§ 23 – Recht zur Auswanderung
Es soll auch kein Stand den andern, noch desselben Untertanen zu seiner Religion dringen, abpraktizieren, oder wider ihre Obrigkeit in Schutz und Schirm nehmen, noch verteidigen in keinen Weg. Und soll hiermit denjenigen, so hiebevor von alters Schutz- und Schirmherrn anzunehmen gehabt, hiedurch nichts benommen, und dieselbige nicht gemeint sein.
Wo aber unsere, auch der Churfürsten, Fürsten und Stände Untertanen der alten Religion oder Augsburgischen Konfession anhängig, von solcher ihrer Religion wegen, aus unsern, auch der Churfürsten, Fürsten und Ständen des Heiligen Reiches Landen, Fürstentümern, Städten oder Flecken, mit ihren Weib und Kindern, an andere Ort ziehen und sich nieder tun wollten, denen soll solcher Ab- und Zuzug, … zugelassen und bewilligt, auch an ihren Ehren und Pflichten allerding unentgolten sein.
§ 27 – Religionsfreiheit in Reichsstädten
Nachdem aber in vielen Frei- und Reichsstädten die beiden Religionen ..] eine Zeit im Gang und Gebrauch gewesen, so sollen dieselbigen hinführ auch also bleiben, und in denselben Städten gehalten werden, und derselben Frei- und Reichsstädtischen Bürger, und andere Einwohner, geistlichen und weltlichen Stands, friedlich und ruhig, bei und neben einander wohnen, und kein Teil des andern Religion, Kirchengebräuche, oder Zeremonien, abzuthun, oder ihn davon zu bringen, unterstehen, sondern jeder Teil den andern, laut dieses Friedens, bei solcher seiner Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Zeremonien, auch seinen Hab und Gütern und allem andern, wie hie oben beider Religion Reichs-Stände halben verordnet und gesetzt worden, ruhig und friedlich bleiben lassen.
Der Augsburger Religionsfriede war ein erster Ansatz in Europa, das Grundrecht der Gewissens- und Religionsfreiheit zu akzeptieren. Es ging darum, die Konfessionsspaltung zu bewältigen und einen Ausgleich zwischen den christlichen Konfessionen, besonders zwischen der Katholischen Kirche und dem Luthertum, zu etablieren.
Der Religionsfriede war allerdings auch der Beginn eines staatlichen Zwangskirchentums. Jeder deutsche Landesherr konnte ab 1555 für sich und seine Untertanen die Glaubenszugehörigkeit (»cuius regio, eius religio«: In wessen Gebiet ich lebe, dessen Religion muss ich annehmen«) verpflichtend festlegen. Wer dem auf Grund seines Gewissens nicht folgen wollte, konnte nach dem Auswanderungsrecht das Territorium des Landesherren mit einer Eigentumsgarantie verlassen. Wegen dieser Bestimmung sehen Historiker im Augsburger Religionsfrieden die erste mitteleuropäische Menschenrechtserklärung. Allerdings waren von der Friedensgarantie alle diejenigen protestantischen Strömungen ausgeschlossen, die nicht auf dem Boden des Augsburger Bekenntnisses von 1530 standen.
Das Vertragswerk von 1555 regelte erstmals dauerhaft das gleichberechtigte konfessionelle Zusammenleben beider christlicher Glaubensgemeinschaften, ohne die umstrittene Frage nach dem »wahren Glauben« zu entscheiden. »Nicht Theologen haben damals eine Lösung gefunden, sondern Politikern war es gelungen, ein eigentlich unlösbares Problem zu regeln«, bewertet der Historiker Johannes Burkhardt das Zustandekommen des Augsburger Religionsfriedens. »Es war das erste Mal, dass für eine weltanschauliche Unstimmigkeit eine politisch-rechtliche Lösung ohne Gewaltanwendung gefunden wurde.«
Dieses System des »Landesherrlichen Kirchenregiments« wurde durch das aufkommende Presbyterial- und Synodalwesen sowie durch das allmähliche Auseinandertreten von Staat und Kirche im 19. Jahrhundert gelockert. Erst mit dem Ende der deutschen Monarchie 1918, mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 sowie mit den eigenständigen evangelischen Kirchenverfassungen der folgenden Jahre kam es zu einer völligen Trennung von Kirche und Staat.
2. Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Niederlande (1581)
Einen ungeliebten Herrscher konnte ein Volk seit alters her durch Aufstand, Revolution und Krieg beseitigen. Die Vereinigten Niederlande fanden am Ende des 16. Jahrhunderts einen neuen Weg der Befreiung, indem sie ihrem König von sich aus den Gesellschaftsvertrag zwischen König und Untertanen aufkündigten und so eine Republik schufen, die zum Vorbild für andere Staaten werden sollte.
Die »Niederen Lande« waren seit dem Mittelalter ein Teil des Heiligen Römischen Reiches gewesen. Politisch bestimmend in den Niederlanden waren die Städte, die durch Handel zu Reichtum gekommen waren und sich zu größeren politischen Verbänden zusammenschlossen. Da die Niederlande ein Teil des Habsburgischen Imperiums waren, kamen sie zu Beginn des 16. Jahrhunderts unter die Herrschaft Karls V., der das Land in siebzehn Provinzen aufteilte. Gegen die Herrschaft der Spanier organisierten sich die Niederlande mit dem Adel, den Bürgern und der Geistlichkeit in den Generalständen. In der Reformation zum Großteil calvinistisch geworden, standen diese im Gegensatz zu den katholischen spanischen Habsburgern, die auf eine zentralistische Verwaltung und auf die Durchsetzung des katholischen Glaubens bedacht waren.
Ab 1568 begann sich die niederländische Widerstandsbewegung gegen die Spanier militärisch unter der Führung Wilhelms von Oranien zu formieren. Am 19. Juli 1572 kamen die Vertreter der Generalstände in Dordrecht, der ältesten Stadt der Niederlande, zusammen, um Wilhelm von Oranien als Statthalter anzuerkennen. Wilhelm machte die Akzeptanz seiner Wahl von verschiedenen Umständen abhängig, darunter von der Gewährung der Religions- und Versammlungsfreiheit in den ihm unterstellten Gebieten, insbesondere auch für die Katholiken in den südlichen, an Frankreich angrenzenden Provinzen.
Die Dordrechter Ständeversammlung stellt damit erstmals zwei wesentliche Grundrechte des Menschen als Maßstab in der Politik fest. Es war die erste verbriefte Gewährung von solchen Grundrechten durch einen Staat im modernen Sinne und durch eine »verfassunggebende Versammlung«. Die Grundlage bildete die Festlegung der Volkssouveränität durch Wilhelm, in der zum Ausdruck gebracht wurde, dass das Volk eine »auctoritas« habe. Daran schlossen sich ein Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag Wilhelms an, mit dem ausdrücklich bekundeten Willen, gemeinsam den Spaniern und der Inquisition zu widerstehen.
Diese Formulierungen wurden in der Folge immer wieder für Verträge der Vereinigten Niederlande verwendet, so beim Zusammenschluss der niederländischen Provinzen in der Genter Pazifikation 1576 und der Utrechter Union 1579.
1581 vollzogen die niederländischen Staaten den endgültigen Bruch mit dem spanischen König und machten den entscheidenden Schritt zur Unabhängigkeit, als sie in der »Acte van Afzwering« (Akte der Abschwörung), die einen Teil des »Plakkaat van Verlathinge« (Unabhängigkeitserklärung) darstellt, dem Landesherren abschwörten und sich damit endgültig von Spanien lösten.
Diesem Dokument geht eine umfangreiche Präambel voraus, welche die Form einer juristischen Rechtfertigung, ausgedrückt als Anklage gegen den spanischen König Philipp, annimmt. Diese Präambel gründet sich auf die Schrift »Vindiciae contra tyrannos« von Philippe de Mornay und auf andere Werke der als »Monarchomachen« bezeichneten Staatstheoretiker, welche die Auffassung vertraten, dass die Herrschaftsgewalt des Monarchen durch die Rechte der Stände, welche die Vertretung des Volkes sind, beschränkt sei. Eine der zentralen Thesen der Monarchomachen war, dass ein seine Macht missbrauchender, tyrannischer Herrscher abgesetzt oder auch getötet werden könne.
Die niederländischen Stände sahen dies im »Plakkaat van Verlathinge« pragmatischer und beriefen sich bei der Absetzung des Königs auf Quellen und alte Rechte. In ihrer Meinung, man könne einen Herrscher, der den Gesellschaftskontrakt zwischen sich und seinen Untertanen nicht erfüllt habe, beseitigen oder absetzen, war die niederländische Verfassung die erste, die dies aussprach. Ihre Ideen sollten sich zweihundert Jahre später die Gründungsväter der Vereinigten