Als Anzoleto am anderen Morgen kam, um sie in die Kirche abzuholen, fand er sie an ihrem Spinett, gekleidet und gekämmt wie alle Sonntage und ihr Probestück durchgehend.
– Was, rief er aus, noch nicht coiffiert, noch nicht geputzt! Die Zeit rückt heran, was hast du denn im Kopfe, Consuelo?
– Mein Freund, erwiderte sie fest, ich bin geputzt, ich bin coiffiert, ich bin ruhig. Ich will so bleiben. Jene schönen Kleider stehen mir nicht. Dir sind meine schwarzen Haare lieber als der Puder. Dieses Leibchen lässt meinen Atem ungehindert. Widersprich mir nicht: mein Entschluss ist gefasst. Ich habe Gott um Eingebung gebeten, und meine Mutter, mir zu helfen, dass ich mich richtig betrage. Gott hat mir eingegeben, bescheiden und einfach zu sein. Meine Mutter ist mir im Traume erschienen und hat mir gesagt, was sie mir schon immer sagte. Denke darauf, gut zu singen, und überlasse der Vorsehung das andere. Ich sah sie mein schönes Kleid, meine Spitzen und Bänder nehmen und in den Schrank räumen, dann legte sie mir mein schwarzes Kleid und meine weiße Mousselin-Mantille auf den Stuhl an meinem Bette. Kaum war ich erwacht, so tat ich wie sie in meinem Traume getan, ich schloss meine Toilette ein und zog das schwarze Kleid und die Mantille an: ich bin also fertig. Mein Mut ist mir wieder gekommen, seitdem ich nicht mehr daran denke, durch Mittel zu gefallen, mit denen ich nicht Bescheid weiß. Da, höre einmal meine Stimme, es ist alles da, siehst du.
Sie machte einen Lauf.
– Gott im Himmel, wir sind verloren! rief Anzoleto, deine Stimme ist bedeckt und deine Augen sind rot. Du hast gestern Abend geweint, Consuelo. Nun, das ist eine schöne Geschichte. Ich sage dir, wir sind verloren, du bist toll mit deinem Eigensinn, dich an einem Festtage in Trauer zu kleiden: das bringt Unglück und macht dich hässlich. Geschwind, geschwind! zieh dein schönes Kleid wieder an, indes ich laufen will und dir Rot kaufen. Du bist bleich wie ein Gespenst.
Über diesen Gegenstand erhob sich unter ihnen ein ziemlich lebhafter Streit. Anzoleto wurde etwas grob. Der Kummer kehrte in die Seele des armen Mädchens zurück und ihre Tränen flossen wieder. Nun ärgerte sich Anzoleto noch mehr, und sie stritten noch, als sie den Stundenschlag vernahmen, den unglücklichen Stundenschlag, drei Viertel auf Zweie, die höchste Zeit, um noch nach der Kirche zu kommen, wenn man sich außer Atem lief. Anzoleto verwünschte den Himmel mit einem derben Fluche. Consuelo, bleicher als der Morgenstern, der sich im Wiederscheine der Lagunen beschaut, warf noch einen letzten Blick in ihr zerbrochenes Spiegelchen: dann wendete sie sich um und warf sich ungestüm in Anzoleto’s Arme.
– O mein Freund, rief sie, grolle mir nicht, verwünsche mich nicht. Küsse mich vielmehr, küsse mich recht, um meinen Backen diese gelbe Blässe zu benehmen. Dein Kuss sei mir wie das heilige Feuer auf den Lippen Isajas’, und möge uns Gott nicht strafen, dass wir an seiner Hilfe gezweifelt haben.
Mit Lebhaftigkeit warf sie ihre Mantille über den Kopf, griff nach ihren Noten, und ihren bestürzten Geliebten mit sich ziehend, eilte sie nach den Mendicanti, wo die Menge schon versammelt war, um Porpora’s schöne Musik zu hören. Anzoleto war mehr tot als lebendig; er begab sich auf die Tribüne des Grafen, wohin ihn dieser eingeladen hatte, Consuelo ging auf die Orgel, wo sie die Chöre schon in Schlachtordnung aufgestellt und den Professor vor seinem Pulte fand. Consuelo wusste nicht, dass man von der Tribüne des Grafen weniger in die Kirche als auf den Orgelchor sehen konnte, dass der Graf sie schon ins Auge gefasst hatte und dass er keine ihrer Bewegungen verlor.
