Damals sah ich die tatsächliche Bedeutung dieses Schiffbruchs nicht sofort ein. Heute glaube ich sie zu sehen, bin dessen aber durchaus nicht recht sicher – durchaus nicht. Sicherlich war die ganze Geschichte, wenn ich sie heute nochmals überlege, zu dumm, als daß dabei alles ganz natürlich hätte zugehen können. Gut … Damals aber, im ersten Augenblick, stellte es sich einfach als niederträchtiges Pech dar. Der Dampfer war gesunken. Sie waren zwei Tage zuvor in plötzlicher Hast mit dem Direktor an Bord stromaufwärts losgefahren, unter dem Kommando irgendeines freiwilligen Kapitäns, der, bevor sie noch drei Stunden weit gefahren waren, dem Schiff auf dem steinigen Grund den Boden eingedrückt hatte, so daß es nahe dem Südufer gesunken war. Ich fragte mich, was ich da zu suchen hatte, da doch mein Schiff verloren war. Tatsächlich hatte ich Arbeit in Fülle, um mein Boot aus dem Fluß herauszufischen. Ich mußte mich sofort am nächsten Tage daranmachen. Das und die Ausbesserung, als ich endlich die Stücke in die Station gebracht hatte, nahm mehrere Monate in Anspruch.
Meine erste Unterredung mit dem Direktor war merkwürdig. Er bot mir nach meinem Morgenmarsch von zwanzig Meilen keinen Platz an. Seine Gesichtsfarbe war so alltäglich wie seine Züge, sein Benehmen und seine Stimme. Er war mittelgroß und durchaus gewöhnlich gebaut. Seine Augen, vom üblichen Blau, waren vielleicht bemerkenswert durch ihre Kälte, und tatsächlich konnte er seinen Blick schneidend und schwer wie einen Axthieb auf einem ruhen lassen. Doch selbst dann schien der Rest seiner Persönlichkeit die Absicht Lügen zu strafen. Im übrigen war da noch ein unbeschreiblich flüchtiger Ausdruck auf seinen Lippen, etwas Verstohlenes – ein Lächeln – kein Lächeln – ich sehe es noch vor mir, kann es aber nicht beschreiben. Es war augenscheinlich unbewußt, dieses Lächeln, obwohl es sich nach jedem seiner Sätze für einen Augenblick verstärkte. Es stellte sich am Ende seiner Reden ein und wirkte wie ein Siegel, das den Worten aufgedrückt wurde, um den Sinn noch des alltäglichsten Satzes unergründlich erscheinen zu lassen. Er war ein gewöhnlicher Händler, der von Jugend an in diesen Gegenden gearbeitet hatte – nichts weiter. Man gehorchte ihm, doch flößte er weder Liebe noch Furcht ein, nicht einmal Achtung. Unbehagen war es, was er einflößte. Das war es, Unbehagen. Nicht ausgesprochenes Mißtrauen nur Unbehagen. Nicht mehr. Ihr macht euch keine Vorstellung, wie wirksam eine solche… Fähigkeit sein kann. Ihm fehlte die Gabe, aus sich heraus etwas zu schaffen, Anordnungen zu geben oder auch nur, Vorhandenes in Ordnung zu halten. Das zeigte sich unter anderem zur Genüge in dem trostlosen Zustand der Station. Er hatte keine Vorbildung, keine Intelligenz. Auf seinen Posten war er gekommen – wodurch? Vielleicht, weil er niemals krank war… Er hatte dort draußen drei Dreijahrsfristen abgedient… Denn strotzende Gesundheit inmitten allgemeinen körperlichen Verfalls bildet in sich selbst eine Art Macht. Wenn er auf Urlaub heimging, dann lebte er auf großem Fuß, in Saus und Braus, wie irgendein Matrose auf Landurlaub – der Unterschied lag nur im rein Äußerlichen. Das konnte man aus seinen gelegentlichen Bemerkungen entnehmen. Er schuf nichts, er konnte einfach nur die Arbeit in Gang halten. Sonst nichts. Doch er war groß. Er war groß infolge der einen Kleinigkeit, daß es unmöglich zu sagen war, was über einen solchen Mann Gewalt haben konnte. Dieses Geheimnis gab er nie aus der Hand. Vielleicht war gar nichts in ihm. Diese Vermutung mußte einen nachdenklich stimmen – denn äußere Hemmungen gab es ja dort draußen nicht. Einmal, als verschiedene Tropenkrankheiten so ziemlich jeden einzelnen ›Agenten‹ in der Station umgelegt hatten, hörte man ihn sagen: ›Leute, die hier herauskommen, sollten keine Eingeweide haben.‹ Er besiegelte den Ausspruch mit seinem gewissen Lächeln, als hätten die Worte die Tür zu einer Finsternis gebildet, die er in persönlicher Verwahrung hatte. Man konnte sich einbilden, Dinge gesehen zu haben – aber das Siegel stand davor. Als ihn bei den Mahlzeiten die ewigen Stänkereien der Weißen über den Vortritt geärgert hatten, ließ er einen ungeheuren runden Tisch machen, für den eigens ein Haus gebaut werden mußte. Das war dann der Meßraum der Station. Wo der Direktor saß, war der erste Platz – der Rest war nirgends. Man fühlte, daß dies seine unumstößliche Überzeugung war. Er war weder höflich noch unhöflich. Er war ruhig. Er erlaubte seinem Boy – einem überfütterten jungen Neger von der Küste –, vor seinen Augen den Weißen mit herausfordernder Frechheit zu begegnen. Sobald er meiner ansichtig wurde, begann er zu sprechen. Ich sei recht lange unterwegs gewesen, er habe nicht warten können. Habe ohne mich aufbrechen müssen. Die Stationen stromaufwärts hätten frisch versorgt werden müssen. Es habe bis dahin schon soviel Aufschub gegeben, daß er gar nicht mehr wisse, wer schon tot und wer noch am Leben sei, was sie alle trieben und so weiter und so weiter. Meine Erklärung beachtete er nicht, sondern wiederholte mehrmals, während er mit einer Stange Siegellack spielte, daß die Lage ›sehr, sehr ernst‹ sei. Es liefen Gerüchte um, daß eine äußerst wichtige Station in Gefahr sei und ihr Chef, Herr Kurtz, erkrankt. Er hoffe, daß es nicht wahr sei. Herr Kurtz sei… Ich fühlte mich müde und gereizt. Zum Teufel mit Kurtz, dachte ich. Ich unterbrach ihn mit der Mitteilung, daß ich von Kurtz an der Küste gehört hätte. ›Oh! So sprechen die da unten schon von ihm!‹ murmelte er vor sich hin. Dann sprach er weiter und versicherte mir, daß Herr