Große Briefe der Freundschaft. Отсутствует. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Отсутствует
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783843801966
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mir selbst rede wie der ewige Abbé Chaulieu. Was tut’s? Ich muss Sie zufriedenstellen.

      […]

      Ich traf Freitagabend in Potsdam ein, wo ich den verstorbenen König in sehr traurigem Zustande fand. Ich dachte mir gleich, dass sein Ende bevorstünde. Er erwies mir tausend Freundlichkeiten und sprach mit mir mehr als eine volle Stunde über die inneren und die äußeren Staatsgeschäfte, und zwar mit aller erdenklichen Geistesklarheit und Vernunft. Das Gleiche tat er am Sonnabend, Sonntag und Montag. Er schien sehr ruhig und gefasst und ertrug seine unendlichen Leiden mit größter Standhaftigkeit. Am Dienstag früh fünf Uhr legte er die Regierung in meine Hände, nahm zärtlich Abschied von meinen Brüdern, von allen höheren Offizieren und von mir. Die Königin, meine Brüder und ich waren in seinen letzten Stunden um ihn; er bewies in seinen Qualen den Stoizismus Catos. Er starb mit der Neugier eines Physikers über das, was im Augenblick seines Todes in ihm vorging, und mit dem Heroismus eines großen Mannes und hinterließ uns allen den aufrichtigen Schmerz über seinen Verlust und das nachahmenswürdige Beispiel seines tapferen Sterbens.

      Die Fülle von Arbeit, die mir seit seinem Tode zugefallen ist, hat mir zu meinem berechtigten Schmerze kaum Zeit gelassen. Ich glaubte, dass ich seitdem ganz dem Vaterland gehörte. In diesem Sinne habe ich nach besten Kräften gearbeitet und schleunigst Maßnahmen zum allgemeinen Wohle getroffen, soweit ich es vermochte.

      Ich habe gleich damit begonnen, die Wehrkraft des Staates um sechzehn Bataillone, fünf Schwadronen Husaren und eine Schwadron Gardedukorps zu vermehren. Ich habe die Grundlagen unserer neuen Akademie gelegt. Wolff, Maupertuis, Vaucanson und Algarotti habe ich gewonnen. […] Die meiste Mühe macht mir die Errichtung von Kornmagazinen in allen Provinzen, die so groß sind, dass das ganze Land für anderthalb Jahre Nahrung vorrätig hat.

      Doch genug von mir! Mich will’s verdrießen!

       Teurer Freund, erfahre, welche Lust

       Mir schon jetzt erfüllt die Brust,

       Bald Dich an mein Herz zu schließen!

      Remusberg, 26. Oktober 1740

      Das allerunvermutetste Ereignis hindert mich diesmal, lieber Voltaire, meine Seele wie gewöhnlich der Ihren zu erschließen und nach Herzenslust zu plaudern. Der Kaiser ist tot!

      Der Fürst, den Natur für den Thron nicht erschuf,

       Ward König, dann Kaiser; Eugen hat Ruhm ihm erworben.

       Doch ist er, zum Unglück für seinen Ruf,

       Als Bankrottierer gestorben.

      Dieser Todesfall wirft alle meine friedlichen Pläne über den Haufen. Ich glaube, im Monat Juni wird es sich eher um Schießpulver, Soldaten, Laufgräben handeln als um Schauspielerinnen, Ballette und Theater. Daher sehe ich mich gezwungen, den Handel, den wir vorhatten, zu vertagen. […] Dies ist der Augenblick der völligen Umwandlung des alten politischen Systems; der Stein hat sich gelöst, den Nebukadnezar auf das Bild aus vier Metallen rollen sah, der sie alle vier zerstörte.

      Tausend Dank für die Vollendung des Druckes vom »Machiavell«! Arbeiten kann ich jetzt nicht daran; ich bin mit Geschäften überlastet. Meinem Fieber gebe ich nun den Laufpass; denn ich habe meine Maschine nötig. Sie muss jetzt alles hergeben, was nur möglich ist.

      Hauptquartier Herrendorf in Schlesien, 23. Dezember 1740

      Ich erhielt zwei Briefe von Ihnen, lieber Voltaire, konnte aber nicht eher antworten. Wie der König im Schachspiel Karls XII. bin ich stets auf den Beinen. Seit vierzehn Tagen sind wir immerfort unterwegs, und bei was für Wetter!

      Ich bin zu abgespannt, um Ihre reizenden Verse zu beantworten, und zu durchgefroren, um ihren Reiz voll auszukosten, aber das kommt wieder. Verlangen Sie keine Gedichte von einem, der gegenwärtig wie ein Fuhrmann auf der Landstraße liegt und manchmal bis über die Ohren im Schmutz steckt.

      Wollen Sie wissen, wie mein Leben sich abspielt? Wir marschieren von 7 Uhr früh bis 4 Uhr nachmittags. Dann speise ich, arbeite, empfange langweilige Besuche, und schließlich kommt ein Wust von albernen Bagatellen. Da gilt es, Querköpfe zurechtzusetzen, Heißsporne zu zügeln, Faule anzutreiben, Ungeduldige im Zaum zu halten, Raubgierige in die Schranken des Rechts zu weisen, Schwätzer anzuhören und Stumme zu unterhalten. Kurz, man muss mit den Durstenden trinken, mit den Hungernden essen, mit den Juden zum Juden und mit den Heiden zum Heiden werden.

