Die Hauptarbeit hatte Silvester getan. Hindernisse, die immer wieder unvermutet auftauchten, hatte sein erfinderisches Genie bewältigt. Wenn bei den anderen die Zweifel laut oder leise sich regten, hatte er das Problem mit unbeirrbarer Zuversicht von einer neuen Seite angefaßt. Erik Truwor sah die Arbeit nicht ohne Sorge, denn Silvester war körperlich nicht eben der stärkste. Es kam wohl vor, daß er die Hände auf das in der Entdeckerfreude übermäßig pochende Herz pressen mußte, daß er mit wankenden Knien Minuten ruhen mußte, bevor der Kampf weiterging.
Nach einer letzten durcharbeiteten Nacht warf Silvester mit glückselig stolzem Lächeln seine Feder hin. Das Heureka des siegreichen Forschers kam über seine Lippen. Dann sank er zusammen und fiel in einen tiefen, todähnlichen Schlaf.
Mit liebevollen Händen betteten sie den Zusammengesunkenen auf seinem Lager.
Atma hielt dort die Wacht.
Erik Truwor litt es nicht länger in den engen Räumen. Mit übervollem Herzen stürmte er hinaus, um allein und im Freien seiner Gedanken und Pläne Herr zu werden.
Gedanken und Pläne von unerhörter Kühnheit, die seit Wochen in ihm brodelten, zerrissen und sich von neuem zusammenballten, wollten sich jetzt verdichten und Gestalt annehmen. Schon eine Stunde stürmte er durch den tiefen Wald und wußte nicht, wie er dorthin gekommen war. Auf steilen Grashalden ging es bergan. Geröll und Felsblöcke zwangen ihn, seine Schritte zu verlangsamen. Als er die Höhe erreichte, rang er nach Atem. Tief unter ihm lag der Strom. Sein Rauschen drang nur noch gedämpft herauf. Dichte Nebelschwaden zogen an den Talwänden. Ein frischer Wind pfiff über die Höhen. Erik Truwor nahm den Hut vom Kopf und ließ sich die erhitzte Stirn kühlen. Er ließ sich auf einem Felsblock am Rande des Abhanges nieder. So saß er lange still und starr wie der Stein unter ihm.
Die lauten und verworrenen Stimmen der vergangenen Nächte begannen zusammenzuklingen zu einer klaren, starken Melodie. Zu einem unnennbaren Hochgefühl voll Zuversicht, Ruhe und Kraft, das von ihm ausströmte und ihm entgegenströmte aus den stummen Steinhalden, dem dunklen Grün der Föhren, den Spitzen der fernen Bergkämme.
In diesem Augenblick umspannte sein Geist weite Räume und Zeiten, verknüpfte das Gegenwärtige mit dem Vergangenen und Zukünftigen. Die Erinnerungen an Pankong Tzo wurden lebendig. Die geheimnisvollen Lehren und Sprüche, immer wieder mit der gleichen Überzeugung und Gläubigkeit vorgetragen und immer wieder zweifelnd von ihm aufgenommen. Jetzt war die Stunde gekommen, die ihm der Abt in Pankong Tzo mit lächelnder Zuversicht vorausgesagt.
Die Stunde der Wandlung! Die Stunde, die sein irdisches Dasein in zwei Leben teilte.
Als er vor Tagen die Tragweite von Silvesters Erfindung erkannte, als er die Möglichkeit erblickte, mit ihrer Hilfe der Welt neue Gesetze, seine Gesetze vorzuschreiben, hatte ihn die Größe des Gedankens erschreckt und niedergedrückt. Jetzt war es entschieden.
Das Schicksal hatte aus dem Alten in Pankong Tzo gesprochen und ihn zu seinem Werkzeug erkoren.
Mit festen Schritten ging er den Weg nach Linnais zurück. Siegesgewiß. Von der Idee an seine Mission erfüllt und getragen.
Aus langem stärkenden Schlummer war Silvester erwacht. Erfindung … Strahler … Konstruktionen, alles das lag traumhaft hinter ihm.
Jetzt, wo die gewaltigste Arbeit getan, seine Schöpfung vollkommen war, kehrten seine Gedanken ungehemmt zu früheren Dingen zurück. Sie gingen nach Trenton. Sie flogen zu Jane.
Er verstand sich selbst nicht mehr. Wie war es möglich, daß er in diesen Tagen der Arbeit Jane so vollkommen vergessen konnte. Hatte ihn das Problem verzaubert? War ein anderer Einfluß wirksam? Er wußte keine Antwort darauf.
