Hlawa setzte alles daran, vor dem jungen Ritter nach Spychow zu gelangen, wollte er doch seine angebetete Herrin vor dem für sie peinlichen Zusammentreffen mit Danusia bewahren. Wenn er auch nur ein schlichter Edelmann war, begriff er bei seiner Klugheit und bei seiner Kenntnis der ritterlichen Sitte gleichwohl, wie demütigend für Jagienka ein Zusammensein mit Zbyszkos Weib in Spychow sein müsse. »Wir können ja dem Bischof aus Plock sagen, der alte Ritter aus Bogdaniec sei als Schützer des Mägdleins bestellt worden und habe es deshalb mit sich genommen, verlautet es aber erst, die Herrin stehe unter der Obhut des Bischofs und es falle ihr außer Zgorzelic auch noch von seiten des Abtes eine beträchtliche Erbschaft zu, dann wird wohl selbst eines Wojwoden Sohn sich nicht zu hoch für sie dünken.« Diese Erwägung gewährte ihm immerhin etwas Trost auf der beschwerlichen, langen Fahrt und schwächte die ihn quälende Empfindung einigermaßen ab, daß die frohe Kunde, welche er nach Spychow bringen solle, für seine Herrin Unheil bedeute.
Und wenn er dann auch gar noch die Tochter der Sieciechowa im Geiste vor sich sah, wenn er sie vor sich sah mit Wangen so rot wie ein Apfel, dann drückte er die Sporen in die Flanken seines Rosses und trieb es selbst auf dem unwegsamsten Pfade zur Eile an.
Aufs Geratewohl, auf dem ersten besten Wege rückten sie vor, manchmal ging’s auch mitten durch den Wald, immer vorwärts, immer geradeaus, wie der Strich beim Mähen mit der Sichel. Der Böhme wußte nur, daß wenn er sich stets einmal ein wenig westlich und dann wieder ein wenig südlich halte, er schließlich Masovien erreichen werde, und daß sich dann alles zum Guten gestalten müsse. Tagsüber richtete er sich nach dem Stande der Sonne, des Nachts sah er nach den Sternen. Zuweilen dünkte ihn, die Waldwildnis nehme kein Ende, habe keine Grenzen. Die Tage waren häufig so düster, daß sie den Nächten glichen. Mehr als einmal sagte sich Hlawa, der junge Ritter könne unmöglich sein Weib lebend durch diese menschenleere Wildnis bringen, wo nirgends Nahrung zu finden war, wo man des Nachts die Pferde vor Bären und Wölfen schützen mußte, wo man bei Tage von Büffel-und Bison-Herden vom Wege vertrieben ward, wo grausenerregende wilde Eber ihre krummen Hauer an Fichtenstämmen wetzten, und wo ein jeder, welcher nicht durch einen Pfeilschuß oder durch einen Speerstoß ein gesprenkeltes Rehkalb oder ein junges Wildschwein erlegte, auf Tage hinaus ohne Speise blieb.
»Was wird er beginnen?« fragte sich Hlawa. »Wie kann er mit dem zu Tode gemarterten, in den letzten Zügen liegenden Weibe die Fahrt vollenden?«
Immer von neuem mußte der Böhme mit seinen Begleitern breite Moräste oder tiefe Schluchten umreiten, aus denen wilde, durch die heftigen Frühjahrsregen angeschwollene Bäche hervorschossen. In diesen Wäldern mangelte es auch nicht an Seen, auf denen bei Sonnenuntergang ganze Rudel von Elentieren und Rehen auf dem rötlich gefärbten, stillen Gewässer umherschwammen. Zeitweise bemerkte Hlawa auch aufsteigenden Rauch, ein Zeichen, daß er sich nicht weit von menschlichen Behausungen befinden konnte. Sobald er sich indessen diesen Waldansiedelungen nähern wollte, stürzten ihm wildaussehende Mannen entgegen, die Felle auf dem bloßen Leib trugen, mit Bogen und Keulen bewaffnet waren und unter den zottigen Pelzen so drohend hervorschauten, daß sie Wärwölfen glichen, und daß die Begleiter Hlawas, das Staunen jener über den unerwarteten Anblick der Reiter benutzend, es sich angelegen sein ließen, so rasch wie möglich aus deren Bereich zu kommen.
