Der dicke Mann ist erregt. Der Gemsbart auf seinem Hute zittert.
Einige Passagiere nicken ihm beifällig zu; andere murmeln ihre Zustimmung. Ein Arbeiter sagt: »Überhaupt is de Tramway für an jed’n da. Net wahr? Und dera Frau ihr Zehnerl is vielleicht g’rad so guat, net wahr, als wia dem Herrn sei Zehnerl.«
Die Frau mit dem Bett sieht recht gekränkt aus. Sie schweigt; sie will nicht reden; sie weiß schon, daß arme Leute immer unterdrückt werden.
Sie schnupft ein paarmal auf und setzt sich zurecht. Dabei fährt sie mit dem Bette ihrem anderen Nachbarn ins Gesicht.
Der stößt das Bett unsanft weg und redet in soliden Baßtönen: »Sie, mit Eahnan dreckigen Bett brauchen S’ mir fei ‘s Maul net abwisch’n! Glauben S’ vielleicht, Sie müassen’s mir unta d’ Nasen halt’n, weil S’ as jetzt aus ‘m Versatzamt g’holt hamm?«
Die Passagiere horchen auf.
Da ist noch einer, der die Frau aus dem Volke beleidigt; aber, wie es scheint, ein süddeutscher Landsmann.
Die Stimmung richtet sich nicht gegen ihn. Übrigens sieht er so aus, als wenn ihm das gleichgültig sein könnte.
Er hat etwas Gesundes an sich, etwas Robustes, Hinausschmeißerisches.
Er imponiert sogar dem Herrn mit dem grünen Hute.
Und dann, alle haben es gesehen:
Die Frau ist ihm wirklich mit dem Federbette über das Gesicht gefahren. So etwas tut man nicht. Der Mann selbst ist noch nicht fertig mit seiner Entrüstung. Er wirft einen sehr unfreundlichen Blick auf die Frau aus dem Volke und einen sehr verächtlichen Blick auf das Bett.
Er sagt: »Überhaupt is dös a Frechheit gegen die Leut’, mit so an Bett do rei’geh’. Wer woaß denn, wer in dem Bett g’leg’n is? Vielleicht a Kranker; und mir fahren S’ ins G’sicht damit! Sie ausg’schamte Person!« Einige murmeln beifällig.
Der Mann mit dem grünen Hute gerät wieder in Zorn.
Er sagt: »Der Herr hat ganz recht. Mit so an Bett geht ma net in a Tramway. Da kunnten ja mir alle o’g’steckt wer’n. Heuntzutag, wo’s so viel Bazüllen gibt!« Der Gemsbart auf seinem Hute zittert.
Alle Passagiere sind jetzt wütend über die Unverschämtheit der Frau.
Man ruft den Schaffner.
»De muaß außi!« sagt der Mann mit dem Gemsbart, »und überhaupts, wia könna denn Sie de Frau da einaschiab’n? Muaß ma si vielleicht dös g’fallen lassen bei der Tramway? Daß de Bazüllen im Wag’n umanandfliag’n?« Der Schaffner trifft die Entscheidung, daß die Frau sich auf die vordere Plattform stellen muß. Sie verläßt ihren Platz und geht hinaus.
»Dös war amal a freche Person!« sagt der Mann mit dem Gemsbart.
Der Herr mit dem Zwicker meint: »Eigentlich war sie ganz anständig. Nur mit dem Bette … «
»Was?!« schreit sein robuster Nachbar. »Sie woll’n vielleicht dös Weibsbild in Schutz nehma? Gengan S’ außi dazua, wann’s Eahna so guat g’fallt!«
Alle murmeln beifällig.
Und der Arbeiter sagt: »Da siecht ma halt wieda de Preißen!«
Ein kalter Wintertag.
Die Passagiere des Straßenbahnwagens hauchen große Nebelwolken vor sich hin. Die Fenster sind mit Eisblumen geziert, und wenn der Schaffner die Türe öffnet, zieht jeder die Füße an; am Boden macht sich der kalte Luftstrom zuerst bemerklich. Die Passagiere frieren, nur wenige sind durch warme Kleidungen geschützt, denn der Wagen fährt durch eine ärmliche Vorstadt.
