Bei der Heimfahrt saß ich am Steuer, wortkarg und innerlich erregt; meine Augen mochten wohl mitunter auf dem andern in ziemlicher Entfernung vor uns rudernden Boote ruhen, während die jungen Damen mich vergebens in ihre Plaudereien zu ziehen suchten.
»Aber Sie sind heut nicht zu gebrauchen!« sagte die eine; »unsere schöne Nähterin scheint Sie stumm gemacht zu haben!«
»Ist Lore Ihre Nähterin?« fragte ich noch halb in Gedanken.
»Lore! Woher wissen Sie denn, daß sie Lore heißt?«
»Wir sind aus einer Stadt; ich habe in der Tanzschule meine erste Mazurka mit ihr getanzt.«
»So! – Sie soll auch jetzt noch gern mit Studenten tanzen.«
Unser Gespräch über Lore war zu Ende; aber ich wußte jetzt, weshalb Christoph nicht hatte reden mögen.
Dennoch sah ich ihn später im Lauf des Winters mehrmals an öffentlichen Orten mit Lore zusammen, meistens in Gesellschaft der lahmen Marie oder einer ältern Person, welche niemand anders als die Erbtante sein konnte, die dem armen Schneider noch so kurz vor seinem Ende das Kleinod seines Herzens entführt hatte. Eines Abends, es mochte einige Wochen nach Neujahr sein, hörte ich von meinem Zimmer aus einen Tumult auf der Straße. Als ich das Fenster öffnete, bemerkte ich unter dem vorbeiziehenden Haufen hie und da rote Studentenmützen; endlich erkannte ich beim Schein der Straßenlaterne auch einen unserer Pedelle.
»Was gibt’s, Dose?« rief ich hinunter.
»Holz hat’s gegeben, Herr Doktor.« – Dose nannte mich aus einem nur uns beiden bekannten Grunde allzeit Herr Doktor.
»So? Und wohl wieder auf dem Ballhaus?« fragte ich.
»Nun, wo denn anders?«
Das Ballhaus war ein öffentliches Tanzlokal, wo die altherkömmliche Feindschaft zwischen Studenten und Handwerksgesellen sich zu Zeiten Luft zu machen pflegte. Es schien diesmal indessen arg geworden zu sein; denn Dose machte andeutungsweise eine höchst kräftige Bewegung mit der Faust.
»Wer hat’s denn gekriegt?« fragte ich noch.
Der Alte hielt die Hand vor den Mund und flüsterte mir zu: »Es ist auf die rechte Stelle gekommen, Herr Doktor.« Ein Bekannter, der unser Gespräch hörte, rief im Vorübergehen: »Es ist der Raugraf; die Knoten haben ihm auf Abschlag gezahlt.«
Der sogenannte »Raugraf« war ein ebenso schöner, als wüster junger Mann, der in den Hörsälen der Professoren selten, dagegen häufig auf der Mensur und regelmäßig auf der Kneipe zu finden war; einer von denen, die auf Universitäten eine Rolle spielen, um dann im spätern Leben spurlos zu verschwinden. Von den jungen Handwerkern, denen er ihre Mädchen abspenstig machte, wurde er ebensosehr gehaßt, als er für die größere Anzahl der jüngern Studenten der Gegenstand einer scheuen Bewunderung war. Nachdem er eine Reihe anderer Universitäten besucht und, teilweise durch Relegation gezwungen, wieder verlassen hatte, fand er für gut, auch die unsrige zu versuchen; und bald gingen von seinem großen Wechsel und dann von seinen noch größeren Schulden die mannigfaltigsten Gerüchte im Schwange. Der Titel »Raugraf«, den er mitbrachte, paßte insofern für ihn, als er an die Zeiten des Faustrechts erinnert, und allerdings die Weise der alten Junker, die Schwächeren rücksichtslos für ihre Leidenschaften zu verbrauchen, sich vollständig auf ihn vererbt zu haben schien.
Da ich den »Raugrafen« weder genauer kannte, noch ein Interesse an seiner Person nahm, so schloß ich das Fenster und begab mich zur Ruhe, ohne des Vorfalles weiter zu gedenken.
