DER ZAR. Ted Bell. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ted Bell
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351318
Скачать книгу
letzten Refugium auf ihn, dem Oval Office, also machte er sich auf den Weg zur Treppe.

      Kennedy war gerade nach einer weiteren äußerst hitzigen Besprechung mit seinen Stabschefs aus dem Lagezentrum gekommen. Die hohe Riege des Pentagons, die nie lange fackelte, drängte auf den nuklearen Erstschlag mitten ins Herz Russlands. Kennedy ließ sich jedoch nicht beirren. Er bestand darauf, dass seine Seeblockade Kubas die größte Hoffnung Amerikas sei, Chruschtschows Bluff aufzudecken und den nächsten Weltkrieg zu verhindern.

      Während Jack Kennedy hinter den verschlossenen Türen des Oval Office vorm knisternden Feuer im Kamin auf und ab ging, trug er nicht jene Maske, die er für die Öffentlichkeit aufsetzte, sondern verzog sein wahres Gesicht vor Sorge und Schmerz.

      »Hast du von dieser Redstick-Sache gehört, Jack?«, fragte Bobby den Älteren.

      »Wie sollte ich nicht davon gehört haben? Man spricht dort unten von nichts anderem mehr. Jetzt haben sie endlich etwas, womit sie auf mich einprügeln können, und werden sich nicht davon abbringen lassen, es zu versuchen.«

      »Erklär's mir genau, Jack.«

      »Berechnungen des Pentagons zufolge werden die sowjetischen Schiffe unsere äußere Verteidigungslinie in 72 Stunden erreichen, doch anhand der Fülle von neuen Informationen, die wir vom britischen Marinegeheimdienst erhalten, könnte Russland, was seine Jagd-U-Boote angeht, einen gefährlichen Vorteil gewonnen haben.«

      »Wie das?«

      »Sie verfügen über irgendeine neue Unterwasserakustiktechnologie mit dem Kürzel SOFAR: eine Sonarboje fortgeschrittenen Types. Ihr Codename lautet Redstick. Wie es aussieht, kann sie ein U-Boot aus einer Entfernung von tausend Meilen an den Eigenschaften seines Antriebs erkennen. Mein Gott, falls das stimmt, Bobby, bedeutet es, dass unsere Blockade riesige Lücken aufweist. Sie wäre wertlos, wie mir die Militärchefs schon seit Tagen vorbeten.«

      Bobby, der die Hände tief in seine Hosentaschen gesteckt hatte, stand mit vor Müdigkeit herabhängenden Schultern am Fenster und schaute hinaus in den aufgeweichten Rosengarten. Er konnte nicht absehen, wie viele schlechte Neuigkeiten sein Bruder noch ertragen würde. Indem er ein Lächeln aufsetzte, drehte er sich zu Jack um. »Die Briten kümmern sich ja schon darum. Alles, was wir momentan unternehmen können, wird auch getan.«

      »Haben sie sich mittlerweile gemeldet? Wir warten immerhin schon seit heute Morgen auf eine Nachricht dieses U-Boots. Eher noch sieht man Pferde vor Apotheken kotzen, als beizeiten etwas von diesem Verein zu hören.«

      »Der Marinegeheimdienst aus London hat vor zehn Minuten im Verteidigungsministerium angerufen. Deren U-Boot Dreadnought ist mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs, um einen ihrer Topagenten in Schottland abzuholen. Der Mann heißt Hawke. Sie kommen voraussichtlich um null-sechshundert auf Scarp Island in den Hebriden an. Sechs Stunden später soll Hawke in den Redstick-Stützpunkt der Sowjets in der Arktis eingeschleust werden. Falls er lebendig rein und auch wieder raus kommt, erfahren wir etwas Konkretes über die Reichweite, akustische Empfindlichkeit, Kommunikationsfähigkeiten und …«

      »Scheiß auf akustische Empfindlichkeit! Ich will hören, wie viele von diesen verfluchten Sonaren sie haben und wo in drei Teufels Namen sie sind! Sollten sie sich im näheren Umkreis unseres Einsatzgebietes befinden, muss ich wissen, wie schnell wir sie unschädlich machen können.«

      »Die Briten versprechen, uns diese Informationen in den nächsten zwölf Stunden zu liefern.«

      »Zwölf? Verdammt, Bobby, ich brauche sie sofort. Falls sie diese Redstick-Dinger im Südatlantik verteilt haben, steht jede einzelne Verteidigungsoperation auf der Kippe, die Admiral Dennisons U-Boot-Einheiten dort durchführt.«

      »Anscheinend ist dieser Hawke der Beste, den sie haben, Jack. Egal worum es geht, er kriegt's angeblich hin.«

      »Na ja, dann hoffe ich inständig, dass das wahr ist«, erwiderte Jack und ließ sich in seinen Lieblingsschaukelstuhl fallen, der aus Rohrholz bestand und dessen Rückenlehne mit gelbem Tuchleinen bespannt war.

