»Mutti! Mutti!« rufen sie angsterfüllt. Sie können nicht begreifen, daß die Mutter so still und mit bleichem Gesicht vor ihnen liegt, und die Angst preßt ihnen heiße Tränen in die Augen.
Frau von Delian fliegt beinahe durch den Raum, nimmt Charlottes Kopf in die Arme und befiehlt mit spitzer, dünner Stimme: »Rasch, Ingrid, klingle! Monika, lauf ins Nebenzimmer und hol mir die Kristallflasche! Schnell!«
Die Kinder eilen sofort aus dem Zimmer, um ihre Anweisungen auszuführen.
Charlotte Imhoff liegt immer noch in tiefer Ohnmacht auf dem Diwan, während Frau von Delian händeringend hin und her läuft, unfähig, irgendwie zu helfen.
Bald darauf bemüht sich Sanitätsrat Wolter um die junge Frau, nachdem er Frau von Delian gebeten hat, im Nebenzimmer zu warten. Die Anwesenheit der vollständig vor Erregung aufgelösten alten Dame stört ihn.
Lange hielt die Ohnmacht nicht an. Unter den geübten Händen des Arztes schlägt Charlotte bald die Augen auf. Verwirrt schaut sie auf den Sanitätsrat. Sie ist mehr erschrocken als erfreut, ihn zu sehen.
»Die böse Hitze!« sagt sie matt und richtet sich auf. In halb liegender Stellung, den Blick starr auf den Teppich vor sich gerichtet, wartet sie in einem Gefühl dumpfer Beklommenheit, was der Arzt sagen wird.
Aber er sagt kein Wort, mißt sie nur mit einem langen, eigentümlich wohlwollenden Blick.
»Weshalb hat man Sie eigentlich gerufen?« fragt sie nach einer Pause, die ihr allmählich unerträglich wird. »Eine Ohnmacht ist doch nichts Schlimmes.«
»Gewiß, es gibt Schlimmeres«, antwortet der Arzt nur.
»Gottlob!« atmet sie auf, und es klingt wie erlöst.
»Trotzdem war es gut, mich zu rufen. Diese Anfälle dürfen sich nicht mehr wiederholen«, sagt er bedächtig. »Es ist nämlich ein Zeichen von Schwäche, und Sie müssen doch stark sein, Frau Imhoff, wenn Sie einem gesunden Kinde das Leben schenken wollen.«
Charlotte ist maßlos erstaunt. Unfaßbar dünkt sie das, was sie soeben gehört hat. Wie bangte ihr vor dem Ergebnis der Untersuchung – und nun! – »Ich – ich soll Mutter werden?« ringt es sich in heißer Freude von ihren Lippen. Und dann, nach einer kleinen Weile, unter wildem Aufschluchzen: »Herr Doktor, wenn Sie diese unbändige Freude zu Unrecht in mir erweckt hätten –!«
»Damit treibt man doch keinen Scherz«, entgegnet er ernst und streift das glückhafte verklärte Frauenantlitz mit einem warmen Blick. Und dann erteilt er seine Ratschläge. Viel Bewegung an der frischen Luft, viel Schlaf und möglichst keine Erregung.
Charlotte blickt mit großen Augen ins Leere, sie nickt jedoch zu den Worten des Arztes, also hat sie ihn auch verstanden. Dann weist sie mit der Hand auf die Koffer, die zum Teil gepackt und verschlossen im Zimmer stehen.
»In ein paar Tagen will ich mit den Kindern an die See fahren – die Reise erlauben Sie mir doch?«
Sanitätsrat Wolter erlaubt es nicht nur, sondern heißt den Plan sogar gut. »Die Reise wird Wunder wirken, Frau Imhoff. Doch nun will ich mich empfehlen. Sie brauchen meine Hilfe nicht mehr. Außerdem habe ich das Empfinden, als wollten Sie jetzt mit Ihrer Freude allein sein. Gute Reise und gute Erholung, Frau Imhoff.«
Charlotte reicht ihm schnell und dankbar die Hand, so daß er seine Auffassung bestätigt findet, jetzt überflüssig zu sein.
Doch sie hält den Arzt noch ein paar Minuten zurück. »Ich bitte Sie, das Ergebnis Ihrer Untersuchung vorläufig unter uns zu lassen. Wollen Sie mir das versprechen?«
Sanitätsrat Wolter lacht verstehend. »Aber selbstverständlich – kann mir schon denken, der Gatte soll es aus Ihrem Mund erfahren.« Damit empfiehlt er sich, Charlotte fassungslos zurücklassend.
Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, verharrt sie regungslos. Sie hat sich jetzt vielerlei zu überlegen. Doch im Grunde genommen denkt sie nur eines: ich werde ein Kind haben! Auch mein letzter Wunsch soll in Erfüllung gehen! – Dann schauert sie zusammen. – Ist das nicht zuviel des Glückes? Heißt das nicht, das Geschick herauszufordern? – Nein! Nein. – Auch sie hat ein Recht auf die so heiß ersehnte Mutterschaft!
Und dieses Glücksgefühl ist stärker als alle ihre dunklen Ahnungen. Sie versinkt in einen Zustand wunschlosen Träumens, aus dem sie jäh durch Frau von Delian herausgerissen wird.
Blaß und besorgt nähert diese sich dem Bett der jungen Frau.
»Mein Gott, Charlotte – das war ein Schreck!« Sie sinkt auf den Stuhl neben Charlottes Lager und faßt nach deren heißer Hand. »Und der Sanitätsrat meint, es sei nichts weiter als ein bißchen Schwäche gewesen. Die Reise sei das wirksamste Heilmittel! Wie glücklich ich bin!«
Charlottes Augen schimmern feucht. – Wie gern möchte sie sich an die Brust der mütterlichen Freundin flüchten und ihr Geheimnis preisgeben, aber eine seltsame Scheu hält sie zurück.
Bernd! denkt sie. – Bernd soll der erste sein! Und die Überlegung verschließt ihr den Mund.
»Dürfen die Kinder jetzt zu Ihnen?« fragt Frau von Delian, da Charlotte schon wieder in träumerisches Nachdenken versunken ist. »Sie wollen durchaus wissen, was ihrer Mutter fehlt.«
Charlotte fährt auf. Ganz verstört blickt sie drein. »Rufen Sie schnell die Kinder, Delian! Die armen Mädchen! Wissen sie schon, daß wir dennoch reisen?«
»Daran haben wir durchaus nicht gedacht. Ihr Jammer ist kaum mit anzusehen. Sie wollen gar nicht schlafen gehen. Wie die armen Sünder hocken sie dicht beieinander und heulen sich die Augen aus dem Kopfe.«
»Schnell, Delian, säumen Sie nicht!« drängt Charlotte.
Frau von Delian geht hinaus und kehrt nach zwei Minuten mit den beiden Mädchen zurück. Die Augen sind rotgeweint. Furchtsam blicken sie in das Zimmer.
Charlotte steckt ihnen mit ihrem gewohnten Lächeln beide Arme entgegen. »Ingrid! Monika!«
Da liegen sie schon an ihrer Brust, weinen vor Freude und sind von Herzen froh, die Mutti nicht mehr mit so bleichem Gesicht und so stumm vor sich zu sehen.
»Wart ihr bange wegen der Reise?« forscht Charlotte.
»Aber Mutti«, kommt es empört von ihren Lippen, »wir dachten nur an dich – wir hatten solche Angst!«
Sie drückt die Kinder an sich, hält jedes mit einem Arm umfangen. »Eure Mutti ist genauso gesund wie ihr, und wir brauchen unsere Reise nicht abzublasen. Es soll unsere schönste Ferienreise werden!«
*
Auf Professor Holzers Arm gestützt, wandelt Maria Imhoff auf den verschlungenen Parkwegen dahin. Von den Spuren der furchtbaren Erregung an jenem schrecklichen Abend, nach der eine so gnädige Wandlung ihres Geschickes eintrat, ist ihr nichts mehr anzumerken.
»Finden Sie nicht auch, daß die Kranken ein recht merkwürdiges Gebaren an den Tag legen?« Maria Imhoff wendet ihr Auge aus der Richtung fort, wo ein Teil der Kranken in Liegestühlen ruht, und blickt fragend zu dem Professor auf.
Holzer zuckt ein wenig zusammen und zieht die junge Frau rasch in einen stillen Seitenweg. »Sie haben alle schwache Nerven und leiden alle an der gleichen Krankheit, die Sie, gottlob, überwunden haben. Übrigens werden Sie nicht mehr lange diesem Anblick ausgesetzt sein.«
Marias Antlitz rötet sich. »Soll das heißen, daß mein Mann mich nun bald von hier fortholt?«
Professor Holzer ist es, als würge eine Faust an seiner Kehle. Nein! Er kann es ihr nicht sagen! Bernd Imhoff mag der armen Frau selbst den Stand der Dinge enthüllen.
»Ich habe noch nicht geschrieben«, sagt er dumpf.
Maria Imhoff verhält den Schritt. »Nicht geschrieben?« Befremden