Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Dominik
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831613
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forderte den Verleumder und traf ihn tödlich. Dann ging ich zu meiner Verlobten. Ich forderte Aufklärung. Ihre Rechtfertigung ging an meinem Herzen vorbei. Ich gab ihr den Ring zurück. Ging fort von Paris, durchirrte die Welt.

      Es hat vieler Jahre bedurft, bis ich die Ruhe wiederfand. Heute denke ich anders darüber. Wenn ich heute … Warum davon noch sprechen.

      Heute gilt es Mannestat! Was mich heute bewegt, was mir Herz und Hirn erfüllt, schaltet jeden Gedanken an ein Weib aus.

      Es gilt einen Wurf, der unsere Welt umgestalten soll … Wenn du wieder zurück bist, wenn dein Herz frei von der Sorge ist, will ich dir sagen, wozu das Schicksal uns bestimmt hat.«

      »Wenn ich zurück bin, Erik. Jetzt denke an dein Versprechen. Ich habe getan, was ich tun sollte.«

      Bevor Erik Truwor zu antworten vermochte, sprach Atma: »Es ist nicht gut, das Mädchen in der Hand der Gewalt zu lassen.«

      Atma saß zurückgelehnt. Seine Augen blickten weitgeöffnet in die Ferne. Die Pupillen zogen sich eng und immer enger zusammen. Seine Hände ruhten auf einem tibetanischen Rosenkranz.

      »So sah er aus, als er mir riet … nein, befahl, nach Trenton zu gehen.«

      Erik Truwor flüsterte es Silvester zu. Nach einigen Minuten erschütterte ein tiefer Atemzug die Brust des Regungslosen. Seine Pupillen bekamen wieder ihre natürliche Weite. Er sprach: »Die feindliche Kraft ist am Werke. Glossin hat den dritten Ring. Er sinnt auf Böses. Wir müssen den Ring holen … und das Mädchen.«

      Erik Truwor widersprach. Was solle der Ring? Auf die Männer käme es an. Die wären zusammen!

      »Welchen Auftrag gab dir Jatschu?«

      Atma stellte die Frage tibetanisch, und Erik Truwor antwortete in der gleichen Sprache: »Er sagte: Suchet den dritten Ring!«

      »Das sagte er? Also müssen wir ihn suchen. Die Wege des Lebens sind tausendfach verflochten. Was dir Nebensache erscheint, wird zur Hauptsache, wenn das Rad sich dreht. Erst den Ring! Dann das Mädchen und dann … alles andere. So ist es bestimmt. So wird es geschehen.« Atma hatte es leise und monoton, noch unter der Einwirkung des kataleptischen Zustandes gesprochen. Aber ein zwingender Wille ging von den Worten aus. Unter dem Zwange gab Erik Truwor seine Einwilligung.

      »So sei es denn. Ihr beide mögt gehen, den Ring und das Mädchen holen. Ich bleibe hier und baue den Strahler. Brecht morgen mit dem frühesten auf. Tut, was ihr tun müßt …«

      »Noch diese Nacht. In einer Stunde. Eile tut not.«

      Soma Atma sagte es. Der Inder, der lange Tage und Wochen untätig verbringen konnte, der Stunden hindurch, in die Betrachtungen seiner Lehre versenkt, wie eine Bildsäule saß, während Erik Truwor und Silvester mit Anspannung aller Kräfte arbeiteten, der sonst so tatenlose Inder war jetzt ganz Willen und Tat.

      »In einer Stunde brechen wir auf. Die Maschinen sind nachzusehen. Das Schiff muß hierhergebracht werden. Den kleinsten Strahler müssen wir mitnehmen. Wir könnten ihn brauchen.«

      Atma befahl, und die Freunde gehorchten seiner Weisung.

      In einer Stunde läßt sich viel tun. Was Menschenkraft zu tun vermag, geschah in dieser Zeit. Das Flugschiff lag auf der Wiese vor dem Truworhaus. Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Dann ein kurzer Händedruck, und ein silberner Stern schoß in die Wolken.

      Die hohe Gestalt Erik Truwors blieb allein auf dem Feld zurück. Die Strahlen der Mitternachtsonne umströmten ihn. Er stand und sah, wie die Sonne vom tiefsten Stand ihres Bogens in Mitternacht sich hob und stieg.

      Langsam schritt er seinem Hause zu und überdachte die alte Weissagung. Sie verhieß Gewaltiges. Sie gab ihm, der oft willens gewesen, das Leben wie ein unbequemes Gewand abzutun, wieder Daseinszweck.

      Er trat in das Haus und ging in die Bibliothek. Den alten Schweinslederfolianten ergriff er, der dort abseits von den anderen Büchern in einer Truhe lag.