Am Nachmittage darauf sollte ich indessen aufs neue daran erinnert werden. – Ich hatte eben meinen Kaffee getrunken und saß im Sofa über einer Pandektenkontroverse, als an die Stubentür gepocht wurde.
Auf mein »Herein!« trat die stattliche Gestalt meines Freundes Christoph vorsichtig und etwas zögernd in das Zimmer.
»Bist du allein?« fragte er.
»Wie du siehst, Christoph.«
Er schwieg einen Augenblick. »Ich muß fort von hier, Philipp«, sagte er dann, »noch heute abend; weit fort, an den Rhein zu meinem Mutterbruder; er ist schwächlich und braucht einen Gesellen, der nach dem Rechten sehen kann. Aber ich fürchte, meine Barschaft reicht nicht für die Reise, und Fechten, das ist nicht meine Sache.«
Ich war schon an mein Pult gegangen und hatte eine kleine Geldsumme auf den Tisch gezählt. »Reicht es, Christoph?«
»Ich danke dir, Philipp.« Und er steckte das Geld sorgsam in seine Börse, die schon einen kleinen Schatz an Gold-und Silbermünzen enthielt. Erst jetzt sah ich, daß er in seiner schwarzen Sonntagskleidung vor mir stand.
»Aber du bist ja in vollem Wichs«, fragte ich; »wo bist du denn gewesen?«
»Nun«, sagte er und rieb sich nachdenklich mit der Hand seine breite Stirn, »ich komme eben von der Polizei!«
»Du hast schon deinen Paß geholt?«
»Jawohl; meinen Laufpaß.«
Ich sah ihn fragend an.
»Es ist wegen der dummen Geschichte auf dem Ballhause.«
Mir ging ein Licht auf. »So! Also du bist es gewesen«, sagte ich; »daß mir das nicht sogleich eingefallen ist!«
»Freilich bin ich dort gewesen, Philipp.«
»Lenore war wohl mit dir?«
Er nickte.
»Und da hast du den Raugrafen durchgeprügelt?«
Ein Lächeln befriedigten Hasses legte sich um seinen Mund. »Sie sagen ja, daß ich’s gewesen sei«, erwiderte er.
Der alte Feind der Gymnasiasten sprach dies in solchem Tone der Genugtuung, daß ich über den Sachverhalt nicht mehr zweifelhaft sein konnte.
Ich mußte laut auflachen. »So erzähl mir doch! Wie kam denn die Geschichte?«
»Nun Philipp – du weißt doch, daß ich mit der Lore gehe?«
»Seid ihr denn einig miteinander?«
»Es ist wohl so was«, erwiderte er. – »Sie ist eine anstellige Person; und nach dem Tode der alten Tante bekommt sie auch noch eine Kleinigkeit.«
Ich sah ihn lächelnd an. »Nun Christoph, sie ist auch sonst so übel nicht; du hättest so überzeugend sonst auch schwerlich zugeschlagen!«
Er blickte einen Augenblick vor sich hin. »Ich weiß es kaum«, sagte er, »wir standen in der Reihe, Lore und ich – es geschah nur ihr zu Gefallen, daß ich hingegangen war – da kam der lange blasse Kerl, der schon immer auf sie gemustert und dabei mit einem andern getuschelt hatte, und wollte extra mit ihr tanzen.«
»War er denn unverschämt gegen deine Dame?«
»Unverschämt? – Sein Gesicht ist unverschämt genug!«
»Und Lore?« sagte ich, meinen Freund scharf fixierend. »Sie hätte wohl gern mit dem schmucken Kavalier getanzt?«
Er zog die Stirnfalten zusammen, und ich sah, wie sich eine trübe Wolke über seinen Augen lagerte.
»Ich weiß es nicht«, sagte er leise. – – »Es war nicht gut, daß ihr das Mädchen damals in eurer Lateinischen Tanzschule den Notknecht spielen ließet.«
Er reichte mir die Hand. »Leb wohl, Philipp«, sagte er, »das Geld schicke ich dir; sonst wirst du wohl nicht viel von mir zu hören bekommen; aber um Jahresfrist, so Gott will, bin ich wieder hier, oder bei uns daheim.«
Er ging. – Ich suchte vergebens mich wieder in meine unterbrochenen