meine erste richtige Erwachsenenparty, Miss Oliver, und ich bringe schon seit einer Woche schlaflose Nächte zu, weil ich immer daran denken muß. Als ich heute morgen die Sonne gesehen habe, hätte ich am liebsten einen Freudenschrei ausgestoßen. Wäre es nicht schrecklich, wenn es heute abend regnen würde? Ich glaube, ich riskiere es, das grüne Kleid anzuziehen. Auf meiner ersten Party will ich so schön wie möglich aussehen. Außerdem ist es zweieinhalb Zentimeter länger als das weiße. Und meine Silberschuhe werde ich auch anziehen. Mrs. Ford hat sie mir zu Weihnachten geschickt, und ich habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, sie anzuziehen. Sie sehen wirklich hübsch aus. Ach, Miss Oliver, ich hoffe, daß mich ein paar Jungen zum Tanzen auffordern! Diese Demütigung würde ich nicht überleben, wenn mich keiner auffordern würde und ich den ganzen Abend als Mauerblümchen herumsitzen müßte. Wie dumm, daß Carl und Jerry nicht mittanzen können, weil sie Pfarrerssöhne sind, sonst könnte ich mich wenigstens auf die verlassen und müßte mich nicht so sehr blamieren.“
„Du wirst eine Menge Tanzpartner haben. Alle Jungen aus Overharbour kommen herüber. Es werden sehr viel mehr Jungen sein als Mädchen.“
„Bin ich froh, daß ich keine Pfarrerstochter bin“, lachte Rilla. „Die arme Faith ist so wütend. Sie wird es wohl kaum wagen, heute abend zu tanzen. Una ist es egal. Die macht sich nichts aus Tanzen. Irgend jemand hat zu Faith gesagt, wer nicht mittanzen darf, der darf sich dafür in der Küche Toffees machen, da hätten Sie mal ihr Gesicht sehen sollen! Wahrscheinlich wird sie mit Jem den ganzen Abend draußen auf den Felsen hocken. Übrigens, wissen Sie, daß wir uns alle an dem kleinen Bach unterhalb von unserem Traumhaus treffen und dann zum Leuchtturm hinübersegeln? Ist das nicht absolut himmlisch?“
„Als ich fünfzehn war, habe ich auch so geschwärmt wie du“, sagte Miss Oliver mürrisch. „Für euch junge Leute wird die Party bestimmt ganz lustig. Aber ich werde mich dort langweilen. Keiner von den Jungen wird sich die Mühe machen und mit so einer alten Jungfer wie mir tanzen. Jem und Walter werden mich vielleicht einmal auffordern, aber nur aus Mitleid. Und zum Reden werde ich auch niemanden haben. Also kannst du wohl kaum von mir erwarten, daß ich deine rührende Begeisterung teile.“
„Aber als Sie das erste Mal auf eine Party gingen, hat Ihnen das keinen Spaß gemacht, Miss Oliver?“
„Nein. Es war schrecklich. Ich war so schäbig angezogen und so hausbacken, daß niemand mich zum Tanzen aufgefordert hat, bis auf einen Jungen, der noch schäbiger aussah als ich. Er war so unbeholfen, daß ich ihn haßte, aber selbst der hat mich kein zweites Mal aufgefordert. Ich habe keine richtige Jugend gehabt, Rilla. Das ist schlimm. Deswegen wünsche ich dir eine wunderbare, glückliche Jugend. Und ich hoffe, daß du später mit Freuden an deine erste Party zurückdenkst.“
„Heute nacht habe ich geträumt, ich wäre auf der Tanzparty gewesen und hätte mittendrin plötzlich gemerkt, daß ich meinen Schlafanzug und meine Hausschuhe anhabe“, seufzte Rilla. „Da bin ich vor Schreck aufgewacht.“
„Apropos Traum. Ich habe einen komischen Traum gehabt“, sagte Miss Oliver nachdenklich. „Es war einer dieser sehr lebhaften Träume, die ich manchmal habe. Nicht so ein Wirrwarr wie die üblichen Träume, die man so hat, sondern klar und deutlich wie die Wirklichkeit.“
„Was