Ihre Züge konnte er noch nicht unterscheiden, denn sobald sie eintrat, kniete sie nieder, verbarg ihren Kopf in den Händen und begann mit inbrünstiger Andacht zu beten. Mein Gott, sprach sie aus tiefstem Herzen, du weißt, dass ich mich über meine Nebenbuhlerinnen nicht zu erheben begehre, um sie zu demütigen. Du weißt, dass ich mich nicht der Welt und der profanen Kunst hingeben will, um deine Liebe zu verlassen und mich auf die Bahn des Lasters zu verlieren. Du weißt, dass meine Seele nicht von Stolz aufgebläht ist, und dass ich nur, um mit dem Manne leben zu können, den meine Mutter mir zu lieben erlaubt hat, um ihn nie zu verlassen, um ihm seine Freude und sein Glück zu sichern, zu dir flehe, stehe mir bei und adle meinen Vortrag und meine Gedanken, während ich dein Lob singen werde.
Als die ersten Orchestertöne Consuelo an ihren Platz riefen, erhob sie sich langsam: ihre Mantille fiel auf ihre Schultern zurück und ihr Gesicht zeigte sich endlich den erwartungsvollen und besorgten Zuschauern auf der benachbarten Tribüne. Aber welche wunderbare Verwandlung war mit diesem jungen Mädchen vorgegangen, welches eben noch so bleich und zaghaft, so aufgelöst von Ermattung und Furcht erschienen war. Während die sanften und edlen Züge ihres heiteren, freien Gesichtes sich noch in einem weichen Schmachten badeten, schien ihre hohe Stirn von einem himmlischen Glanze umflossen. Ihr ruhiger Blick verriet keine jener kleinen Leidenschaften, welche gemeinen Erfolg suchen und begleiten. Es lag in ihrem Wesen etwas Feierliches, Tiefes und Geheimnisvolles, welches Ehrfurcht und Rührung unwiderstehlich erweckte.
– Mut, meine Tochter, flüsterte ihr der Professor zu, du sollst ein Stück von einem großen Meister singen, und dieser Meister ist zugegen und hört dich.
– Wer? Marcello? rief Consuelo, als sie den Professor Marcello’s Psalmen auf dem Pulte aufschlagen sah.
– Ja, Marcello! antwortete Porpora. Singe nur wie immer, nichts mehr, nichts weniger, und es wird gut sein.
Wirklich war Marcello, der damals in seinem letzten Lebensjahre stand, nach Venedig gekommen, um noch einmal seine Vaterstadt zu sehen, deren Zierde er als Komponist, als Schriftsteller und als Magistratsperson geworden war. Er hatte dem Porpora alle Artigkeit erwiesen und die Einladung angenommen, dessen Schule zu hören; Porpora aber gedachte ihm die Überraschung zu, dass er zuerst seinen eigenen prachtvollen Psalm: I cieli immensi narrano von Consuelo, welche ihn vollkommen inne hatte, hören sollte. Kein Stück hätte besser der frommen Entzückung entsprochen, in welcher sich die Seele des edlen Mädchens befand. Kaum glänzten die ersten Worte dieses großen, freien Gesanges vor ihren Augen, so fühlte sie sich in eine andere Welt entrückt. Vergessen hatte sie den Grafen Zustiniani, die missgünstigen Blicke ihrer Nebenbuhlerinnen, Anzoleto sogar, an nichts dachte sie als an Gott und an Marcello, der ihr wie ein Dolmetsch vorkam zwischen ihr und den leuchtenden Himmeln, deren Schönheit sie feierte. Und kann es in der Tat einen schöneren Gegenstand, einen erhabeneren Gedanken geben?
I cieli immensi narrano