Er steckte sein Portefeuille zu sich, ergriff Hut und Überrock und verließ die Wohnung, die er sich genommen hatte, um diplomatische Erfolge zu erzielen. Die Droschke trug die beiden Flüchtlinge davon.
8. Kapitel.
Es war am Abend desselben Tages. Das Lokal des Offizierskasinos der Garde war hell erleuchtet und voll besetzt. Man ahnte, daß Leutnant Helmers erscheinen werde, und hatte sich deshalb in voller Zahl eingefunden, um ihm in pleno zu zeigen, daß man mit ihm nichts zu tun haben wolle.
Die älteren Offiziere hatten sich am hinteren, großen Tisch zusammengefunden, während die jüngeren die anderen Plätze besetzt hatten und sich lebhaft unterhielten.
Leutnant Ravenow, der Don Juan des Regiments, spielte mit Golzen und Platen eine Partie Karambolage. Er hatte soeben wieder einen sehr leichten Ball nicht gemacht und stieß das Queue unmutig zur Erde.
»Alle Teufel, geht mir dieser Ball hinten weg!« meinte er. »Verfluchtes Pech im Spiel!« – »Desto größeres Glück in der Liebe«, lachte Platen. »So viel aber ist gewiß, daß du heute mit dem Kapitän Parkert nicht spielen darfst. Du bist zu zerstreut und er ist ein Meister. Schone deine Börse.« – »Parkert?« fragte Golzen halblaut. »Pah, der kommt nicht« – »Nicht? Warum?« – »Oh, mit dem haben wir uns göttlich blamiert!« – »Möchte wissen, inwiefern!« – »Hm! Man soll nicht davon reden«, flüsterte Golzen wichtig. – »Auch nicht gegen Kameraden?« – »Nur gegen verschwiegene allenfalls.« – »Zu denen wir jedenfalls gehören. Oder nicht? Erzähle!« – »Nun, ihr wißt daß ich zuweilen bei Jankows bin ...« – »Beim Polizeirat? Ja. Man sagt, daß du seiner Jüngsten den Hof machst.« – »Oder sie mir. Kurz und gut, ich war auch heute dort, und da habe ich denn erfahren, daß dieser Kapitän Parkert sozusagen ein politischer Schwindler ist, und nicht bloß das, sondern sogar ein wirklicher, ausgefeimter, gefährlicher Verbrecher.«
Ravenow hatte eben das Queue angelegt, um einen Stoß zu tun. Er hielt erstaunt inne, blickte den Sprecher an und sagte:
»Du scherzt, Golzen!« – »Scherzen? Fällt mir gar nicht ein! Oder arretiert man vielleicht einen Menschen, den man für einen außergewöhnlichen, vornehmen Kerl gehalten hat, ohne vorher zwingende Beweise in der Hand zu haben?« – »Donnerwetter! Er ist arretiert worden?« – »Man wollte ihn arretieren.« – »Ah, man hat es aber nicht getan!« – »Weil er ausgerissen ist!« – »Echappiert? Parkert? Der bei uns Zutritt hatte? Weißt du das gewiß?« – »Ebenso genau, als daß er den Kommissar, der ihn holen sollte, bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt hat und dann einen Stock hoch durch das Fenster gesprungen ist.« – »Alle Teufel, das ist ein Affront! Wer hätte das diesem so solid scheinenden Kerl zugetraut. Wir haben ihm hier trotz seiner bürgerlichen Abstammung Zutritt gegeben, weil er ein Yankee war und die Nordamerikaner ja keinen Adel haben. Aber so ist es stets: Gibt man sich mit Pack ab, so ist man auf alle Fälle blamiert. Wir haben nun desto größere Verpflichtung, uns gegen diesen Kameraden Helmers streng ablehnend zu verhalten.« – »Mir scheint«, meinte Platen, der bereits beim Major Kurts Partei genommen hatte, »daß zwischen einem flüchtigen Verbrecher und einem brav gedienten Offizier denn doch ein kleiner Unterschied zu machen ist.« – »Pöbel bleibt Pöbel, ob in Zivil oder in Uniform, das bleibt sich gleich«, antwortete Ravenow. »Man muß ihm den Dienst verleiden. Man muß dafür sorgen, daß er so bald wie möglich seine Versetzung fordert.«
In diesem Augenblick trat der Oberst seines Regiments ein. Er wurde hier nicht sehr oft als Gast gesehen. Er kam gewöhnlich nur dann, wenn er irgendeine dienstliche Angelegenheit in freundlich-kameradschaftlicher Weise behandeln wollte. Daher ahnte man bei seinem Eintritt sogleich, daß es sich um irgendeine Mitteilung handle, die geeignet sei, das Interesse seiner Offiziere in Anspruch zu nehmen.
