Parker konnte sich das zwar überhaupt nicht vorstellen, doch er hütete sich, dies zu sagen. Mylady hatte den Zettel mit der Telefonnummer ganz einfach unterschlagen.
»Sollte man dieses bedauerliche, aber verständliche Versäumnis möglicherweise nachholen, Mylady?«
»Unterstehen Sie sich!« Sie blitzte ihn gereizt an. »Ich würde mich ja unmöglich machen. Nein, nein, das muß ich jetzt durchstehen. Leider.«
Sie seufzte tragisch auf und tat so, als habe sich eine unsichtbare, aber schwere Last auf ihre Schultern gesenkt. Dann trank sie den Rest des Kognaks und stand auf. Sie machte einen sehr animierten Eindruck.
»Sie müssen zugeben, Mr. Parker, daß das hier ein neuer Fall für uns ist, oder?«
»Mylady haben sich bereits entschieden?«
»Mylady hat sich bereits entschieden«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Mylady rief diese Nummer bereits an und nannte ihren Namen.«
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit bestürzt«, gab Josuah Parker zurück. »Darf man erfahren, wie die Gegenseite reagierte?«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Agatha Simpson grimmig. »Sehr schlecht erzogene Leute unter diesem Anschluß. Es wurde einfach aufgelegt. Was sagen Sie dazu, Mr. Parker?«
»Die Manieren mancher Leute lassen in der Tat zu wünschen übrig, Mylady.«
»Es wurde einfach aufgelegt, Mr. Parker. Daraus geht doch hervor, daß man Dreck am Stecken hat. Ist Ihnen das nicht aufgegangen?«
»Durchaus, Mylady. Aber die Gegenseite dürfte jetzt wissen, wer da eine Spur aufgenommen zu haben scheint.«
»Das möchte ich doch sehr hoffen«, lautete die Antwort. »Ich habe meinen Namen schließlich laut und deutlich genannt. Sicherheitshalber zweimal! Sie müssen ihn genau verstanden haben.«
*
Er kam wieder mal zufällig vorbei, wie er behauptete.
Super-Intendent McWarden hatte sein bestes Sonntagsgesicht aufgesetzt und begrüßte Lady Simpson. Er schaffte es sogar, so etwas wie einen Kratzfuß anzudeuten, der allerdings leicht verunglückte. McWarden, seit einigen Wochen der berühmten »Flying Squadron« angehörend, war ein untersetzter, bullig aussehender Mann von etwa fünfzig Jahren. Er war ein ausgezeichneter Detektiv, der es überhaupt nicht schätzte, wenn Amateure seine Kreise störten. Zu seinem Pech und Leidwesen aber war es immer dieses Trio – Agatha Simpson, Butler Parker, Kathy Porter das ihm über den Dienstweg lief. Und nur zu oft schon hatte dieses Trio ihm fertig gelöste Kriminalfälle geliefert, während er noch nach den Tätern suchte.
An diesem frühen Nachmittag gab McWarden sich freundlich, was ihm allerdings schwerfiel. Er wiederholte noch mal, er sei wirklich zufällig vorbeigekommen.
»Natürlich war das ohne Absicht, McWarden«, meinte Agatha Simpson genußvoll. »Und rein zufällig wollen Sie herausbekommen, wie ich diesen Ralph Tainers entdeckte, nicht wahr?«
»Ich hörte davon«, meinte McWarden und nahm den angebotenen Platz in einem alten und schweren Ledersessel an.
»Aber diese Sache interessiert Sie nicht, wie ich vermute.«
»Nun, das möchte ich nicht unbedingt sagen«, erklärte der Superintendent gequält. »Tainers war ein interessanter und wichtiger Mann.«
»In der Tat, Sir«, schaltete sich Josuah Parker ein, der dem Gast einen Brandy servierte. »Mr. Ralph Tainers war ein wichtiger Augenzeuge im Fall Edward Healers.«
»Aha, Sie haben sich inzwischen schon informiert?«
»Man brauchte nur in den Zeitungen nachzulesen, Sir«, redete der Butler höflich und gemessen weiter. »Mr. Tainers wollte vor Gericht beschwören, daß Healers einen Mord begangen hat. Er war sich seiner Sache sicher und – wenn ich es so salopp ausdrücken darf – der wichtigste Zeuge der Anklage.«
»Das stimmt, Mr. Parker«, entgegnete McWarden.
