Chrisanna Burkhardt
EISENJAHRE
Chrisanna Burkhardt
EISENJAHRE
Die heiteren Seiten härterer Zeiten
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© 2009 by Amalthea Signum Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten
Schutzumschlaggestaltung: Kurt Hamtil, verlagsbüro wien
Herstellung: studio e, Josef Embacher
Umschlagfoto: IMAGNO/Schostal Archiv
Herstellung und Satz: studio e Josef Embacher
Gesetzt aus der 11,5/15 New Caledonia
Gedruckt in der EU
ISBN 3-85002-678-9
eISBN 978-3-902862-48-8
Meiner Mutter in Dankbarkeit für zahllose Erzählungen und Aufzeichnungen und den Angehörigen und Nachkommen der Familien Bürger, Burkhardt, Chia, Conzales, Ettl, Glöckel, Haydo, Jemelka, Kainrath, Kornfeld, Krames, Molnar, Neusiedler, Pehofer, Reis, Rippl, Rosenbüchler, Schlosser, Schiessl-Kürner, Spanblöchel, Zenz sowie allen Bewohnern einst und immer noch kleiner Städte gewidmet
INHALT
PROLOG
Eisen hat einen seltsamen Geruch. Für alle, die Eisen lieben, ist er angenehm. Eisen lebt. Es ist kalt, solange es nicht berührt wird, und erwärmt sich, wenn man es mit der Hand umschließt. Es nimmt die Wärme des menschlichen Körpers auf und gibt im Gegenzug etwas von seiner Kraft ab. Eisen ist Bestandteil unseres Blutes. Ist zu wenig dieses wichtigen Elementes vorhanden, werden wir krank. Fehlt es überhaupt, gehen wir zugrunde.
Kunststoff hat auch einen seltsamen Geruch, aber keinen angenehmen: Er ist leblose Materie, nimmt menschliche Wärme nicht an und hat nichts an Kraft abzugeben. Kunststoff ist nicht Bestandteil unseres Blutes. Geschieht es aber, werden wir krank oder gehen daran zugrunde. Wir brauchen Kunststoff nicht wirklich, es wäre noch genug Eisen vorhanden, um ihn zu ersetzen. Dass es nicht so ist, mag daran liegen, dass nicht alle Eisen zu lieben und zu brauchen glauben.
Ihre Kindheit war vom Geruch des Eisens erfüllt gewesen. Sie hatte es glühen und Funken sprühen gesehen, wenn es in der Schmiede bearbeitet wurde, sein wunderbares Farbenspiel und seine Wandlungsfähigkeit bewundert. Aber ebenso das Rosten und den Zerfall. – Oft hatte sie an der braunroten Schicht gekratzt und in dünn gerostete Flächen mit den Fingern Löcher gebohrt. Irgendwie aber waren auch jene Teile, wo sich der Rost schon durchgefressen hatte, von einer bizarren Schönheit, weil daraus Gesichter und Gestalten hervortraten und ihre wundersamen Geschichten erzählten. Trotzdem blieb dabei das Gefühl der Enttäuschung und Trauer, weil es nicht sein durfte, dass Eisen so schwach, so angreifbar und zerstörbar wurde.
In der neuen Welt, in die sie einzutreten hatte, galt es als unpraktisch und war durch Kunststoffe ersetzt worden. Sie vermisste das Eisen und seinen Geruch so sehr, dass sie später einmal in einem fremden Land, im Gefühl von Trostlosigkeit und Mangel an Perspektiven, einen Schrottplatz aufsuchte, wo sie inmitten der Trümmer halbverrosteter Eisenteile kauerte und mit geschlossenen Augen spürte, wie sich ein Stück Eisen in ihrer Hand erwärmte und es seine Kraft in sie überströmen ließ. Wenigstens empfand sie es so und darauf kam es schließlich an, um der Plastikwelt für wenige tröstliche Momente den Rücken kehren zu können. Weil jene Jahre für immer unauslöschlich blieben: die Eisenjahre.
DIE KLEINE STADT
Eine kleine Stadt in der Provinz. Man könnte sogar sagen irgendeine kleine Stadt, weil sie anderen historischen Städten in vielen Belangen gleicht. Diese hier ist schon über 900 Jahre alt, daher mit einer respektablen Historie ausgestattet, die je nach Autor einige Varianten aufweist, aber trotzdem noch immer reichlich mit Relikten und Monumenten aus alten Zeiten versehen ist. Etwa den Resten der Stadtmauer, der ehemaligen Wehrkirche, einer Pestsäule, verschiedenen mehrere hunderte Jahre alten Gebäude, Plätzen, deren Besonderheit nur in den Erzählungen liegt, die sich um sie ranken ...
Wie die von dem hartherzigen Ritter, der aus schnöder Habsucht seinen eigenen Bruder erschlug (oder mit dem Schwert durchbohrte ... je nach Erzähler). Weil aber doch nicht völlig rettungslos böse, bereute er die Tat und gelobte, zur Buße neun Kirchen zu erbauen. – Weshalb gerade neun? Vielleicht, weil sechs, elf ... ebenso viele Fragen aufgeworfen hätten. Jedenfalls, so erzählt die Sage, wäre ihm ohnehin das Geld ausgegangen und er habe stattdessen nur eine Kirche und acht Bildstöcke errichtet ... Alles eine Frage des Verhandlungsgeschickes, auch vor fast tausend Jahren. So aber sei der Name entstanden ... Wirklich!
»Unsinn«, zerstörten Historiker und auch Sprachforscher diese blutrünstig berührende Legende. Der Ort wäre weit und breit der einzige gewesen, der eine Wehrkirche errichtet hatte. Eine ganz neue ... Also wäre man zur »Neuen Kirche« geflüchtet, wann immer sich Bedrohliches ankündete. Und aufgrund der in der Gegend üblichen, nachlässigen Aussprache wäre aus »Neuen« Neun geworden. So sagt man aber fast wortgleich auch über andere Städte gleichen Namens, weshalb bohrender Verdacht aufkommt, es könnte wenigstens in einem Fall völlig anders gewesen sein.
Ursprünglich eine Keltensiedlung, später Römern so sehr zur Heimat geworden,