Katzentisch. Lida Winiewicz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lida Winiewicz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783902862594
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      »Wird immer so serviert.«

      »Eiskalt?«

      »Jawohl, Madame.«

      »Im Luxuszug TGV stellen Sie den Reisenden mittags ein eiskaltes Essen hin?«

      »Ich kann nichts dafür, Madame. Mir würde es auch nicht schmecken. Aber um achtzig Portionen pro Waggon heiß zu machen, fehlt uns die Infrastruktur.«

      »Aha«, sage ich. »Nehmen Sie’s mit! Ich esse lieber gar nichts als Beefsteak-Eis mit Beilagen, stracks aus dem Tiefkühlfach.«

      »Wie Sie wünschen.«

      Er nimmt das Tablett, geht weg und lässt mich verwirrt zurück.

      Fahre ich tatsächlich durch Frankreich? Das Land der Gastronomie?

      Achtzig Fahrgäste, zumeist Franzosen, essen widerspruchslos kaltes Fleisch mit kaltem Gemüse und kaltem Reis? Sind das, allen Ernstes, Franzosen, die Erstürmer der Bastille?

      Der Ober kommt zurück und stellt das Tablett vor mich hin.

      Das Essen ist heiß.

      »Merci!«

      Er schaut mich an und flüstert: »Verraten Sie mich nicht!«

       Gutbürgerlich

      »Gutbürgerlich« nennt sich das Gasthaus, grüne Schrift auf weißem Grund, wo Sofie mich treffen will.

      Ein dunkles Lokal, weiträumig, getäfelt, lange Theke, Bier vom Fass und jener Beisldunst, der signalisiert: gutes Essen!

      Die Tagesempfehlung: BLUNZEN! – mit Kreide am schwarzen Brett – lockt mich nicht. Ich hasse Blunzen.

      Am Nebentisch tafeln Herren, gut situiert, guter Dinge, nicht mehr ganz nüchtern, laut.

      Sofie kommt herein.

      Sie ist jung, anziehend, unübersehbar. Der Lärmpegel nebenan sinkt, die Herren, Ende vierzig, Midlife-Crisis-Kandidaten, starren sie an, unverfroren, ohne die geringste Hemmung. Sofie, Tribut gewöhnt, setzt sich, als wäre nichts, und wir beginnen zu reden, das heißt, wir begännen gern.

      Die Herren am Nachbartisch haben die Sprache wiedergefunden und schreien lauter denn je.

      Jetzt bricht Gelächter los. Jemand hat einen Witz erzählt.

      Ein Witz führt bekanntlich zum nächsten, fortzeugend wie Drachenbrut.

      Sehr richtig. Schon folgt Nummer zwei: »Das Ehepaar liegt im Bett. Sie fragt: ›Ganz ehrlich, Schatzi! Wie oft hast du mich betrogen?‹

      ›Ganz ehrlich: Ein einziges Mal, mit der Frau Zumpfl! Und du? Auch ganz ehrlich, Schatzi! Wie oft?‹

      ›Wie du! Ein einziges Mal!‹

      ›Mit wem?‹

      ›Mit der Feuerwehrmannschaft!‹ «

      Hahahaha. Keine Gnade: »Ein Mann kommt zum Autohändler. ›Was kostet der Opel Viagra?‹

      ›Sie meinen den Vectra.‹

      ›Den, der schon so lange steht.‹ «

      Donnerndes Gelächter. Die Herren halten sich den Bauch.

      Der Ober schreit: »Was darf ich bringen?«

      Sofie schreit zurück: »Vielleicht könnten Sie die Herren ersuchen, etwas leiser zu sein.«

      »Nein.«

      »Nein?«

      Er beugt sich zu uns herab. »Stammgäste, meine Damen! Ärzte aus dem nahen Spital. Arbeiten täglich schwer! Verständlich, dass die ab und zu die Sau rauslassen wollen.«

      Sofie und ich stehen auf, in wortlosem Einverständnis.

      »Sie haben noch nichts bestellt!«

      Sofie lächelt liebenswürdig. »Wir werden auch nichts bestellen.«

      Ich lege ein Schäuferl nach: »Wir sitzen nun einmal nicht gern neben rausgelassenen Säuen.«

      Der Ober versteht das nicht.

      Wir holen unsere Mäntel.

      Vor dem Eingang studieren zwei Touristen das Schild des Restaurants. Jetzt treten sie ein und steuern auf unseren frei werdenden Tisch zu.

      Einer der beiden fragt, mit Blick auf die schwarze Tafel: »Blun-zen? What is – Blun-zen?«

      »Blood sausage, very good!«, schreit Dr. Viagra. Sein Englisch entspricht seinem Sinn für Humor. Hinausgehend, hören wir den Beginn eines Vortrags über »blood«.

      Sofie sagt: »Glück gehabt!«

      »Glück? Wieso Glück?«

      »Stell dir vor, der Mann hätte gefragt: ›Was heißt gutbürgerlich?‹ «

       Harmonie

      Sofie ist verliebt. Wie schon oft.

      Veit ist bei ihr eingezogen. Sie sagt: »Diesmal ist es ernst.«

      »Hast du bei Kurt auch gesagt. Und bei Bob. Und bei Rudi.«

      »Da war ich nicht zurechnungsfähig. Veit ist der liebste, beste, großartigste Mensch auf der Welt. Und er liebt mich wirklich!«

      Ich schweige.

      »Kurt wollte nur, über mich, irgendwie in die Redaktion! (Sofie ist Journalistin.) Und Bob war unterstandslos und hat eine Bleibe gesucht. Und Rudi hat mich kalt lächelnd mit Josefine betrogen, in meinem eigenen Bett, wobei«, korrigiert sie gewissenhaft, »das Adjektiv ›kalt lächelnd‹ vermutlich nicht exakt zutrifft.«

      »Und woher willst du wissen, bitte, dass Veit dich WIRKLICH liebt?«

      »Pass auf.« Sie schweigt. Ich warte. Endlich sagt sie und es fällt ihr schwer: »Ich habe eine Leidenschaft. Die kann ich Veit nicht gestehen.«

      »Um Gottes willen, Sofie! Du chattest doch nicht am Ende mit einem virtuellen Verehrer?«

      »Ich liebe Ribiselwein.«

      »Na und?«

      »Veit ist Weinkenner.«

      »Na und?«

      »Er hätte um ein Haar die Sommelier-Prüfung gemacht! Und wer was von Wein versteht, verachtet Ribiselwein.«

      »Wird schon nicht so arg sein.«

      »Kennst du einen Weinkenner?«

      »Nein.«

      »Dann red nicht.«

      »Und was hat das mit der Liebe zu tun?«

      »Neulich suche ich mein LEXIKON DER RELIGIONEN ganz dringend für einen Artikel, kann es nicht finden und sage: ›Veit, Liebling, hast du irgendwo mein Religionslexikon gesehen?‹

      Und weißt du, was er antwortet, seelenruhig, ganz ganz lieb:

      ›Das steht neben dem NIBELUNGENLIED, hinter dem du deinen Ribiselwein versteckst!‹ «

       Erwachsenenregeln

      Einen der letzten Vorkriegssommer verbrachten wir Kinder in Kärnten, mit Tante Hella.

      Ihr Bruder war Schullehrer in einem »Graben«, einem bitterarmen Dorf, fern jeder Zivilisation.

      Die Kinder liefen dort barfuß, Erwachsene sahen aus wie die Obdachlosen