      Während er vor und zurück wippte, starrte er ins Feuer und bemühte sich vergeblich, die Tatsache hinzunehmen, dass das Schicksal der – jawohl – gesamten Menschheit plötzlich in den Händen irgendeines dahergelaufenen Briten liegen sollte, von dem er noch nie gehört hatte.

      »Hawke?«, fragte Jack, wobei er seine geröteten Augen rieb, ehe er zu Bobby aufschaute. »Wer um alles in der Welt ist er?«

      An seinem Rücken hing ein Gewehr, und in einer seiner Taschen steckte eine einzelne Kugel, die abzufeuern er kaum erwarten konnte.

      Sein Name war Hawke.

      Er war ein kaltblütiger Krieger in diesem Kalten Krieg, der sich auf einmal als brandheiß herausstellte. Um die Zeit bis zu seinem nächsten Auftrag totzuschlagen, ging er gerade bei Regen im Sumpfgebiet von Scarp Island zur Jagd und war einem gewaltigen Rothirsch auf der Spur. Der sogenannte Monarch von Shalloch entwischte ihm seit Jahren immer wieder, doch Hawkes Finger am Abzug kribbelte dermaßen, dass er glaubte, dies sei der Tag, an dem es zur endgültigen Abrechnung zwischen Mensch und Tier kommen könnte.

      Wie er erhobenen Hauptes an den Klippen über dem Meer entlangging, sah er selbst wie ein Hirsch in höchster Alarmbereitschaft aus. Es war 1962, und er im Alter von 27 bereits ein alter Hase im Marinegeheimdienst. Im Laufe vieler langer Monate auf Patrouillenfahrt in ebendiesen Gewässern an Bord eines Zerstörers der Royal Navy, um russische U-Boote aufzuspüren, hatte er die Bedrohung durch die Macht der Sowjetunion und ihre Reichweite zu spüren bekommen. Er trachtete bereits danach, zurückschlagen zu dürfen, und es sah ganz danach aus, dass er endlich eine gerechte Chance bekam, ein wenig Russenblut zu vergießen.

      Dank seitens der Royal Navy sorgfältig vorbereiteter Reise war er zwei Tage vor seiner geplanten Abholung per U-Boot auf dieser gottverlassenen Insel angekommen. Da sein Einsatz ›Operation Redstick‹ strengstens unter Verschluss gehalten wurde, wollte man ihn erst unter Deck der Dreadnought darüber aufklären, während das U-Boot den nördlichen Polarkreis ansteuerte. Dort auf der norwegischen Insel Spitzbergen sollten die Russen so etwas wie einen geheimen Abhörposten betreiben. Mehr wusste er nicht.

      Den Rest konnte er sich allerdings zusammenreimen. So wie er es sich vorstellte, belief sich seine Aufgabe darauf, in Erfahrung zu bringen, was es genau mit diesem Posten auf sich hatte – und ihn zu zerstören. In seinen Anweisungen würde man bestimmt nicht erläutern, wie er heil davonkommen sollte. Darin bestand jedoch die Schwierigkeit, aber gut … so war es immer.

      Drauf geschissen. Er lebte nach wie vor und hatte noch ein paar Stunden Zeit, bis sie ihn abholten. Der Monarch, wie gesagt ein großer Rothirsch, ging irgendwo dort draußen im Moor oder unten am Fuß der Klippen um. Hawke hatte den Spitznamen des Tiers auf die eine Kugel in seiner Tasche gravieren lassen. Nun machte er sich vorsichtig daran, die Steilwand hinunterzuklettern. Es war bitterkalt. Vom Meer rollte Nebel heran. Sichtverhältnisse? Bescheiden.

      Wie aus dem Nichts tat sich zwischen den Rufen von Möwen und Schwalben ein merkwürdiges Geräusch hervor, welches ihn aufschauen ließ. Na, wenn das nicht wie der Knall eines Gewehrs mit gehöriger Feuerkraft klang!

      Jagte noch jemand den Monarchen von Shalloch? Ausgeschlossen. Auf dieser erbärmlichen Insel lebten bloß Schafe und Bauern. Bei solch einem Mistwetter würden sie sich wohl kaum auf die Pirsch …

      Noch ein Schuss! Und diesmal stand fest, worauf der Kerl schoss. Hawke versteckte sich hinter einem hervorstehenden Felsen und wartete, wobei er sich auf sein Herz konzentrierte, damit es wieder langsamer schlug. Die nächste Kugel flog mit einem Pfiff knapp über seinem Kopf vorbei. Eine vierte folgte.

      Dann blitzte über ihm kurz ein Licht auf – vermutlich die Sonne, deren Strahlen das Visier des Schützen reflektierte. Der Mann stieg folglich nach oben. In seiner gegenwärtigen Position befand sich Hawke in Gefahr. Er schaute sich hektisch nach einer Deckungsmöglichkeit um. Falls der Fremde noch ein paar Fuß weiterkletterte, war er ihm völlig schutzlos ausgeliefert. Jetzt wäre er am liebsten unter den dichten Kronen der Bäume auf dem Steinsims unterhalb.

      Hawke stürzte los, womit er den Schutz des Felsens hinter sich