Wolfsblut schwang wie ein Pendel, der toll geworden war, unter den Schlägen, die auf ihn herabhagelten, hin und her. Widerstreitende Empfindungen durchkreuzten seine Brust: zuerst Überraschung, dann momentane Furcht, so daß er aufschrie, als die Hand ihn so derb berührte. Doch schnell folgte Ärger darauf, und er knurrte unerschrocken den erzürnten Gott an, der dadurch noch zorniger wurde und immer schneller und nachdrücklicher zuschlug.
Allein dies konnte nicht ewig dauern; einer mußte nachgeben, und das mußte Wolfsblut sein. Von neuem durchrieselte ihn die Furcht; zum erstenmal hatte ein Mensch ihn übel behandelt, denn die Püffe, die er dann und wann durch Stöcke oder Steine erhalten hatte, waren Liebkosungen im Vergleich mit dieser Behandlung. Sein Mut sank, er begann bei jedem Schlag kläglich zu schreien, aber dann überkam ihn Todesangst, und er schrie nicht mehr nur im Takt der Schläge, sondern ohne Aufhören.
Endlich ließ der Graue Biber die Hand sinken. Wolfsblut hing schlaff herab und wimmerte leise. Dies schien seinen Herrn so zufrieden zu stellen, daß er ihn ohne Umstände in den Kahn warf, der unterdessen eine Strecke stromabwärts getrieben war. Der Graue Biber nahm das Ruder zur Hand, wobei ihm Wolfsblut im Wege war und stieß ihn dabei derb mit dem Fuße an. Sogleich blitzte wieder in Wolfsblut die freie Natur auf, und er schlug diese Zähne in den Mokassin des Herrn.
Nichts waren die Prügel, die er vorher erhalten hatte, im Vergleich zu denen, die er jetzt bekam. Der Zorn des Grauen Biber war schrecklich, doch ebenso groß war Wolfsbluts Angst und Schrecken. Nicht nur wurde die Hand gebraucht, sondern auch das harte, hölzerne Ruder, so daß zuletzt Wolfsbluts ganzer Körper schmerzte. Wieder und diesmal absichtlich stieß der Graue Biber nach ihm, allein Wolfsblut wiederholte den Angriff auf den Fuß nicht. Er hatte eine tüchtige Lehre bekommen. Nie und unter keinen Umständen durfte er es wagen, sich gegen seinen Herrn und Meister aufzulehnen. Der Leib desselben war heilig und durfte durch die Zähne von seinesgleichen nicht verletzt werden. Das war augenscheinlich das größte aller Vergehen, das einzige, das nicht übersehen und verziehen werden konnte.
Als das Boot ans Ufer stieß, lag Wolfsblut regungslos und wimmernd da und wartete, was mit ihm geschehen würde. Es war augenscheinlich der Wille des Grauen Biber, daß er ans Land gehen solle, denn er schleuderte ihn aufs Ufer, wo er schwer zu Boden fiel, so daß sein zerschlagener Körper von neuem zu schmerzen anfing. Zitternd stellte er sich auf die Beine und stand winselnd da, als Liplip, der vom Ufer alles mit angesehen hatte, auf ihn losstürzte, ihn umwarf und mit den Zähnen bearbeitete. Wolfsblut war zu hilflos, um sich zu verteidigen, und es würde ihm schlimm ergangen sein, hätte nicht der Graue Biber den Fuß ausgestreckt, Liplip hoch in die Luft gehoben und ihn ein Dutzend Schritte weit mit aller Macht zur Erde geschleudert. Dies war menschliche Gerechtigkeit, und selbst in seiner jämmerlichen Verfassung durchrieselte Wolfsblut ein Gefühl der Dankbarkeit. Gehorsam hinkte er hinter dem Grauen Biber her durch das Dorf nach dem Wigwam desselben. So lernte Wolfsblut, daß das Recht zu strafen, die Menschen für sich in Anspruch nähmen und geringeren Geschöpfen nicht gestatteten.
In der Nacht, als alles stille war, dachte Wolfsblut traurig an seine Mutter, und er trauerte so laut um sie, daß der Graue Biber aufwachte und ihn schlug. Darauf tat er es leise, und nur wenn niemand in der Nähe war. Oft, wenn er sich allein am Saume des Waldes befand, machte er seinem Kummer in langgezogenen, winselnden Klagelauten Luft.
Zu solchen Zeiten hätte er vielleicht den Erinnerungen an die Höhle am Fluß nachgegeben, und wäre in die Wildnis zurückgekehrt, wenn die Erinnerung an die Mutter ihn nicht zurückgehalten hätte. Wie aber die Jäger, die auszogen, zurückkamen, so würde auch sie einst ins Dorf zurückkehren. Also blieb er in der Knechtschaft und wartete auf sie.
