Es webte heute eine so lautlose Stille um das Säulenhaus. Weder Mamsell Birkner noch Hannchen ließen sich sehen, und sonst kamen sie doch stets voll Freude gelaufen, um Donna Mercedes zu begrüßen. Sie waren jedenfalls in Küche und Keller emsig beschäftigt, um auch da die letzte Hand zum Empfang des heimkehrenden Gebieters anzulegen.
Die junge Dame kehrte deshalb wieder über die Wiesen zurück und fing an, im langsamen Weiterwandeln da und dort eine langstielige, morgenfrische Feldblume zu pflücken. Kamillen, Butterblumen, weiße Glöckchen auf schwankem Stengel, hier ein wildes Röschen an der Hecke, dort eine Gruppe der Vergißmeinnichte, die am Bachufer üppig wucherten, und darüber ein feiner, wallender Schleier bräunlich grüner Zittergräser – so entstand in den schmalen Frauenhänden ein köstlicher, malerisch geordneter Strauß einfacher Wiesenblumen.
Wer es der »Plantagenfürstin« einst gesagt hätte, daß sie den stolzen Leib unzähligemal nach einer armseligen deutschen Feldblume bücken würde! Nicht einmal den Blick hatte sie damals gesenkt nach den demütigen Kindern der Natur, an denen ihre Sohle knickend hingestreift... Und war es nicht die verhaßte deutsche Luft, die sie, manchmal stehen bleibend, mit so durstig tiefen Zügen einsog, als sei dieser würzige, kräftige Odem voll Fichtenduft von Anfang an das Element gewesen, in dem sie einzig und allein zu leben vermöge? –
Der Strauß war so umfangreich geworden, daß ihn die Hand kaum zu umfassen vermochte – er war fertig, um in die Vase gestellt zu werden. Donna Mercedes schritt nach dem Glashause, aber es war verschlossen. Sie stieg deshalb, wie sie so oft tat, die Treppe nach dem Oberbau hinauf.
In dem kleinen Salon, den Baron Schilling einst um ihretwillen bewohnt hatte, hielt sie sich oft stundenlang auf; fast alle an ihn gerichteten Briefe hatte sie auf dem einfachen Eichenholzschreibtisch am Fenster geschrieben.
Mamsell Birkner und Hannchen wußten das und sorgten stets dafür, daß irgend eine Erfrischung für den Besuch bereit stand... Auch jetzt blinkte eine schöne Kristallschale voll frischer Erdbeeren auf einem weißgedeckten Seitentischchen.
Donna Mercedes warf ihren Hut auf einen Stuhl und zog das Reitkleid schürzend durch eine Gürtelkette. Das Hütchen hatte ihr die Haarwellen lose und lockig in die Stirn geschoben, und beim Herausziehen der Nadeln, die es festgehalten, war eine Flechte locker geworden und seitwärts bis tief über die Hüfte hinabgeglitten. Sie bemerkte es nicht. In der einen Hand den kleinen Silberteller mit der beerengefüllten Kristallschale, in der anderen den Feldblumenstrauß, stieg sie die Wendeltreppe in der Atelierecke hinab.
In diesem Moment wäre für jedes fremde Auge das zweite Gesicht wahr geworden, das ihr einst wie im Fluge ein fürsorglich herabsteigendes schönes, junges Eheweib mit der erfrischenden Labung in den Händen gezeigt hatte.
Sie selbst dachte jetzt nicht daran. Ihre Augen flogen forschend und streng prüfend durch den Raum, ob auch alles unverrückt an seinem Platze stehe, ob kein Stäubchen auf all dem blinkenden und blitzenden Glas- und Metallgerät liege, und Licht und Schatten durch die Anordnung der Vorhänge so verteilt sei, wie Hannchen gesagt, daß er es liebe.
Er hatte seiner Korrespondentin die Stätte seines Schaffens wiederholt an das Herz gelegt, und sie behütete den Raum wie ein Heiligtum. Jede Spur des Attentates, das einst die rachsüchtige weibliche Hand hier verübt, war längst verwischt. Im Glashause rauschte leise die eine große Fontäne und hauchte erfrischende Kühle in das Atelier; die Palmen hatten sich herrlich entwickelt und drohten mit ihren Kronen das Glasdach zu sprengen, und zwischen den samtschimmernden Blättern der Gloxinien leuchtete schon manch frühverblühter Kelch.