»Warum wurde solch ein wichtiger Zeuge nicht besser beschützt?« grollte die ältere Dame ihren zufälligen Besucher an. »Wieso konnte Mr. Tainers in der Kantine von Scotland Yard vergiftet werden? Die Polizei ist längst nicht mehr das, was sie mal war.«
»Wir sind dabei, die Zusammenhänge aufzudecken«, entschuldigte sich McWarden grimmig. »Tainers wurde rund um die Uhr überwacht und abgesichert.«
»Mit bestem Erfolg, wie man sieht«, spottete die Hausherrin. »Die Zeitungen werden über die Polizei herfallen.«
»Und ein gewisser Edward Healers dürfte nun befreit aufatmen, Sir«, vermutete der Butler zurückhaltend. »Damit dürfte die Anklage gegen ihn zusammenbrechen, wenn ich es so ungeschminkt ausdrücken darf.«
»Vollkommen richtig.« McWarden nickte ergeben. »Healers ist aus dem Schneider.«
»Seine Leute haben Ralph Tainers umgebracht, nicht wahr?«
»Natürlich.« McWarden nickte erneut. »Aber wie soll man das beweisen? Ja, wenn Tainers uns noch einen Tip hätte geben können.«
»Einen Tip?« Agatha Simpson runzelte die an sich schon faltenreiche Stirn zusätzlich. »Ein Sterbender? Wie hat er es überhaupt geschafft, aus der Kantine in seinen Wagen zu kommen?«
»An der Giftbestimmung wird noch gearbeitet«, schickte McWarden voraus. »Es muß sich aber um einen Stoff gehandelt haben, der mit einer gewissen Spätzündung arbeitete. Der Mann war bereits tot, Mylady, als Sie ihn fanden?«
»Mausetot, McWarden«, bestätigte die Detektivin mit Nachdruck. »Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen! Er hat mir nichts mehr zuflüstern können.«
»Wie schade! Aber es hätte ja sein können, nicht wahr?«
»Er rührte sich nicht mehr, McWarden. Keiner bedauert das mehr als ich.«
»Sie werden sich um diesen Fall kümmern, Mylady?« McWarden fragte beiläufig.
»Werden wir, Mr. Parker?« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler und sah ihn fragend an.
»Wenn mein Rat erwünscht ist, Mylady«, sagte Parker, »würde ich mir erlauben zu sagen, daß dieser Fall ein Spiel mit dem organisierten Tod sein dürfte. Mr. Edward Healers war und ist noch der Chef einer sehr gut organisierten Verbrecherbande, die vor nichts zurückschreckt.«
»Das kann ich nur unterstreichen«, warnte McWarden prompt. »Die Healers-Bande ist die große Nuß, die selbst der Yard bisher nicht geknackt hat. Ich gebe Ihnen den Rat, die Finger davon zu lassen, Mylady. Ich sehne mich nicht gerade danach, an Ihrem vorzeitigen Begräbnis teilzunehmen.«
»Weil Sie ein Geizkragen sind, McWarden«, stellte Agatha Simpson grimmig klar. »Sie scheuen ja nur die Ausgabe für einen Kranz!«
*
Mylady scheinen verfolgt und beschattet zu werden«, meldete Josuah Parker nach hinten in den Wagen.
Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr durch die City von London. Man befand sich auf dem Weg zum Haus jenes Mannes, dem der Telefonanschluß gehörte. Parker hatte inzwischen herausgefunden, daß es sich um einen gewissen Mr. Brett Nichols handelte. Mr. Nichols war der Besitzer eines kleinen Dienstleistungsunternehmens. Er vermietete Papierhandtücher, die man nach Bedarf aus Kunststoff-Boxen ziehen konnte.
»Es werden doch nicht etwa schon die Ganoven sein?« hoffte die ältere Dame.
»Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte es sich um ein Fahrzeug der Polizei handeln«, erwiderte Butler Parker.
»Sie glauben, daß McWarden mich beschatten läßt?«
»Mit solch einer Möglichkeit sollte man durchaus rechnen, Mylady«, gab der Butler zurück. »Er scheint sich der Hoffnung hinzugeben, über Myladys Reaktionen neue Informationen gewinnen zu können.«
»Was werden Sie jetzt tun, Mr. Parker?«