Friedrich Schiller: Literatur- und theatertheoretische Essays. Фридрих Шиллер. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Фридрих Шиллер
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027204274
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Zeitpunkt, worin er auftrat, war gerade derjenige, worin stärker als je von Menschenrechten und Gewissensfreiheit die Rede war. Die vorhergehende Reformation hatte diese Ideen zuerst in Umlauf gebracht, und die flandrischen Unruhen erhielten sie in Uebung. Seine Unabhängigkeit von außen, sein Stand als Maltheserritter selbst, schenkten ihm die glückliche Muße, diese spekulative Schwärmerei zur Reife zu brüten.

      In dem Zeitalter und in dem Staat, worin der Marquis auftritt, und in den Außendingen, die ihn umgeben, liegt also der Grund nicht, warum er dieser Philosophie nicht hätte fähig sein, nicht mit schwärmerischer Anhänglichkeit ihr hätte ergeben sein können.

      Wenn die Geschichte reich an Beispielen ist, daß man für Meinungen alles Irdische hintansetzen kann, wenn man dem grundlosesten Wahn die Kraft beilegt, die Gemüther der Menschen auf einen solchen Grad einzunehmen, daß sie aller Aufopferungen fähig gemacht werden: so wäre es sonderbar, der Wahrheit diese Kraft abzustreiten. In einem Zeitpunkt vollends, der so reich, wie jener, an Beispielen ist, daß Menschen Gut und Leben um Lehrsätze wagen, die an sich so wenig Begeisterndes haben, sollte, däucht mir, ein Charakter nicht auffallen, der für die erhabenste aller Ideen etwas Aehnliches wagt; man müßte denn annehmen, daß Wahrheit minder fähig sei, das Menschenherz zu rühren, als der Wahn. Der Marquis ist außerdem als Held angekündigt. Schon in früher Jugend hat er mit seinem Schwerte Proben eines Muths abgelegt, den er nachher für eine ernsthaftere Angelegenheit äußern soll. Begeisternde Wahrheiten und eine seelenerhebende Philosophie müßten, däucht mir, in einer Heldenseele zu etwas ganz Anderm werden, als in dem Gehirn eines Schulgelehrten, oder in dem abgenützten Herzen eines weichlichen Weltmannes.

      Zwei Handlungen des Marquis sind es vorzüglich, an denen man, wie Sie mir sagen, Anstoß genommen hat: sein Verhalten gegen den König in der zehnten Scene des dritten Aufzugs und die Aufopferung für seinen Freund. Aber es könnte sein, daß die Freimütigkeit, mit der er dem Könige seine Gesinnungen vorträgt, weniger auf Rechnung seines Muths, als seiner genauen Kenntniß von Jenes Charakter käme, und mit aufgehobener Gefahr würde sonach auch der Haupteinwurf gegen diese Scene gehoben. Darüber ein andermal, wenn ich Sie von Philipp dem Zweiten unterhalte; jetzt hatte ich es bloß mit Posas Aufopferung für den Prinzen zu thun, worüber ich Ihnen im nächsten Briefe einige Gedanken mittheilen will.

       Inhaltsverzeichnis

      Sie wollten neulich im Don Carlos den Beweis gefunden haben, daß leidenschaftliche Freundschaft ein eben so rührender Gegenstand für die Tragödie sein könne, als leidenschaftliche Liebe, und meine Antwort, daß ich mir das Gemälde einer solchen Freundschaft für die Zukunft zurückgelegt hätte, befremdete Sie. Also auch Sie nehmen es, wie die meisten meiner Leser, als ausgemacht an, daß es schwärmerische Freundschaft gewesen, was ich mir in dem Verhältniß zwischen Carlos und Marquis Posa zum Ziel gesetzt habe? Und aus diesem Standpunkt haben Sie folglich diese beiden Charaktere und vielleicht das ganze Drama bisher betrachtet? Wie aber, lieber Freund, wenn Sie mir mit dieser Freundschaft wirklich zu viel gethan hätten? Wenn es aus dem ganzen Zusammenhang deutlich erhellte, daß sie dieses Ziel nicht gewesen und auch schlechterdings nicht sein konnte? Wenn sich der Charakter des Marquis, so wie er aus dem Total seiner Handlungen hervorgeht, mit einer solchen Freundschaft durchaus nicht vertrüge, und wenn sich gerade aus seinen schönsten Handlungen, die man auf ihre Rechnung schreibt, der beste Beweis für das Gegentheil führen ließe?