      Die Geschichte seines Geschlechtes. Auf vergilbtem Pergament die handschriftlichen Aufzeichnungen seiner Ahnen und Urahnen. Zurückgehend bis in das zehnte Jahrhundert. Jede große europäische Bibliothek hätte diesen Folianten mit Gold aufgewogen. Er schlug die alte so oft gelesene Stelle auf. In diesem Teile war der Foliant lateinisch geschrieben. Ein schwerfälliges, frühmittelalterliches Latein. Der Schreiber brauchte lateinische Worte, aber altnordischen Satzbau. Er schilderte die Ereignisse, die sich zweihundert Jahre früher, um die Mitte des zehnten Jahrhunderts, begeben hatten.

      »Da schickten die Slawen von Sonnenaufgang eine Gesandtschaft zum Stamme Ruriks. Die sprach: Sendet uns Männer, die uns beherrschen, denn wir können uns nicht selbst regieren. Keiner will dem anderen gehorchen. Zwietracht verheert das Land …«

      Ein Truwor war damals nach Rußland gegangen. Männer aus Nordland hatten das zwieträchtige Slawenvolk regiert und geeint. Vor tausend Jahren. Die Weltgeschichte wiederholt sich nicht wörtlich. Aber sie wiederholt sehr oft ein altes Thema mit freien Variationen.

      Die Eintragungen in diesem Buche gingen bis in die Gegenwart. Als letzte Bemerkung stand dort, von Eriks Hand geschrieben, der Tod Olaf Truwors eingezeichnet. Seitdem stand das Geschlecht der Truwor auf zwei Augen. Auf den beiden Eriks, die jetzt suchend in die helle Nacht blickten, als wollten sie kommende Jahre durchspähen.

      Je länger sich Erik Truwor in die Erfindung Silvesters vertiefte, desto gewaltiger erschien ihm die Macht, die sie gewährte. Immer wieder suchte er mit nüchternen Gründen gegen das Überwältigende der Idee anzukämpfen. Es schien ihm unmöglich, daß eine Erfindung einem einzigen Menschen die unbeschränkte Macht über die ganze Welt verleihen solle. Und doch gelang ihm die Widerlegung nicht.

      Er griff sich an die Stirn, als wolle er einen Traum verscheuchen, der ihn narre. Er versuchte es zum zehnten- und zwölftenmal von einer anderen Seite aus, und immer wieder brachte ihn die Schlußkette an das nämliche Ziel.

      Er konnte der Welt seine Befehle mitteilen. Elektromagnetisch in Form drahtloser Depeschen. Der Strahler ersetzte jede drahtlose Station.

      Die Welt konnte seine Befehle mißachten. Er konnte Strafen auf die Mißachtung setzen, und er war in der Lage, schwer zu strafen. Ganze Regierungen konnte er einäschern. Die Sprengstofflager feindlicher Staaten zur Explosion bringen. Eiserne Waffen elektromagnetisch unbrauchbar machen.

      Alles konnte er. Nur einen schwachen Punkt hatte seine Macht. Er war ein einzelner, war ein sterblicher Mensch gegen Millionen anderer Menschen. Ein Schuß konnte ihn töten. Eine Bombe konnte ihn mit seinem Hause vernichten. Nie durfte er selbst an die Öffentlichkeit treten, nie durften seine Gegner seinen Aufenthalt erfahren. Seine Macht war übermenschlich, solange sie geheimblieb und vom unbekannten Orte aus wirkte. Sie wurde angreifbar, sobald die Gegner ihren Sitz und Ursprung errieten.

      Erik Truwor ließ die vergilbten Pergamentblätter des alten Folianten durch die Finger gleiten. Kam vom Pergament zum Büttenpapier und schließlich zu einem Schuß glatten Maschinenpapiers, den Olaf Truwor dem Buche eingeheftet hatte.

      Wenige Zeilen in der charakteristischen Handschrift seines Vaters: »Mit seltener Hartnäckigkeit hat sich in unserer Familie die Sage erhalten, daß ein Sproß unseres Stammes der Welt noch einmal Gesetze geben wird. Ein Harald Truwor hat den Glauben an die Legende Anno 1542 mit seinem Kopf bezahlt. Ich habe es immer vermieden, von dem alten Spuk zu sprechen. Hoffentlich kommt die Sage jetzt endlich zur Ruhe.«

      Erik Truwor mußte trotz seiner ernsten Stimmung lächeln. Es war ihm schon klar, wie solche Sagen sich fortpflanzen. In den Dienerstuben wurde davon gesprochen. So hatte er selbst als Kind davon gehört, und die Erinnerung war bis heute haftengeblieben. Auch ohne die Aufzeichnungen seines Vaters hätte er darum gewußt. Etwas anderes erschien ihm wichtiger. War die Sage begründet? Bestimmte das Schicksal die Taten und Leistungen des einzelnen wirklich auf Jahrtausende im voraus? Die Frage quälte ihn, und er konnte die Antwort nicht finden.

      Reynolds-Farm, an drei Seiten von steilen Felsen und bewaldeten Anhöhen umgeben, liegt eingebettet in ein Meer von Grün. Die letzten Bäume des Waldes berühren mit ihren Kronen beinahe die Dächer der Gebäude. Einzelne