»Siebzig Tage und zwei gegen eins, daß du es nicht machst«, beharrte Kearns. » ›Fifty Mile‹ ist weit offen und das Ufereis unsicher.«
»Was du mir abgewinnst, gehört dir«, fuhr Daylight fort. »Donnerwetter, Jack, du kannst mir meinen Verlust nicht auf diese Weise erstatten. Ich will überhaupt nicht mit dir wetten. Du willst nur versuchen, mir Geld zu schenken. Aber ich will dir etwas sagen, Jack, ich habe eine andere Chance. Eines Tages gewinne ich alles zurück. Wartet nur, bis der große Goldfund oben am Fluß kommt. Dann wollen wir beide ein Spiel machen, wie es sich für Männer ziemt. Gilt das?«
Sie schüttelten sich die Hände.
»Er macht es«, flüsterte Kearns Bettles ins Ohr. »Und hier setze ich fünfhundert Dollar darauf, daß Daylight in sechzig Tagen wieder da ist«, fügte er laut hinzu.
Billy Rawlins ging die Wette ein, und Bettles umarmte Kearns begeistert.
»Bei Gott, die Wette halte ich«, sagte Olaf Henderson und zog Daylight von Bettles und Kearns weg.
»Wer gewinnt, gibt aus!« rief Daylight und schlug ein. »Und ich bin sicher, daß ich gewinne, sechzig Tage sind eine lange Zeit zwischen zwei Gläsern, und darum bezahle ich jetzt. Sagt, was ihr haben wollt, ihr Hoochinoos! Sagt, was ihr wollt!«
Mit einem Glas Whisky in der Hand kletterte Bettles wieder auf seinen Stuhl und, hin und her schwankend, sang er das einzige Lied, das er kannte:
»Oh, it's Henry Ward Beecher And Sunday-school teachers
All sing of the sassafras-root; But you bet all the same, If it had its right name, It's the joice of the forbidden fruit.«
Und die ganze Bande sang den Refrain:
»But you bet all the same, If it had its right name, It's the joice of the forbidden fruit.«
Die Tür wurde geöffnet. Ein unsicheres, graues Licht strömte herein.
»Es wird hell, der Tag bricht an!« rief eine Stimme mahnend.
Ohne sich auch nur einen Augenblick zu bedenken, stürzte Daylight zur Tür und zog die Ohrenklappen herunter.
Kama stand draußen neben dem Schlitten, einem langen schmalen Gerät, sechzehn Zoll breit und siebeneinhalb Fuß lang, mit einem sechs Zoll über den stählernen Kufen liegenden Holzboden. Die leichten Rupfensäcke, die die Post enthielten, sowie Proviant für Hunde und Menschen waren mit Riemen aus Elenhaut darauf festgebunden. Vor ihm lagen in einer Reihe fünf weißbereifte Hunde. Es waren Huskies (eine Art Wolfshund), die in ihrer ungewöhnlichen Größe und grauen Farbe zueinander paßten. Von ihrer grimmigen Schnauze bis zu den buschigen Ruten glichen sie lebensgroßen Waldwölfen. Sie waren Wölfe, zwar zahme, aber doch Wölfe in ihrer ganzen Erscheinung wie in ihrem Wesen. Oben auf dem Schlitten lagen zu augenblicklichem Gebrauch bereit zwei Paar Schneeschuhe.
Bettles zeigte auf einen Schlafsack aus Polarhasenfell, der aus einem Sack herausguckte.
»Das ist sein Bett«, sagte er. »Sechs Pfund Kaninchenfell. Das Wärmste, worunter er je geschlafen hat, aber ich will verdammt sein, wenn mich das warm halten könnte, und ich kann doch was vertragen. Daylight ist das reine Höllenfeuer.«
»Ich möchte nicht der Indianer sein«, bemerkte Doc Watson.
»Er macht ihn tot, er macht ihn sicher tot«, sang Bettles begeistert. »Ich weiß das. Ich habe schon Schlittenreisen mit Daylight gemacht. Der Mann ist noch nie in seinem Leben müde gewesen. Weiß gar nicht, was das heißt. Ich hab' ihn einen ganzen Tag bei vierzig Grad Kälte mit nassen Strümpfen reisen sehen. Das macht ihm keiner nach.«
Während dieses Gesprächs verabschiedete Daylight sich von den Männern, die ihn umdrängten. Die Jungfrau wollte ihn küssen, aber obwohl er stark vom Whisky umnebelt war, gelang es ihm auch diesmal, den Schürzenbändern zu entgehen. Er küßte die Jungfrau, küßte aber auch die andern drei Mädchen mit derselben Wärme. Dann zog er die langen Fäustlinge an, jagte die Hunde auf und nahm seinen Platz am Steuer ein.
»Mush, Kinder!« rief er.