      Die erste Ankündigung des Verhältnisses zwischen diesen Beiden könnte irre geführt haben; aber dies auch nur scheinbar, und eine geringe Aufmerksamkeit auf das abstechende Benehmen Beider hätte hingereicht, den Irrthum zu heben. Dadurch, daß der Dichter von ihrer Jugendfreundschaft ausgeht, hat er sich nichts von seinem höhern Plane vergeben; im Gegentheil konnte dieser aus keinem bessern Faden gesponnen werden. Das Verhältniß, in welchem Beide zusammen auftreten, war Reminiscenz ihrer früheren akademischen Jahre. Harmonie der Gefühle, eine gleiche Liebhaberei für das Große und Schöne, ein gleicher Enthusiasmus für Wahrheit, Freiheit und Tugend hatte sie damals an einander geknüpft. Ein Charakter, wie Posas, der sich nachher so, wie es in dem Stücke geschieht, entfaltet, mußte frühe angefangen haben, diese lebhafte Empfindungskraft an einem fruchtbaren Gegenstande zu üben: ein Wohlwollen, das sich in der Folge über die ganze Menschheit erstrecken sollte, mußte von einem engern Bande ausgegangen sein. Dieser schöpferische und feurige Geist mußte bald einen Stoff haben, auf den er wirkte; konnte sich ihm ein schönerer anbieten, als ein zart und lebendig fühlender, seiner Ergießungen empfänglicher, ihm freiwillig entgegeneilender Fürstensohn? Aber auch schon in diesen früheren Zeiten ist der Ernst dieses Charakters in einigen Zügen sichtbar; schon hier ist Posa der kältere, der spätere Freund, und sein Herz, jetzt schon zu weit umfassend, um sich für ein einziges Wesen zusammenzuziehen, muß durch ein schweres Opfer errungen werden.

      »Da fing ich an mit Zärtlichkeiten

       »Und inniger Bruderliebe dich zu quälen:

       »Du stolzes Herz gabst sie mir kalt zurück.

       »– Verschmähen konntest du mein Herz, doch nie

       »Von dir entfernen. Dreimal wiesest du

       »Den Fürsten von dir, dreimal stand er wieder

       »Als Bettler da, um Liebe dich zu flehn u. s. f.

       »— — — — Mein königliches Blut

       »Floß schändlich unter unbarmherzigen Streichen.

       »So hoch kam mir der Eigensinn zu stehn,

       »Von Rodrigo geliebt zu sein.«

      Hier schon sind einige Winke gegeben, wie wenig die Anhänglichkeit des Marquis an den Prinzen auf persönliche Uebereinstimmung sich gründet. Frühe denkt er sich ihn als Königssohn, frühe drängt sich diese Idee zwischen sein Herz und seinen bittenden Freund. Carlos öffnet ihm seine Arme; der junge Weltbürger kniet vor ihm nieder. Gefühle für Freiheit und Menschenadel waren früher in seiner Seele reif, als Freundschaft für Carlos; dieser Zweig wurde erst nachher auf diesen stärkern Stamm gepfropft. Selbst in dem Augenblick, wo sein Stolz durch das große Opfer seines Freundes bezwungen ist, verliert er den Fürstensohn nicht aus den Augen. »Ich will bezahlen,« sagt er, wenn du – König bist.« Ist es möglich, daß sich in einem so jungen Herzen, bei diesem lebendigen und immer gegenwärtigen Gefühl der Ungleichheit ihres Standes, Freundschaft erzeugen konnte, deren wesentliche Bedingung doch Gleichheit ist? Also auch damals schon war es weniger Liebe als Dankbarkeit, weniger Freundschaft als Mitleid, was den Marquis dem Prinzen gewann. Die Gefühle, Ahnungen, Träume, Entschlüsse, die sich dunkel und verworren in dieser Knabenseele drängten, mußten mitgetheilt, in einer andern Seele angeschaut werden, und Carlos war der Einzige, der sie mit ahnen, mit träumen konnte und der sie erwiederte. Ein Geist, wie Posas, mußte seine Ueberlegenheit frühzeitig zu genießen streben, und der liebevolle Karl schmiegte sich so unterwürfig, so gelehrig an ihn an! Posa sah in diesem schönen Spiegel sich selbst und freute sich seines Bildes. So entstand diese akademische Freundschaft.

      Aber jetzt werden sie von einander getrennt, und alles wird anders. Carlos kommt an den Hof seines Vaters, und Posa wirft sich in die Welt. Jener, durch seine frühe Anhänglichkeit an den edelsten und feurigsten Jüngling verwöhnt, findet in dem ganzen Umkreis eines Despotenhofes nichts, was sein Herz befriedigte. Alles um ihn her ist leer und unfruchtbar. Mitten im Gewühl so vieler Höflinge einsam, von der Gegenwart gedrückt, labt er sich an süßen Rückerinnerungen der Vergangenheit. Bei ihm also dauern diese frühen Eindrücke warm und lebendig fort, und sein zum Wohlwollen gebildetes Herz, dem ein würdiger Gegenstand mangelt, verzehrt sich in nie befriedigten Träumen. So versinkt er allmählich in einen Zustand müßiger Schwärmerei, unthätiger Betrachtung. In dem fortwährenden Kampfe mit seiner Lage nützen sich seine Kräfte ab, die unfreundlichen Begegnungen eines ihm so ungleichen Vaters verbreiten eine düstere Schwermuth über sein Wesen – den zehrenden Wurm jeder Geistesblüthe, den Tod der Begeisterung. Zusammengedrückt, ohne Energie, geschäftlos, hinbrütend in sich selbst, von schweren fruchtlosen Kämpfen ermattet, zwischen schreckhaften Extremen herumgescheucht, keines eigenen Aufschwungs mehr mächtig