Donna Mercedes rückte ein Rokokotischchen mit ausgelegter Platte neben die Staffelei und stellte die Kristallschale darauf. Dann nahm sie ein hohes, venezianisches Kelchglas von einem Schranksims, füllte es am Becken mit frischem Wasser und stellte es mit dem Wiesenblumenstrauß neben der Schale... Fast zaghaft griff sie in die Tasche und zog ein kleines unscheinbares Etui heraus – sie trug es in der letzten Zeit immer bei sich und hatte sich doch stets gescheut, es da niederzulegen, wohin es von Rechts wegen gehörte.
Noch einmal drückte sie die Feder auf, und das Mädchengesicht auf der Elfenbeinplatte sah sie mit seinen halb stolzen, halb melancholischen Augen an. Lächelnd schob sie die schmale Kapsel tief in das Herz des Straußes, und die Zittergräser schlugen harmlos darüber zusammen – sie wußten ja nicht, daß der Schluß einer weiten Umkehrstrecke, das Reuebekenntnis eines in all seinen Tiefen gewandelten weiblichen Herzens zwischen ihnen ruhe – – –
Das war nach Wunsch ausgefallen – ihr strahlender Blick glitt befriedigt über das Tischchen; – und nun ging sie umher und bückte sich, um da ein Pantherfell näher und bequemer an den Lehnstuhl zu rücken, dort einen, vermutlich am Kleidersaum hereingetragenen feinen Holzsplitter von der blanken Fußbodenmosaik zu nehmen, und bei diesem Bücken fiel ihr die gelöste Flechte vornüber. Sie hob den Arm, um sie festzustecken –
»Mein süßes Weib, wie entzückst du mich!« scholl es plötzlich in hervorbrechender Leidenschaft durch das Atelier.
Sie stieß einen Schrei aus und taumelte, aber schon fühlte sie sich innig umschlungen, und braungebrannt von Luft und Sonne, aber tiefgeistigen Ausdruck in jeder seiner unregelmäßigen Linien, beugte sich das Gesicht mit der eckigen Stirn über sie, und die blauglänzenden Augen tauchten beseligt in die ihren... Ihrer nicht mehr mächtig, schlang sie die Arme um seinen Hals und ließ es geschehen, daß er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte.
Dann aber strebte sie zu entfliehen. »Böser Mann!« schalt sie, »das ist eine unerlaubte Überrumpelung! – Im ersten Schrecken –«
»Im ersten Schrecken, Mercedes?« fragte er, ohne sie freizugeben. »Im ersten Schrecken bist du mein geworden?« Er lachte. Wie klang das voll und frisch und herzbezwingend von den Wänden! »Verlangst du ernstlich, daß ich in aller Form das ausspreche, was wir längst zwischen den Zeilen unserer Briefe gelesen haben?«
»Nein, das sollst du nicht! Ich weiß, daß du mich liebst mit deutscher Innigkeit und Treue,« sagte sie tiefernst, und das Feuer ihres Blickes milderte sich zu jenem sanften Licht, welches die Hingebung des Weibes so unwiderstehlich bekundet.
»Mercedes!« – Er zog sie erschüttert tiefer in das leuchtende Viereck, welches das Oberfenster hereinwarf. »Laß sehen – du bist es nicht, die mir einst tolle Liebesleidenschaft und Haß und Abscheu zugleich eingeflößt hat, die Frau, die Engel und Teufel in ihrem unbegreiflichen Wesen vereinigte, die schlimme Worte mit todbringenden Blicken aussprechen konnte –«
»Still! – Ich sagte und tat gar vieles einzig und allein aus Trotz, aus Notwehr gegen den siegreichen, abscheulichen, ›fischblütigen‹ Germanen!« – Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.
»O, meine arme, geblendete Madonna!« rief er lächelnd mit einer Wendung nach dem Schranke, in welchem er einst das zusammengerollte Ölbild verschlossen hatte. »Nun sind die Augen doch wahr gewesen!«
Sie sah ihm erstaunt in das Gesicht.
»Ja, deine Augen, Mercedes. Das kleine Bild auf der Elfenbeinplatte...« – jetzt huschte ihr Blick verstohlen nach dem Feldblumenstrauß – »o, ich weiß schon, wo ich mir mein Eigentum wieder zu holen habe!« unterbrach er sich lachend. »Zuerst sah ich dich vom Glashause aus über die Wiesen schreiten und Blumen pflücken. Dann kamst du dort die Treppe herab, während ich mich hinter den großen chinesischen Schirm geflüchtet hatte und fürchtete, mein lautpochendes Herz würde mich verraten. Ich sah, wie du mitleidig lächelnd in das Gesicht der Dreizehnjährigen blicktest – und doch sind es diese tiefen Kinderaugen, die du auf manchen meiner besten Bilder wiederfinden wirst – sie erstanden immer wieder unter meiner