Im übrigen genoß er sein Leben, benahm sich aber ungleich dem Prinzen bei seinen Liebesaffären diskret und zurückhaltend, was ihn in den Augen der Damen der eleganten Welt nur zu einem noch erstrebenswerteren Liebhaber machte.
Es wurden zwar ständig Vermutungen darüber angestellt, wen der Marquis liebte, aber es war schwer, diese Vermutungen bestätigt zu erhalten.
Abgesehen von den Abenteuern mit Frauen seiner eigenen Klasse hielt der Marquis eine Mätresse aus. Mariabelle Kerrin hatte als Polly Peachum in der Bettleroper Triumphe gefeiert. Als der Marquis sie auf der Bühne sah, erwachte sein Interesse, und er suchte sie nach der Vorstellung in ihrer Garderobe auf. Mariabelle erwies sich nicht nur im Bett als reizende Geliebte, sie besaß auch einen kecken Witz, der den Marquis amüsierte.
Zunächst war sie, wie nicht anders zu erwarten, unersättlich in ihren Wünschen, dann wurden ihre Forderungen geringer, und er konnte sich des unbehaglichen Gefühls nicht erwehren, daß sie sich ernsthaft in ihn verliebt hatte.
Sobald eine Frau Besitzansprüche anmeldete oder sich gar an ihn klammerte, fühlte er sich eingeengt und tat alles, um seine Fesseln zu durchschneiden. Diese unvermeidliche Entwicklung hatte noch jede seiner Liebesaffären genommen, und der Marquis fragte sich oft, ob je der Tag kommen würde, wo er der Jäger und nicht der Gejagte war, was er für ziemlich unwahrscheinlich hielt.
Nach Beendigung seiner Toilette schlüpfte er in ein Nachthemd aus chinesischer Seide, das in der Bond Street speziell für ihn angefertigt worden war, und zog einen bodenlangen Morgenmantel aus Brokat darüber, den er mit einer Seidenschärpe um die schlanke Taille befestigte.
„Haben Sie noch irgendwelche Wünsche, Mylord?“
„Nein, danke, Jarvis. Ich möchte morgen früh um acht Uhr geweckt werden, damit ich so bald wie möglich wieder in London bin.“
„Wenn der Verkehr nicht zu dicht ist, dürften Eure Lordschaft einen neuen Rekord aufstellen“, sagte der Kammerdiener bewundernd.
„Das wäre ohne Zweifel befriedigend“, gab der Marquis zu. „Lord Derwent prahlt schon seit Jahren, auf dieser Route den Rekord zu halten.“
„Ich bin sicher, daß er sich dessen nicht mehr lange rühmen kann, Mylord“, erwiderte Jarvis.
Er sah sich noch einmal im Schlafzimmer um, ob alles in Ordnung war, konnte aber keinen Fehler entdecken. Das Bett war mit den eigenen Laken des Marquis überzogen, die Decken aus Lammwolle und Daunenkissen lagen an ihrem Platz.
Eine Matte mit dem Monogramm Seiner Lordschaft bedeckte den Boden, und auf dem Tisch stand eine Flasche Wasser, das aus einer Quelle von seinen Ländereien kam, die schon bei den alten Römern berühmt gewesen war, daneben ein Kristallglas mit seinen Initialen.
Der Kammerdiener nahm die abgelegten Kleidungsstücke seines Herrn über den Arm, beugte respektvoll den Kopf und ging hinaus auf den Korridor, wo er die Tür hinter sich ins Schloß zog.
Der Marquis griff nach der „Morning Post“ und wollte sich gerade in einen Lehnstuhl vor den Kamin setzen, als ihn ein kalter Luftzug vom Fenster her traf.
Er legte die Zeitung zur Seite und durchquerte mit großen Schritten den Raum. Rosengemusterte Chintz Vorhänge verbargen ein Rundbogenfenster, von dem man den Garten auf der Rückseite des Gasthauses überblicken konnte. Ein Flügel stand weit offen, den der Marquis schloß und verriegelte, wobei er sich vornahm, nicht zu vergessen, ihn vor dem Zubettgehen wieder zu öffnen.
Draußen hatten sich die Wolken verzogen, und die Sterne standen an einem klaren Himmel. Die Bäume beugten sich im Wind. Ein weiterer unwirtlicher Tag kündete sich an, der sein Tempo in Richtung London verlangsamen mochte.
