Gunhild sah zu ihm auf. In ihren Augen lag maßloses Erstaunen.
»Sie kennen mich? Sie kennen meinen Namen?«
Er nickte. Erklärend flüsterte er ihr zu:
»Oder glauben Sie, ich wüßte nicht, bei wem ich eingebrochen habe – oder vielmehr einbrechen wollte?«
Gunhild fühlte sich verletzt, vielleicht wegen der überlegenen Art, mit der er sprach, vielleicht auch, weil er so leicht nahm, worüber sie sich so ernste Gedanken gemacht hatte.
Sie funkelte ihn an.
»Sie sind sehr leichtsinnig, Herr – Herr Einbrecher.«
»O nein, nur sehr glücklich, daß ich Sie hier getroffen habe, daß ich mit Ihnen tanzen darf.«
»Ich will gar nicht wissen, ob Sie glücklich sind. Es – es ist mir gleichgültig.«
»Oh«, sagte Michael bedauernd. »Dann tanzen Sie wohl gar nicht gern mit mir?«
»Nein.«
Nur noch fester legte Michael den Arm um die schmale Gestalt. Immer hätte er sie so festhalten mögen, selbst wenn sie ihm allzu deutlich zeigte, wie sehr sie ihn verachtete. Merkwürdig, ihr Widerstreben machte ihn nicht ein bißchen traurig.
»Weshalb sind Sie dann meiner Aufforderung gefolgt?« trieb er sie in die Enge.
»Weil ich Aufsehen vermeiden möchte.«
Er neigte sich etwas zu ihr hinab.
»Und doch lag vorhin eine versteckte Drohung in Ihren Worten. Ich sage Ihnen offen, ich fürchte mich nicht.« Er lächelte sie auch wirklich sorglos an.
»Weshalb sagen Sie mir Ihren Namen nicht?«
»Haben Sie mich nicht selbst daran gehindert, mich Ihnen vorzustellen?« gab er ruhig zurück. »Entsinnen Sie sich noch unserer ersten Plauderstunde? Die war allerdings schöner als unsere jetzige Unterhaltung.«
Gunhild hüllte sich in Trotz und Schweigen.
Bevor der Tanz zu Ende ging und er sie mit großem Bedauern freigeben mußte, raunte er ihr zu:
»Werden Sie mir einen zweiten Tanz gewähren?«
Beharrlich sah Gunhild an den hellen Augen vorbei.
»Ihre Dame könnte sich ängstigen.«
»Meine Schwester ist solche Eigenmächtigkeiten von mir gewohnt.«
Augenblicklich verhielt sie den Schritt. Sie atmete tief und erleichtert auf, wie er feststellen konnte.
»Ihre Schwester? Und – und ist das die Wahrheit?«
»Das kann ich beschwören.«
Sein Blick verfing sich in dem ihren. Es war ein beglückender Augenblick.
»Ich gratuliere«, sagte Doktor Murphy, als sich Gunhild wieder neben ihrem Chef niederließ, und er drohte ihr scherzend mit dem Finger, »zu der Eroberung, die Sie gemacht haben.«
Gunhild tat sehr erstaunt, dachte aber: Wie merkwürdig er das gesagt hat. Also stimmt es doch, daß er mich beobachtet.
»Dann könnten alle jungen Mädchen hier das gleiche von sich behaupten«, erwiderte sie gleichmütig. »Wo steckt denn mein junger Freund?«
Doktor Murphy wies auf die Tanzfläche.
»Er hat sich die Begleiterin Ihres Tänzers geholt, diese entzückende blonde Dame im weißen Kleid.«
»Sie ist sehr schön«, gab Gunhild neidlos zu.
In Doktor Murphys Augen flammte es heiß auf.
»Aber die schönste Frau sind doch Sie«, sagte er.
Gunhild erschrak. Die Tatsache, daß ihr Chef sich für ihr Aussehen zu interessieren begann, war ihr unangenehm.
»Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich heimgehen«, sagte sie.
Sofort erhob er sich.
»Mir ist es recht.«
Mit ganz anderen Gefühlen als Doktor Murphy verließ sie die Bar, in der sie unverhofft dem Mann begegnet war, der ihr ganzes Denken erfüllte.
Unweit der Tanzfläche winkte sie Harry herzlich zu, der eben mit der blonden jungen Dame vorbeitanzte.
Er winkte ebenso fröhlich zurück.
Harry war wieder einmal ohne Sorgen und mit dem bisherigen Verlauf des Abends vollauf zufrieden. Er wußte ja nun, daß er sich nur an Gunhild Bruckner zu wenden brauchte. Von ihr konnte er mühelos alles Wissenswerte erfahren.
*
Am nächsten Morgen saß Gunhild Bruckner wieder an der Schreibmaschine in Doktor Murphys Arbeitszimmer in seiner Junggesellenwohnung und hatte alles, was nicht geschäftlicher Art war, aus ihrem Gedächtnis verbannt.
Eine ältere Haushälterin betreute Doktor Murphy und seinen Haushalt und fungierte auch als Empfangsdame.
Als es an der Flurtür klingelte, blieb Gunhild daher ruhig bei ihrer Arbeit. Sie schaute erst auf, als eine Dame auf der Schwelle stand.
»Kann ich Herrn Doktor Murphy sprechen?«
Gunhild erhob sich und wollte sich an den Chef wenden, ihr blieb aber das Wort im Munde stecken.
Doktor Murphy stand in der offenen Tür und starrte auf die Besucherin. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren.
Auch Iris Mayring war tief erblaßt. Nur mühsam bewahrte sie ihre Ruhe.
»Kann ich Sie allein sprechen?«
Doktor Murphy nickte.
Als die Tür sich hinter dem Chef und der Besucherin geschlossen hatte, stand Gunhild immer noch inmitten des Zimmers und grübelte vor sich hin.
Was hatte dieser Besuch zu bedeuten?
»Bitte, nimm Platz«, sagte indessen im Nebenzimmer Doktor Murphy mit erzwungener Ruhe und deutete auf einen der Sessel, die in einer gemütlichen Ecke um einen niedrigen Tisch gruppiert waren.
Iris Mayring schien seine Aufforderung überhört zu haben. Sie sah aus großen, verachtungsvollen Augen den Mann an.
»Also hier nennst du dich Doktor Murphy«, begann sie die Unterhaltung.
Er versuchte zu lächeln, es mißlang.
»Vielleicht habe ich mich früher einmal anders genannt. Jedenfalls bin ich Doktor Murphy.«
Iris Mayring verzog die Lippen.
»Willst du damit behaupten, daß du inzwischen ein ehrliches Leben angefangen hast?«
Ihre Stimme war kalt und voll Hohn.
Etwas wie Furcht lag in seinen Augen.
»Übrigens entsinne ich mich genau. Der Mann, der meinen Mann in seiner Arbeit unterstützte, hieß Heinrich Bruckner«, fuhr sie fort. »Fräulein Bruckner ist also wohl die Tochter jenes Mannes, der bei der Katastrophe auch sein Leben lassen mußte. Seit wann ist James Sommerfield edelmütig?«
»Laß diesen Hohn«, stieß Doktor Murphy zornig hervor. »Sag mir lieber, was dein Erscheinen bei mir zu bedeuten hat.«
»Ich wollte nur wissen, ob sich hinter der Maske des stillen Gelehrten Doktor Murphy wirklich der Mann versteckt, der meinem Mann seinerzeit die Dokumente stahl und der seinen Tod auf dem Gewissen hat.«
Doktor Murphy zündete sich eine Zigarette an. Er mußte etwas tun, um die maßlose Unruhe in sich niederzuzwingen.
»Verdammt!« knirschte er. »Laß die Vergangenheit ruhen!«
Mitleidlos sah Iris Mayring auf