      Das ist meine Beschäftigung! Gern würde ich sie mit einer anderen vertauschen, wenn mir das Phantom, Ruhm genannt, nicht allzu oft erschiene. Wahrhaftig, es ist großer Wahnsinn, aber man kommt schwer davon los, ist man einmal davon ergriffen.

      Potsdam, 7. August 1766

      Mein Neffe schrieb mir, er habe sich vorgenommen, auf der Durchreise den Philosophen von Ferney zu besuchen. Ich beneide ihn um den Genuss, Sie zu hören. Mein Name war in Ihren Gesprächen überflüssig. Sie hatten soviel Gesprächsstoff, dass Sie es nicht nötig hatten, sich über den Philosophen von Sanssouci zu unterhalten.

      Sie schreiben mir von einer Philosophenkolonie, die sich in Kleve niederlassen will. Ich habe nichts dagegen einzuwenden und kann ihnen gewähren, was sie wünschen, außer dem Holze, das der Aufenthalt Ihrer Landsleute in den Wäldern ganz zerstört hat. Ich stelle jedoch die Bedingung, dass sie diejenigen schonen, die geschont werden müssen, und in ihren Druckschriften den Anstand wahren.

      […] Darf man Vorurteile, die die Zeit in der Anschauung der Völker geheiligt hat, grob verletzen? Und darf man, wenn man Gedankenfreiheit genießen will, den bestehenden Glauben beschimpfen? Wer sich ruhig verhält, wird selten verfolgt. Denken Sie an das Wort von Fontanelle: »Hätte ich die Hand voller Wahrheiten, würde ich es mir mehr als einmal überlegen, ehe ich sie öffnete.«

      Die Masse verdient nicht, aufgeklärt zu werden, und wenn Ihre Gerichte streng gegen den unglücklichen jungen Mann verfahren sind, der das Zeichen zerschlagen hat, das die Schriften als Symbol ihres Heils verehren, so machen Sie die Gesetze des Königreichs dafür verantwortlich. Jede Obrigkeit hat geschworen, nach diesen Gesetzen zu richten. Sie kann ihr Urteil nur aufgrund ihrer Vorschrift fällen, und es gibt für den Angeklagten keine Rettung als den Nachweis, dass das Gesetz auf keinen Fall seine Anwendung findet.

      Wenn Sie mich fragen, ob ich ein ebenso hartes Urteil gesprochen hätte, so antworte ich mit Nein. Ich hätte die Strafe, der Stimme der Natur folgend, dem Vergehen angepasst. Hast du eine Statue zerschlagen, so verurteile ich dich, sie wiederherzustellen. Hast du vor dem Pfarrer […] den Hut nicht abgenommen, so verurteile ich dich, vierzehn Tage hintereinander ohne Hut in der Kirche zu erscheinen. Hast du Werke von Voltaire gelesen, so wird es Zeit, junger Mann, dass du dir ein richtiges Urteil bildest. Zu diesem Zwecke wird dir aufgegeben, die Summa des heiligen Thomas und die Anleitung zur Brevierlektüre des Herrn Pfarrers zu studieren. Der Wundbeutel wäre so vielleicht härter bestraft als durch den Richter; denn die Langeweile ist ein Jahrhundert, der Tod ein Augenblick.

      Möge der Himmel oder das Schicksal diesen Tod von Ihrem Haupte fernhalten, und mögen Sie dieses Jahrhundert, das Sie berühmt machen, sanft und friedlich aufklären. Wenn Sie nach Kleve kommen, werde ich das Vergnügen haben, Sie wiederzusehen und Ihnen die Bewunderung auszusprechen, die Ihr Genie mir stets eingeflößt hat. Im Übrigen bitte ich Gott, Sie in seinen heiligen Schutz zu nehmen.

      Sanssouci, 24. Oktober 1766

      Wenn ich auch nicht die Kunst verstehe, Sie wieder jung zu machen, wünsche ich Ihnen doch ein langes Leben, als Zierde und Lehrer unseres Jahrhunderts. Was wäre die schöne Literatur ohne Sie? Sie haben keine Nachfolger; leben Sie so lange als möglich.

      […]

      Ich beglückwünsche Sie zu der guten Meinung, die Sie von der Menschheit haben. Ich kenne dieses zweibeinige, ungefiederte Geschlecht durch meine berufliche Tätigkeit sehr genau und sage Ihnen voraus, dass weder Sie noch alle Philosophen der Welt es von dem Aberglauben, an dem es hängt, heilen werden. Die Natur hat ihm diese Zutat bei seiner Erschaffung beigemischt. Furcht, Schwäche, Leichtgläubigkeit, vorschnelles Urteil ziehen die Menschen unwiderstehlich zum Aberglauben hin.

      Nur wenige philosophische Geister sind stark genug, die tiefen Wurzeln der ihnen