Minutenlang mußte der Sprecher warten, bis der lärmende Beifall abgeebbt war. Dann sprach der Parlamentspräsident.
»Meine Herren, ich erteile dem großbritannischen Deputierten Mr.
Bertie das Wort zur Begründung des Antrags.«
Mr. Bertie, ein Schotte aus der Gegend des Clyde, schon ergraut in Haar und Bart, bestieg die Rednertribüne.
»Meine Herren, ich bin genötigt, Ihnen eine kurze Vorgeschichte der Ereignisse zu geben, die zu der heutigen Sitzung geführt haben. Der Panamakanal in seiner jetzigen Form als Schleusenkanal wurde im Jahre 1910 vollendet.
Schon während des Baues verriet sich die unruhige Natur des Bodens durch zahlreiche Bergrutsche. In manchen Abschnitten – ich denke besonders an den Culebra-Abschnitt – zwangen immer wiederkehrende Felsstürze von wahrhaft gigantischen Ausmaßen zu immer größeren Arbeiten. Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wurden die Verhältnisse schlimmer, und in letzter Zeit mußte der Kanal monatelang außer Betrieb gesetzt werden. Die Gründe für diese unerfreulichen Zustände suchte man zunächst in der vulkanischen Beschaffenheit des ganzen Isthmus.
Heute wissen wir, daß diese Gründe viel ernsterer Natur sind. Der lange, dünne Streifen des Isthmus, der die beiden mächtigen, auf einer zähen Unterlage schwimmenden Kontinentalschollen von Nord- und Südamerika verbindet, gleicht einem schwachen Stab, an dessen beiden Enden zwei schwere Lasten wirken. Von einer Isostasie, das heißt von einem Ausgleich der Massen in senkrechter Richtung, kann auf dem Isthmus überhaupt nicht mehr die Rede sein.
Dazu kommen die über alle Vorstellungen gewaltigen waagrechten Kräfte, mit denen die beiden Hälften Amerikas und die tägliche Flutwelle am Isthmus zerren. Die heutige Gestalt der Landenge gibt Ihnen eine schwache Vorstellung dieser enormen Beanspruchung.
Ich möchte bildhaft sagen: Der Isthmus gleicht heute schon einem bis zum Springen gebogenen Stab. Schneidet man einen solchen Stab an, dann zerspringt er.
Die Amerikaner glauben aller Belästigungen ledig zu werden, wenn sie mit modernsten Sprengmitteln eine drei Kilometer breite und wenigstens fünfhundert Meter tiefe Rinne durch den Isthmus sprengen.
Meine Herren, das scheint zunächst nicht mehr als eins der beliebten hemdsärmeligen Radikalmittel zu sein. Aber es ist viel mehr! Es ist der Schnitt, der den Stab zum Springen bringt … bringen muß, wenn die Sprengung über die ganze Isthmusbreite auf einmal erfolgt.
Die meisten von Ihnen, meine Herren, kennen wohl die Einzelheiten des amerikanischen Projekts. Die New Canal Company hat die Mittellinie der neuen Kanalroute mit Schächten von eineinhalb Kilometer Tiefe gespickt. Am unteren Ende eines jeden Schachtes befindet sich eine Sprengkammer, die mit atomarem Sprengstoff geladen ist. Hundertfünfzig solcher Minen sind niedergebracht. Neben jeder dieser Hauptminen befinden sich tausend Meter höher zwei Nebenminen, die die Aufgabe haben, die aus der Tiefe empor geschleuderten Felsmassen im Moment des Aufstiegs seitwärts zu zerstreuen.
Eine gleichzeitige Explosion dieser vierhundertfünfzig Minen, das gleichzeitige Detonieren muß nach der Meinung aller ernsthaften Fachleute den Isthmus in seinen Grundfesten erschüttern. Der Stab wird zerreißen, zersplittern, seine Enden werden auseinanderschnellen – weiter – weiter, werden klaffen, immer weiter klaffen, bis Atlantik und Pazifik sich verschmelzen und der Golfstrom unbehindert seinen Gang nach Westen nimmt.
