113. Goethe’s Schwester an Kestner.
115. Goethe an Kestner und Lotten.
122. Fragment eines Brief-Concepts
132. Goethe’s Mutter an Kestner und Lotte.
138. Gedicht Goethe’s an Kestner,
Einige ältere Briefe Kestner’s, als fernere erläuternde Documente.
139. Kestner an seinen früheren Hauslehrer.
Einleitung.[1]
Unser Dichter ist dahingegangen; wir betrachten sein mächtiges Leben; wir erforschen seine Spuren; wir sammeln was ihn betrifft, um der Geschichte die verklungenen Töne zu überweisen, aus denen sie die unvergängliche Sprache bildet, zur Erhebung und Belehrung der Menschen. Solchen Schätzen fügen wir hiemit eine Reihe eigenhändiger Briefe Goethe’s hinzu, vorzüglich aus der Periode des Werther, und begleiten sie mit einigen erläuternden Documenten.
In einer lieblichen Erscheinung der Wirklichkeit, in der wir die Elemente seines großen Gedichtes erkennen, erblicken wir Ihn, der seitdem ein halbes Jahrhundert die Ideen seiner Nation beherrscht hat, einem jungen Adler gleich, der seine Flügel zu schwingen beginnt, kaum ahnend, daß sie Ihn einst zur höchsten Sonne tragen werden, sehen Ihn, den Jüngling, den Freund, den Liebenden, mit unsern eigenen Augen im Leben wandelnd. Denn wenn Er uns später das Bild seines Lebens als „Wahrheit und Dichtung“[2] gab, so bekannte Er selbst seinen Zweifel, ob im Nebel der Vergangenheit Ihm das Geschehene oder die Idee des Dichters erscheine, ob seine bejahrten Augen an dem Jünglinge die Farben der Jugend noch zu erkennen vermöchten.
Goethe’s Verehrung einer wirklichen Lotte in Wetzlar war Vielen bekannt; denn schon als ein glänzender Jüngling war er vielfach von den Zeitgenossen besprochen und hochgeschätzt. Kurze Zeit, nachdem er die Stadt auf immer verlassen hatte, erschoß sich daselbst ein interessanter junger Mann, Wilhelm Jerusalem, Sohn des berühmten Theologen, des Abts Jerusalem in Braunschweig. Zwei Jahre darauf erschien der Roman: „Die Leiden des jungen Werther.“ Der erdichtete Selbstmord des erdichteten Werther, und die noch in frischem Andenken stehende Schreckensthat Jerusalems, die ebenfalls einer unglücklichen Liebe zugeschrieben und mit Goethe’s Aufenthalt in derselben Stadt fast gleichzeitig war, wirkten zusammen, um die vom Dichter durch den Roman so heftig bewegten Gemüther aufzuregen, und trieben zur Erforschung der Thatsachen, in denen man den Gegenstand so lebendiger Schilderung zu entdecken begierig war. Ein Gewirre von Erzählungen und Auslegungen überschwemmte Deutschland, in denen bald der todte Jerusalem, bald der lebende Goethe mit dem Werther vermengt und verflochten wurde. Solche Beziehungen konnten, wie wir sehen werden, größtentheils nur Goethe’s Seelenzustand treffen, das Faktische derselben aber war, zumal in so fern es die Katastrophe des Romans betrifft, schon deßwegen seiner Person fremd, weil er die Lotte schon in ihrem Brautstande auf immer verlassen hat, und niemals als junge Frau, sondern erst, als er 70, und sie 60 Jahre alt war, in Weimar, wo sie ihre Schwester besuchte, wieder gesehen hat, als sie die ehrwürdige Mutter von zwölf Kindern war, von denen der Verfasser dieser Einleitung der vierte Sohn ist. Unsere Briefe setzen dieses Alles ins Licht. Um jedoch das Bild jener Zeit vollständig aufzufassen, ist es wesentlich, die Personen der Freunde kennen zu lernen, mit denen Goethe gleichsam aus dem Leben in die Dichtung überging; und hiezu sind die nachstehenden Seiten bestimmt. Wenn in diesen historischen Erläuterungen der Sohn über seine Eltern so ausführlich redet, so glaubt er solches in Beziehung auf Goethe selbst nicht unterlassen zu dürfen, weil dadurch dessen innige Freundschaft für die Eltern erklärt und nur dadurch sein ganzes Verhältniß zu ihnen erklärlich wird.
Der nachmalige Hofrath Johann Christian Kestner in Hannover, in Goethe’s „Wahrheit und Dichtung“ (pag. 114 des