Er setzte sich zu den älteren Herren am letzten Tisch, ließ sich ein Glas Wein geben und musterte die Anwesenden, die ihn in dienstlicher Haltung begrüßt hatten. Seine Untergebenen warteten auf seine Erlaubnis, ihre vorherige Beschäftigung fortsetzen zu dürfen. Sein Blick fiel auf Ravenow, der trotz seiner Leichtlebigkeit sein erklärter Günstling war.
»Ah, Ravenow«, sagte er, »spielen Sie immerhin Ihre Partie aus, aber sodann keine weitere.« – »Ah, Herr Oberst, ich bin im Verlust, muß also um Revanche ersuchen«, antwortete der Leutnant. – »Heute nicht; schonen Sie Ihre Beine und Ihre Kräfte!« – »So gibt es morgen wohl Extraübung?« – »Ja, aber nicht zu Pferde, sondern zu Fuß, und zwar mit jungen Damen im Arm.«
Bei diesen Worten hoben alle die Köpfe empor.
»Ja«, lachte der Oberst, »da gucken die Herren! Ich will Ihre Wißbegierde auf keine allzu harte Probe stellen, sondern Ihnen sogleich den Sachverhalt mitteilen, damit ich dann ungestört meine Partie Whist spielen kann.«
So abweisend er sich gegen Kurt benommen hatte, so umgänglich konnte er sein, wenn er wollte und wenn er sicher war, seiner Ehre keinen Schaden zu tun. Als jetzt die Herren sich näher um seinen Tisch zusammenzogen, meinte er
»Ja, es wird morgen eine leidliche Fußübung geben; man nennt diese Art Exerzieren gewöhnlich Ball.« – »Ein Ball, eine Soiree, wo, wo?« fragte es überall. – »An einem Ort, an den Sie am allerwenigsten denken werden, meine Herren. Hier habe ich ein ganzes, großes Kuvert voll Einladungskarten, die ich an sämtliche Offiziere meines Regiments und deren nähere Kameraden verteilen soll. Es sind im ganzen sechzig Karten, und die Damen sich auch mit geladen.« – »Aber von wem?« fragte ein Major, der neben dem Oberst saß. – »Ich wette zehn Monatsgagen, Herr Kamerad, daß Sie es nicht erraten. Denken Sie sich mein Erstaunen, als ich bei Anbruch des Abends dieses Kuvert erhielt, den Inhalt bemerkte und dabei folgendes Schreiben fand:
»Herrn Baron von Winslow, Oberst des ersten Gardehusarenregiments.
Herr Oberst!
Seine Majestät der König sind so freundlich gewesen, mir die Wohn- und Gartenräume Seines königlichen Schlosses Monbijou zu einer Soiree dansante – Abendgesellschaft mit Tanz –, die ich morgen abzuhalten gedenke, zur Verfügung zu stellen. Ich sende Ihnen die beifolgenden Karten, um sie an die Offiziere Ihres Regiments und deren nähere Kameraden zu verteilen, und bin überzeugt, daß ich Sie mit Ihrer Frau Gemahlin nebst Töchtern sowie auch die Damen der Herren Offiziere bei mir sehen werde.
Ihr wohl affektionierter
Ludwig III.
Großherzog von Hessen-Darmstadt«
Als der Oberst das großherzogliche Schreiben wieder zusammenfaltete und sein Auge über die Zuhörer schweifen ließ, begegnete er auf allen Gesichtern dem Ausdruck des Erstaunens.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte der bereits erwähnte Major. – »Diese Frage habe ich mir auch vorgelegt, aber ohne eine Antwort zu finden. Meine Frau – und die Herren wissen, daß die Frauen sich für äußerst scharfsinnig halten –, meine Frau meinte, daß es von oben her im Werke sei, dem Großherzog unser Husarenregiment zu verleihen. Er hat im vergangenen Krieg Preußen feindlich gegenübergestanden, und nun will Seine Majestät ihn vielleicht durch eine solche Auszeichnung an sich ketten.« – »Wie ich höre, wurde er heute telegrafisch nach Berlin gerufen«, wagte Leutnant Golzen zu bemerken. – »Woher wissen Sie das?« fragte der Oberst schnell. – »Sie wissen, Herr Oberst, daß die Herren Diener untereinander strenge Fühlung haben, und der meinige ist ein Schlaukopf, der voller Neuigkeiten steckt, wie eine Zeitung.« – »Diese telegrafische Einladung ließe, wenn sich ihre Wahrheit bewährte, auf wichtige diplomatische Konstellationen schließen. Man beginnt, sich huldvoll gegen die Südstaaten zu zeigen, man will sie also fesseln.