Tritt das ein – und alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür –, dann stirbt Nordeuropa!«
Der Redner machte eine Pause. Totenstille herrschte im Saale. Der schottische Deputierte fuhr fort:
»Ich will Ihnen nicht die Schreckensbilder an die Wand malen, die Sie alle aus den Tageszeitungen kennen. Ich will nur sagen, die Nullisotherme, die Linie der mittleren Jahrestemperatur von null Grad, wird danach durch London und Berlin gehen. Das heißt, diese Orte würden in Zukunft das Klima haben, das jetzt in Nordisland und Archangelsk herrscht. Alles Land nördlich von London und Berlin würde unrettbar der Vereisung zum Opfer fallen. Die wirtschaftlichen Folgen für Europa würden katastrophal sein. Das alles läßt sich vermeiden, wenn die Amerikaner etappenweise sprengen, wie es in der verlesenen Resolution verlangt wird.
Die etappenweise Sprengung bedeutet zwar einmalige erhöhte Kosten für die New Canal Company, das heißt für die amerikanische Wirtschaft. Aber sie verringert die Gefahr für Europa auf ein Minimum.
Bei dieser Sachlage müssen wir, wir, das heißt Europa, auf der Forderung etappenweise Sprengung mit Nachdruck bestehen.«
Unter brausendem Beifall des Hauses verließ Mr. Bertie die Tribüne.
Der Parlamentspräsident sprach. »Auf der Rednerliste folgt Herr Olaf Larsen, Deputierter für Norwegen.«
Als die lange, hagere Gestalt des Norwegers sich auf die Rednertribüne schob, ging Bewegung durch das Haus. Man kannte seine impulsive Art. Er pflegte kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
»Meine Herren, ich kann mich durchaus nicht darauf beschränken, mich den Worten des verehrten Herrn Vorredners voll und ganz anzuschließen. Reden solcher Art sind in diesem Saal schon öfter gehört worden. Ich will Ihnen die ungeschminkte Wahrheit sagen.
Es ist nichts weiter als Spiegelfechterei, wenn sich die New Canal Company hinter ein paar wenige von der allgemeinen Meinung abweichende Gutachten verschanzt. Gutachten zugestutzter Art, bei denen der Dollar wahrscheinlich Pate gestanden hat.
Die kapitalistischen Mächte, die hinter der New Canal Company stehen, wissen – ich scheue mich nicht, das offen auszusprechen –, wissen sehr genau, was sie wollen. Und sie wollen« – seine Faust krachte auf das Rednerpult nieder –, »sie wollen und wünschen nichts sehnlicher, als daß das eintritt, was – wie der Vorredner ausführte – zu befürchten steht: die Vereisung und die Verelendung großer Teile Europas. Gibt es doch keinen besseren Weg, die europäischen Konkurrenten auf dem Weltmarkt endgültig zu vernichten.
Mit anderen Worten gesagt: Dort die kapitalistischen Interessen einiger amerikanischer Großmilliardäre, hier Leben und Sterben von Millionen von Europäern.
Gewiss mag eine etappenweise Sprengung des neuen Kanals der Company die Baukosten um ein paar Prozent steigern. Aber was hat das zu bedeuten gegenüber dem Untergang ganzer europäischer Nationen!
Ich appelliere nicht an das so genannte Weltgewissen.«
Er machte eine wegwerfende Bewegung. »Dies Requisit, das stets versagte, wenn es galt, besonders große Gemeinheiten zu verhindern.
Ich appelliere an den Menschlichkeitssinn und das Freiheitsbewußtsein des amerikanischen Volkes, das sich nicht von einer verbrecherischen Clique machtgieriger Kapitalisten terrorisieren lassen wird.
In zehn Tagen tritt das amerikanische Parlament zusammen. Wie es sich entscheiden wird, das weiß ich nicht. Versagt aber bei ihm unser Appell, dann appelliere ich jetzt schon an den bewaffneten Arm Europas. Können wir das Unheil nicht hindern, so wollen wir’s rächen, solange uns der Atem bleibt. Können wir’s nicht hindern, so sollen sie dessen gedenken. Das ist meine Meinung. Ein Hundsfott, wer anders denkt!«
Ohne der Beifallsstürme zu achten, die ihm von allen Seiten entgegen klangen, ging er auf seinen Platz zurück.
Der Präsident sprach.
»Meine Herren! Der Sprecher des Hauses hat das Wort.«
Der Sprecher nahm das Wort.
»Meine Herren, weitere Anträge sind nicht gestellt, weitere Redner stehen nicht mehr auf der Liste. Ich habe die Ehre, Ihnen, bevor zur Abstimmung über die Resolutionen geschritten wird, ein kurzes Resümee über die wissenschaftlichen Gutachten in der Frage zu geben.
Vor ungefähr fünf Jahren, sobald der genaue Arbeitsplan der New Canal Company bekannt wurde, lief