Im selben Augenblick warfen die Tiere ihr volles Gewicht gegen die Brustgurte, krochen im Schnee zusammen und hieben ihre Klauen hinein. Sie winselten vor Eifer, und ehe der Schlitten ein halbes Dutzend Längen fortgekommen war, mußten sowohl Daylight wie Kama, der den Nachtrab bildete, laufen, um mitzukommen. Und so glitten Männer und Hunde den Hang hinunter, liefen dem gefrorenen Bette des Yukon zu und waren bald in dem grauen Licht verschwunden.
Viertes Kapitel
Auf dem Fluß, in ausgetretener Bahn, wo es keiner Schneeschuhe bedurfte, machten die Hunde sechs Meilen in der Stunde. Um Schritt mit ihnen zu halten, waren die beiden Männer gezwungen, zu laufen. Daylight und Kama gingen abwechselnd am Steuer, denn den schnell fahrenden Schlitten zu lenken und vor ihm zu bleiben, war die härteste Arbeit. Der andere Mann hielt sich dicht hinter dem Gefährt und sprang zuweilen auf, um auszuruhen.
Es war harte Arbeit, aber sie machte trotzdem Freude. Sie flogen über den Boden dahin und hielten sich meist auf der ausgefahrenen Spur. Wenn sie sich später selbst ihren Weg bahnen mußten, waren drei Meilen die Stunde eine gute Leistung. Dann gab es kein Fahren und Ausruhen mehr, und auch von Laufen war wohl kaum noch die Rede. Dann war das Lenken die leichteste Arbeit, und während der eine Mann eine Zeitlang mit Schneeschuhen den Weg für die Hunde bahnte, konnte sich der andere am Steuerplatz ausruhen. Diese Arbeit machte keinen Spaß. Oft mußten sie sich lange Strecken über ein Chaos von Eisschollen schleppen und froh sein, wenn sie zwei Meilen die Stunde schafften. Und es kamen noch schlimmere Strecken, wo eine Meile die Stunde furchtbarste Anstrengung bedeutete.
Kama und Daylight sprachen nicht miteinander. Ihre Arbeit ließ es nicht zu, und es lag ihnen auch nicht, während der Arbeit zu sprechen. Nur ganz selten, wenn es unumgänglich war, wechselten sie ein kurzes Wort miteinander, und Kama beschränkte sich auch dann meistens auf einen kurzen Grunzlaut. Hin und wieder winselte oder knurrte ein Hund, aber im allgemeinen verhielt das Gespann sich still. Der einzige Laut, den man hörte, war das scharfe Pfeifen der stählernen Kufen über die harte Fläche und das Knirschen des gleitenden Schlittens.
Wie durch eine Mauer war Daylight jetzt von dem Summen und Lärmen des Tivoli getrennt – eine andere Welt hatte ihn aufgenommen, eine Welt von Schweigen und Unbeweglichkeit. Nichts regte sich. Der Yukon schlummerte unter einer drei Fuß starken Eisdecke. Nicht ein Windhauch war zu spüren. Selbst der Saft in den Fichtenstämmen an beiden Ufern schien erstarrt zu sein. Die Bäume standen wie versteinert mit der leichten Schneelast auf ihren Zweigen. die der leiseste Hauch herabgeweht hätte, aber es geschah nicht. Daylights Schlitten war der einzige lebendige, bewegliche Punkt inmitten der großen feierlichen Stille, und das rauhe Scheuern der Kufen verstärkte nur das Schweigen ringsum.
Es war eine tote Welt, ja, eine graue Welt. Das Wetter war kalt und klar; die Luft war trocken, ohne Dunst und Nebel; aber der Himmel war ein graues Bahrtuch. Zwar verdunkelten keine Wolken den Tag, aber auch keine Sonne gab Helligkeit. Weit im Süden erklomm sie stetig ihre Mittagshöhe, aber zwischen ihr und dem gefrorenen Yukon lag die Wölbung der Erde. Der Yukon war in nächtliche Schatten getaucht, und der Tag selbst nur eine lange Dämmerung. Als um dreiviertel zwölf eine plötzliche Wendung des Flusses einen Ausblick nach Süden eröffnete, zeigte sich der oberste Rand der Sonne gerade über dem Horizont. Eine blasse, verwischte Scheibe. Ihre Strahlen wärmten nicht, und man konnte gerade in sie hineinsehen, ohne daß einem die Augen schmerzten. Und kaum hatte sie ihre Mittagshöhe erreicht, als sie auch schon wieder hinter den Horizont kroch, und ein Viertel nach zwölf warf die Erde wieder ihren Schatten über das Land.
Männer und Hunde eilten weiter. Daylight und Kama nahmen wie die Wilden Nahrung zu sich. Sie aßen zu unregelmäßigen Zeiten, konnten sich bei Gelegenheit bis zum Übermaß vollstopfen und dann wieder weite Strecken zurücklegen, ohne überhaupt etwas zu essen. Die Hunde fraßen nur einmal täglich,