Da kommt ein Herr in den Wagen; er trägt einen pelzgefütterten Überrock, eine Pelzmütze, dicke Handschuhe.
Er setzt sich, ohne seiner Umgebung einen Blick zu schenken, zieht eine Zeitung aus der Tasche und liest.
Die anderen Passagiere mustern ihn; das heißt seine untere Partie. Die obere ist hinter der Zeitung versteckt.
Die größte Aufmerksamkeit schenkt ihm ein behäbiger Mann, der ihm gerade gegenübersitzt.
Er biegt sich nach links und rechts, um hinter die Zeitung zu schauen. Es geht nicht.
Er schiebt mit der Krücke seines Stockes das hemmende Papier weg und fragt in gemütlichem Tone:
»Sie, Herr Nachbar, wissen Sie, aus welchan Pelz Eahna Haub’n is?«
Der Herr zieht die Zeitung unwillig an sich.
»Lassen Sie mich doch in Ruhe!«
»Nix für ungut!« sagt der Behäbige.
Nach einer Welle klopft er mit seinem Stocke an die Zeitung, die der Herr noch immer vor sich hinhält.
»Sie, Herr Nachbar!«
»Waßß denn?!«
»Sie, dös is fei a Biberpelz, Eahna Haub’n da.«
»So lassen Sie mich doch endlich meine Zeitung lesen!«
»Nix für ungut!« sagt der Mann und wendet sich an die anderen Passagiere.
»Ja, dös is a Biberpelz, de Haub’n. Dös is a schön’s Trag’n und kost’ a schön’s Geld, aba ma hat was, und es is an oanmalige Anschaffung. De Haub’n, sag’ i Eahna, de trag’n no amal de Kinder von dem Herrn. De is net zum Umbringa. Freili, billig is er net, so a Biberpelz!«
Die Passagiere beugen sich vor. Sie wollen auch die Pelzmütze sehen.
Aber man sieht nichts von ihr; der Herr hat sich voll Unwillen in seine Zeitung eingewickelt.
Da wird sie ihm wieder weggezogen. Von dem behäbigen Manne, mit der Stockkrücke.
»Sie, Herr Nachbar … «
»Ja, was erlauben Sie sich denn … ?!«
»Herr Nachbar, was hat jetzt de Haub’n eigentlich gekostet?«
Der Herr gibt keine Antwort.
Wütend steht er auf, geht hinaus und schlägt die Türe mit Geräusch zu.
Der Behäbige deutet mit dem Stock auf den leeren Platz und sagt: »Der Biberpelz, den wo dieser Herr hat, der wo jetzt hinaus is, der hat ganz g’wiß seine zwanz’g Markln kost’; wenn er net teurer war!«
Der alte Professor Spengler fährt jeden Morgen gegen acht Uhr vom großen Wirt in Schwabing bis zur Universität.
Er fällt auf durch seine ehrwürdige Erscheinung; lange, weiße Locken hängen ihm auf die Schultern, und er geht gebückt unter der Last der Jahre.
Ein Herr, der auf der Plattform steht, beobachtet ihn längere Zeit durch das Fenster.
Er wendet sich an den Schaffner.
»Wer ist denn eigentlich der alte Herr? Den habe ich schon öfter gesehen.«
»Der? Den kenna Sie nöt?«
»Nein.«
»Dös is do unsa Professa Spengler.«
»So? so? Spengler. M-hm.«
»Professa der Weltgeschüchte«, ergänzt der Schaffner und schüttet eine Prise Schnupftabak auf den Daumen.
»Mhm!« macht der Herr. »So, so.«
Der Schaffner hat den Tabak aufgeschnupft und schaut den Herrn vorwurfsvoll an.
»Den sollten S’ aba scho kenna!« sagt er. »Der hat vier solchene Büacha g’schrieb’n.«
Er zeigt mit den Händen, wie dick die Bücher sind.
»So … so?«
»Lauter Weltgeschüchte!«
»Ich bin nicht von hier«, sagt