Eben noch das Periskop der Seeräuber … tauchend … verschwindend.
Da! Die blassen, verstörten Gesichter der Mannschaften, der Passagiere.
Tausend Hände auf den fliehenden Feind deutend.
Die Stimme des Ersten Offiziers riß ihn aus seiner Verwirrung.
»Die Tresore sind beraubt! Die Passagierlisten … wären sie nicht nachzuprüfen?« Der Kapitän nickte.
»Nachprüfen? Jawohl! Prüfen Sie nach!«
»Der Sender ist in Ordnung gebracht!« meldete ihm der Zweite Offizier.
»Funken Sie … funken Sie!« Der Kapitän kam ins Stocken. »Sie wissen’s ja! Sie haben’s ja erlebt! … Funken Sie!«
Der Offizier gab die Nachricht … Antworten kamen von hier und von da. Die wichtigste: Amerikanische U-Boote auf der Fahrt von Kingston aus zur Verfolgung des Räubers angesetzt.
Meldung vom Ersten Offizier.
»Alle Mannschaften und Passagiere wohlbehalten an Bord. Passagier Christie Harlessen, kommend von Valparaiso, zur Zeit nicht auffindbar.«
Der Kapitän hörte es, las und nickte. Gott sei Dank – kein Menschenleben in Gefahr, wie es schien. Christie Harlessen, Kontoristin aus New York, Raub nicht anzunehmen … völlig ausgeschlossen!
Eine Milliardärstochter, das wäre was anderes. Eine Kontoristin?
Ausgeschlossen! Wer weiß, wo die sich in ihrer Angst verkrochen hat … im tiefsten Raum des Schiffes … Die wird sich schon wieder einfinden.
Mit einem erleichterten Aufatmen ging der Kapitän von der Brücke.
Die Nacht war da. Kein Abendkonzert, kein Bai pare. Die Gesellschaftsräume öde und leer. Kaum daß ein paar Gruppen, in den Gängen beisammenstehend, das Ereignis besprachen. Am anderen Morgen waren die Promenadendecks überfüllt … Fragen in allen Sprachen schwirrend … Erregung über das Ereignis in Worten und Gesten … ein aufgeregter Bienenschwarm …
Nur wenige waren es, deren Eigentum geraubt war … Die Frechheit der Räuber! Hier … auf offener See … die Piraten! Der Ruf nach der Seepolizei! Von allen Seiten wurde er hörbar.
Doch kein Menschenraub … die Passagierliste aufgerufen … alle waren da gewesen, bis auf eine Miss Harlessen aus New York, eine kleine Kontoristin … sie sollte fehlen … nun, wer weiß, wo sie sich versteckt hatte in der Angst. Die Lautsprecher hatten mehrmals vergeblich ihren Namen ausgerufen.
Die Melodien der Musikkapelle klangen vom Oberdeck. Mit jedem Ton verschwanden Angst und Sorge mehr. Die, deren Depots geraubt waren? Die Versicherungsgesellschaften mußten es tragen. Wie lautete denn der neue Passus in den Policen? Auch gegen Seeraub … man hatte gelacht, als man zuerst die Worte las … und doch, wie hatte die Wirklichkeit die Lachenden eines Besseren belehrt.
Die Schiffszeitung brachte am nächsten Morgen Nachrichten aus aller Welt, Nachrichten von Bord … da zum Schluß: Passagier Christie Harlessen ab Hafen Valparaiso an Bord der »Abraham Lincoln«, vermißt seit der Stunde des Überfalls.
Der Prozeß James Smith war zu Ende! Der Angeklagte freigesprochen! Eine Sensation ohnegleichen! Tagelang war Washington überfüllt. Schon allein das Riesenheer der Reporter, die aus allen Teilen der Welt hierher geeilt waren, brachte Tausende nach Washington. Bis in die entlegensten Winkel der Welt drangen ihre Berichte.
Sensationsprozeß?
Und doch! Die Gerichtsverhandlung … Wie wenig waren die meisten auf ihre Kosten gekommen! Die Sensation lag im Geschehnis, das den Grund zum Prozeß gab; in den fürchterlichen Auswirkungen hatte sie gelegen. Die Gerichtsverhandlungen selbst?
Die einzige Sensation war der Angeklagte. Als die Hünengestalt des Chefingenieurs in den Saal trat, ging ein Ruck durch die Tribünenbesucher.