Aber nicht immer machte seine Abhängigkeit ihn unglücklich. Es geschah viel um ihn her, was ihn interessierte, es gab viel Abwechslung, viel Seltsames, was die Menschen taten, und wo er immer neugierig zuschaute. Auch lernte er, wie er sich dem Grauen Biber gegenüber zu verhalten hätte. Strenger, unbedingter Gehorsam, das war es, was dieser von ihm verlangte, und leistete er den, so bekam er keine Schläge und seine Gegenwart wurde geduldet. Manchmal jedoch warf ihm der Graue Biber sogar ein Stück Fleisch hin und beschützte ihn, wenn er es fraß, gegen die andern Hunde. Ein solches Stück Fleisch war mehr wert als ein ganzes Dutzend ähnlicher aus der Hand einer Indianerin. Zwar streichelte und liebkoste der Graue Biber ihn nie, dennoch knüpfte sich ein gewisses Band der Anhänglichkeit zwischen ihn und seinen mürrischen Herrn, sei es, daß die gewichtige Hand desselben oder sein Sinn für Gerechtigkeit, oder die bloße, ihm gehörende Macht, oder all dies zusammen Wolfsblut beeinflußte.
So wurden ihm allmählich und unmerklich durch die Kraft des Stockes, des Steines und den Schlag der Hand die Fesseln der Knechtschaft immer enger angelegt. Die Eigenschaften seiner Gattung, die sie zum Feuer der Menschen kommen ließ, waren einer Entwicklung fähig, und so wurde auch ihm das Leben im Lager der Indianer, so sehr es oft auch voller Elend für ihn war, immer lieber. Nur, daß er sich dessen nicht bewußt war, daß er immer noch Kummer um Kisches Verlust fühlte und die Hoffnung auf ihre Wiederkehr hegte, während er eine verzehrende Sehnsucht nach dem freien Leben empfand, das er einst geführt hatte.
3. Kapitel. Der Ausgestoßene
Liplips Verfolgungen verdüsterten Wolfsbluts Leben auch fernerhin und machten ihn wilder und bösartiger, als er es von Natur gewesen wäre, so daß er sich sogar bei den Menschen eines bösen Rufes erfreute. Wo es im Lager Lärm oder Aufruhr gab, wo man sich zankte und stritt oder eine Indianerin laut über ein Stück Fleisch, das ihr gestohlen war, schalt, da konnte man sicher sein, daß Wolfsblut entweder die Ursache des Spektakels oder doch dabei beteiligt gewesen war. Man nahm sich nicht die Mühe, nach den Gründen seines Verhaltens zu forschen, man sah nur, daß dasselbe schlecht sei, daß er ein Schleicher und ein Dieb, ein Unruhestifter und Hetzer sei, und zornige Frauen sagten es ihm ins Gesicht, während er sie unverwandt anschaute, immer vor einem Wurfgeschoß auf der Hut, daß er ein richtiger Wolf und gar nichts wert sei, und daß es mit ihm einmal ein schlimmes Ende nehmen würde.
Mitten in dem dicht bevölkerten Lager war er also ein Ausgestoßener. Alle jungen Hunde folgten Liplip als ihrem Führer, weil sie den Unterschied zwischen sich selber und Wolfsblut fühlten, weil sie seine Herkunft aus dem wilden Walde witterten und die Feindschaft gegen ihn empfanden, die der Haushund gegen den Wolf hegt. Doch sei dem, wie ihm wolle, sie schlossen sich alle Liplip in der Verfolgung Wolfsbluts an, und da sie diesem einmal den Krieg erklärt hatten, so fanden sie bald guten Grund, dabei zu bleiben. Ein jeder bekam dann und wann Wolfsbluts Zähne zu fühlen, denn er gab – zu seiner Ehre sei es gesagt – mit Zinsen zurück, was er empfangen hatte. So manchen hätte er im Einzelkampf besiegen können, allein ein solcher war ihm versagt, da der Anfang dazu für alle jungen Hunde des Lagers das Signal war, herbeizulaufen und über ihn herzufallen.
Aber er lernte durch diese Verfolgungen, sich im Massenkampfe zu behaupten und dem einzelnen in kürzestem Zeitraum so viel Schaden als möglich zuzufügen. Inmitten der feindseligen Menge auf den Füßen bleiben, hieß sich das Leben bewahren, und das lernte er schnell, und in dieser Hinsicht war er geschmeidig wie eine Katze. Selbst ausgewachsene Hunde vermochten mit dem Gewicht ihrer schweren Körper ihn nur vorwärts oder rückwärts zu schieben, aber, geschoben oder geschleift, immer stemmte er die Beine fest gegen die Mutter Erde.
Wenn Hunde miteinander raufen, so gibt es vor dem eigentlichen Kampf erst noch Plänkeleien. Sie knurren sich an, sträuben das Haar empor, gehen mit steifen Beinen einher, doch Wolfsblut lernte, diese Vorbereitungen zum Kampf auszulassen, denn eine Zögerung hieß für ihn, den Ansturm aller jungen Hunde auf sich zu ziehen. Schnell mußte er tun, was er tun wollte, und dann wegspringen. So lernte er, kein Warnungszeichen für seine Absichten zu geben. Er stürzte zu, schnappte und biß, alles im nächsten Augenblick, bevor noch der Feind sich zur Gegenwehr setzen konnte, und so lernte er den Wert des unerwarteten Überfalls schätzen. War ein Hund nicht auf der Hut, so wurde ihm die Schulter aufgeschlitzt, das Ohr zerrissen, bevor er noch wußte, daß er besiegt worden