Unten fiel durch die vorhanglosen Fenster goldenes Licht in den Garten. Schatten bewegten sich daran vorbei und wieder erklangen laute Stimmen. Er konnte nur hoffen, daß sie ihn nicht im Schlaf stören würden und kehrte zu seinem Platz am Kamin zurück.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Korridor, und eine zierliche weißgekleidete Gestalt kam ins Zimmer, eine Frau. Sie zog die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloß herum.
Einen Augenblick lang war er sprachlos, dann trat er resolut ein paar Schritte vor.
„Ich habe das Gefühl, daß Sie sich im Zimmer geirrt haben“, bemerkte er kühl.
Die Frau fuhr mit einem erschrockenen Ausruf herum und sah ihn an. Sie war sehr jung und sehr hübsch. Große, graugrüne Augen beherrschten ein herzförmiges Gesicht. In ihrem blaßgoldenen Haar, das bis über die Schultern fiel, zeigten sich rötliche Lichter.
Einen Augenblick lang hatte sie offensichtlich Mühe, ihre Stimme wiederzufinden, dann sagte sie zögernd: „Bitte, entschuldigen Sie, aber ich dachte, das Zimmer wäre leer.“
Der Marquis wollte gerade antworten, als draußen auf dem Gang Schritte erklangen, denen lautes Klopfen folgte.
Mit dem Ausdruck des Entsetzens streckte sie die Hände aus und berührte ihn am Arm. „Bitte, verstecken Sie mich“, flüsterte sie so leise, daß er sie kaum verstehen konnte. „Ich werde Ihnen später alles erklären, nur — verstecken Sie mich.“
Der Marquis hatte nicht den Wunsch, bei einem romantischen Drama mitzuwirken, wobei erschwerend hinzukam, daß das Mädchen nur ein dünnes Nachtgewand und einen weißen Schal darüber trug.
Er wollte schon sagen, daß er es zu seinem Bedauern ablehnen müsse, an etwas teilzuhaben, was nur eine private Angelegenheit zwischen ihr und der Person vor der Tür sein könne, als das Entsetzen in ihrem Gesicht und ihr hilfeflehender Blick ihn zögern ließ.
In diesem Augenblick wiederholte sich das laute und wie ihm schien impertinente Klopfen, worauf er einen Entschluß faßte.
Eine schnelle Handbewegung in Richtung der rosenbedruckten Vorhänge, hinter denen er gerade gestanden hatte, und sie rannte schnell und leise durch das Zimmer. Sekunden später hatte sie sich dahinter jeder Sicht entzogen.
Ohne jede Hast öffnete der Marquis die Tür. Auf dem Korridor stand ein gewisser Sir Julius Stone, den er schon von jeher verabscheut hatte. Die beiden Männer blickten sich schweigend an.
„Ruckford“, rief Sir Julius schließlich, „Sie habe ich hier allerdings nicht erwartet.“
„Ich war gerade im Begriff, zu Bett zu gehen“, erwiderte der Marquis eisig.
Julius Stone war Ende der Dreißig und gehörte nach Meinung des Marquis zu den übelbeleumundetsten und widerwärtigsten Burschen, die die Spielclubs von St. James frequentierten. Obwohl er aus einer guten, alten Familie stammte, verband sich mit seinem Namen der Inbegriff von Ausschweifung, Zügellosigkeit und Prahlerei, wie das für eine ganze Anzahl junger Adeliger am Ende dieses Jahrhunderts typisch war.
Der Marquis lehnte jede Verbindung mit einem solchen Mann ab, und obwohl sie sich gelegentlich in Carlton House oder einem der Spielclubs trafen, standen sie nur auf flüchtigem Grußfuß miteinander.
Nach einigen Sekunden brach Sir Julius das Schweigen, wobei er offensichtlich seine Worte sorgsam wählte.
„Ich habe soeben gesehen, daß jemand dieses Zimmer betrat, eine Frau.“
Der Marquis hob die Augenbrauen.
,,Da hat Ihnen das spärliche Licht auf dem Gang einen Streich gespielt. Sie können nur meinen Kammerdiener meinen. Gute Nacht, Stone.“
Er wollte gerade die Tür schließen, als Sir Julius eine Schulter dazwischenschob.
„Einen Augenblick noch, Ruckford“, sagte er. „Auf meine eigenen Augen kann ich mich verlassen. Ich sah eine Frau hier eintreten, die mir gehört.“
„Zweifeln Sie etwa meine Worte an?“ fragte der Marquis.
Obwohl er die Stimme nicht erhoben hatte, bewirkte sein Ton, daß Sir Julius einen Schritt zurücktrat.
„Ich war mir meiner Sache völlig