Das war der Mann, der Mann, an dessen Name sich alles knüpfte, fortspann über Jahrhunderte, Jahrtausende. Absichtlich? Unabsichtlich?
Eine Tat war geschehen durch ihn, die alle Ordnung der Welt über den Haufen warf. Der ganze Riesensaal … aller Blicke, vom Vorsitzenden des Gerichtshofes bis auf den letzten der Zuhörer, waren minutenlang wie gebannt auf den Angeklagten gerichtet.
Das war der Mann! Sein Bild? Die Presse der Welt hatte es längst gebracht. Ein Bild aus früheren Tagen, aus Tagen vor dem, an dem es geschah. Wie würde er jetzt aussehen?
Seine Gestalt, sein Gesicht, bis in die kleinsten Züge verfolgte es die Versammlung. Jeden! Zitternd in dem Versuch, darin zu lesen … irgend etwas.
Das Gesicht … nach dem, was geschehen, es konnte … es mußte sich verändert haben. Irgendwie … das ungeheure Unglück drüben! Wenn er auch schuldlos war, irgendwie mußte das doch die Züge geändert haben.
Wäre er gebeugt, mit allen Zeichen des seelischen Gebrochenseins, geführt von helfenden Armen, in den Saal gekommen, die wenigsten hätten sich darüber gewundert.
Aber er war hereingekommen, die Riesengestalt hoch aufgerichtet, den markanten Kopf zurückgeworfen, die Augen auf den Richtertisch geheftet. Hatte kurz davor halt gemacht, die Richter mit leichtem Neigen begrüßt und sich niedergesetzt. Die Anklageschrift war verlesen worden.
Der Angeklagte hatte sie angehört. Kein Zug in seinem Gesicht veränderte sich. Kein Augenzucken, keine Bewegung des Körpers!
Das war auch so geblieben bis zum Schluß der Verhandlung. Seine Antworten an den Vorsitzenden, an die Sachverständigen, den Staatsanwalt … mit immer der gleichen, ruhigen, selbstbewußten Stimme gesprochen. Die Plädoyers! Auch der Staatsanwalt hatte Freispruch beantragt.
Der Spruch des Vorsitzenden, der die Freisprechung verkündete!
Nichts hatte das Gesicht des Angeklagten auch nur im kleinsten sich ändern lassen. Die eiserne, fast gleichgültige Ruhe war immer dieselbe geblieben. Er war aufgestanden, von der Anklagebank hinausgeschritten durch die Masse der Zuhörer, die ihm Beifall zuriefen.
Des Mannes Gesicht … wäre es aus Stein gehauen … nicht starrer hätte es blicken können.
Der Kraftwagen brachte ihn zum Hotel. Er trat in sein Zimmer, schloß es ab. Das Schnappen des Schlosses … das Schnappen des Schlosses an seiner Kerkertür! Wie hatte ihn das bei jedem Hinausgehen des Schließers gepeinigt, ihm zugeschrieen: Gefangen! Verbrecher …
Verbrecher an der Menschheit, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gekannt hatte.
Jetzt hatte seine Hand, die Hand des Freien, die Hand des Freigesprochenen, das Schloß einschnappen lassen. Es hatte ihm dasselbe zugeschrieen wie das Schloß an seiner Kerkertür.
Frei? Freigesprochen?
Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse. Ein gräßliches Lachen brach aus seinem Mund.
Frei? Freigesprochen?
Er warf sich auf ein Ruhebett und vergrub das Gesicht in die Kissen.
Wie anders würden jetzt die Zeitungsüberschriften lauten! Und doch, für ihn blieben es die alten, die ihn im Gefängnis täglich gepeinigt hatten. Mit aller Kraft seiner Seele kämpfte er gegen die Qualen, das Bild Juanitas vor seine Augen zwingend, sich an sie klammernd, in deren Hände er seine Seele gegeben hatte. Er warf sich zur Seite. Seine Brust atmete freier; das Gesicht nur zeigte noch die Spuren des Kampfes. Juanita! Er sprang auf, durchmaß mit starken Schritten das Zimmer, blieb dann mit einem Ruck stehen. Er! … Rouse!
Würde er sie ihm kampflos überlassen? Die Riesengestalt reckte sich.
Die Hände ballten sich zu Fäusten, hoben sich, als stände der andere vor ihm … Er! Er soll sich hüten! Und wenn ich ihn