Er sah seine Verlobte. Sah sie in dem kleinen Hausgarten ihre Lieblinge, die Blumen, pflegen. Er erblickte sie im traulichen Beisammensein im Lichtschein der Lampe. Er sah, wie beim Sprechen ein rosiger Blutschimmer ihre zarten Wangen färbte und wie ihre Augen aufstrahlten. Er sah sie in stillen Abendstunden in leichtem schwebenden Gang an seiner Seite durch die Felder gehen.
Dann sah er Dr. Glossin, und Sorge beschlich ihn. Er mußte zu Jane, mußte sie schützen, mußte sie in Sicherheit bringen. Liebe und Furcht mischten sich in seinen Gedanken.
Mit Ungeduld erwartete er die Rückkehr Erik Truwors. In fliegender Hast trug er ihm seine Pläne und Wünsche vor. Die Erfindung war vollendet. Die Ausführung war eine Kleinigkeit. Wenn sie ohne seine Mitwirkung etwas länger dauerte, was verschlug das.
Mit unbewegter Miene hörte Erik Truwor die Wünsche Silvesters.
»Um eines Weibes willen willst du fahnenflüchtig werden?«
»Fahnenflüchtig? Was soll dieses Wort von deiner Seite? Aus Janes Munde wäre es berechtigt.«
»Und unsere Mission?«
Erik Truwor sprach es mit starker Stimme.
»Mission? Meine Aufgabe ist erfüllt. Das sagt mir mein Innerstes. Die Erfindung ist vollendet. Was ich zu geben hatte, habe ich gegeben. Die Werkstattarbeit geht ohne mich. Was kommt es auf ein paar Tage früher oder später an?«
»In ein paar Tagen können Tausende von Männern fallen, Tausende von Frauen Witwen werden. In ein paar Tagen kann mehr Elend entstehen, als in Jahrzehnten wieder gutzumachen ist.«
»Du siehst schwarz. Erwartest du schon in nächster Zeit den Kriegsausbruch?«
»Gewiß! Täglich, stündlich können die ersten Schüsse fallen. Deshalb muß der Apparat so schnell wie möglich fertiggestellt werden. Wir sind ausgeruht. Nichts hindert uns, sofort an die Arbeit zu gehen.«
Silvester stand stumm. Widerstreitende Gefühle kämpften in seinem Inneren. Er sah Jane in den Händen Glossins. Er sah Schlachtfelder, bedeckt mit Toten und Verwundeten … Ehre und Gewissen zwangen ihn, seine Liebe zum Opfer zu bringen. Er tat es mit blutendem Herzen.
»Aber …« Die tiefe Erregung spiegelte sich in seinen Augen wider … »Aber woher nimmst du die Gewißheit, daß der Krieg schon in allernächster Zeit ausbrechen wird? Dein Glaube gründet sich doch nur auf Mutmaßungen.«
Wortlos deutete Erik Truwor auf den Inder.
»Du, Atma! Du sagst es?«
»Ich sagte, was ich in den stillen Nächten sah, in denen ihr arbeitetet. Ich sah die blanken Schwerter in den Händen der feindlichen Brüder, bereit zum Töten.«
Silvester senkte betroffen das Haupt. Die Voraussagen Atmas waren untrüglich. Er wendete sich ab, um seine innere Bewegung zu verbergen. Da fühlte er die Arme des Inders sich um seine Schultern legen.
»Der Krieg wird nicht kommen, bevor sich der Mond vollendet. Als ich in der vergangenen Nacht an deinem Lager wachte, sah ich, wie die Schwerter sich in ihre Scheiden zurücksenkten. Die Hände der Männer blieben am Griff.«
»Was sagst du, Atma? Der Krieg ist aufgeschoben?«
Erik Truwor trat näher an den Inder heran. Er hielt den Papierstreifen des Telegraphenapparates zwischen den Fingern.
»Aufgeschoben. Das würde die veränderte Sprache in diesen Telegrammen erklären.«
»Aufgeschoben, bis der Mond sich erneut. Wir haben Zeit. Zeit, deinen Willen zu tun, und Zeit, die Wünsche Silvesters zu erfüllen.«
Erik Truwor traf die Entscheidung. Für achtundvierzig Stunden brauchte er die Hilfe Silvesters noch, um alle Teile der neuen Konstruktion so weit fertigzumachen, daß er sie dann selbst nur zusammenzusetzen brauchte.
Sein Befehl war zwingend. Vergeblich suchte Silvester dagegen zu kämpfen. Atma nahm die Partei Erik Truwors.
»Zwei Tage und zwei Nächte, Silvester. Dann haben wir hier getan, was zu tun ist, und holen das Mädchen.«
Mit einem Seufzer fügte sich Silvester dem Willen seiner Freunde. Von neuem begann ein Arbeiten, ein Schmieden, Feilen und Schleifen. Stahl und Kupfer gewannen neue Formen, und in achtundvierzig Stunden wuchsen die Teile, die den neuen