Zweimal zischten die Pfeile dicht hinter dem Böhmen und immer wieder tönte der Ruf an sein Ohr »Wokili« (Deutsche), doch er zog die Flucht jeder Erklärung vor, wer er sei. Endlich, nach Verlauf vieler, vieler Tage glaubte er die Grenze überschritten zu haben, aber erst durch polnisch sprechende Jäger erhielt er die Gewißheit, daß er sich auf masovischer Erde befand.
Von jetzt an kam er rascher vorwärts, trotzdem das ganze östliche Masovien eine Wüstenei war. Bewohnte Plätze blieben auch nun eine Seltenheit, allein erreichte Hlawa da und dort eine Ansiedelung, so zeigten sich die Bewohner durchaus nicht unzugänglich – einesteils vielleicht deshalb, weil sie weniger von dem Feinde gelitten hatten, andernteils wohl aus dem Grunde, weil der Böhme sich ihnen verständlich machen konnte. Lästig fiel nur die unersättliche Neugierde der Leute, welche, die Reiter umringend, mit Fragen nicht müde wurden und stets, sobald sie erfuhren, daß der Gefangene ein Kreuzritter sei, zu sagen pflegten: »Ueberlaßt ihn uns, o Herr, wir wollen die Strafe an ihm vollziehen.«
Und so hartnäckig bestanden sie auf ihrem Verlangen, daß der Böhme häufig aufbegehren mußte und sich zu der Erklärung genötigt sah, er überbringe den Gefangenen dem Fürsten Janusz. Erst dann wurde er nicht weiter bedrängt. Kaum gelangte er indessen in eine bewohntere Gegend, so hatte er sich gegen Edelleute und Bauern zu wehren. Der Haß gegen den Orden loderte dort in hellen Flammen auf, denn allenthalben wurde die Erinnerung an die Treulosigkeit der Kreuzritter wach, welche in Friedenszeiten den Fürsten in Zlotorya überfallen und ihn zum Gefangenen gemacht hatten. Wohl verlangte keiner, die Strafe an Zygfryd vollziehen zu dürfen, allein der oder jener kühne Edelmann meinte: »Löst ihn von seinen Fesseln. Ich will ihm ein Schwert geben und ihn auf Tod und Leben in die Schranken fordern.« Einem jeden suchte daher der Böhme immer von neuem die Ueberzeugung beizubringen, die Rache müsse dem unglücklichen Gebieter von Spychow überlassen werden, keinem Menschen stehe es zu, Jurand dieses Rechtes zu berauben.
Die Fahrt ging indessen jetzt leichter von statten, kam man doch auf gebahntere Wege und konnten die Pferde doch mit Hafer und Gerste gefüttert werden. Hlawa trieb auch zu immer größerer Eile an, es wurde kaum irgendwo Halt gemacht, und zehn Tage vor dem Fronleichnamsfeste ward Spychow erreicht.
Gegen Abend langte der Böhme an seinem Ziele an, gerade wie einst, als ihn Macko von Szczytno aus mit der Kunde zurückgeschickt hatte, daß er, der alte Ritter, nach Samogitien ziehe, und gerade wie damals erschaute Jagienka den Knappen von ihrem Fenster aus und stürzte ihm entgegen. Er aber, geraume Zeit unfähig, ein Wort hervorzubringen, warf sich ihr zu Füßen. Allein sie hob ihn rasch empor und gebot ihm, ihr unverweilt in die Burg zu folgen, denn es widerstrebte ihr, ihn vor seinen Begleitern auszufragen.
»Was hast Du Neues zu berichten?« begann sie dann sofort, mühsam Atem holend und vor Erregung zitternd. »Sind sie am Leben, sind sie gesund?«
»Sie sind am Leben und sind gesund.«
»Und jene – hat man sie gefunden?«
»Sie ist gefunden – sie ist befreit.«
»Gelobt sei Jesus Christus!«
Allein trotz dieser Worte nahmen Jagienkas Gesichtszüge plötzlich einen völlig starren Ausdruck an, zerfiel doch das, was sie erhofft hatte, in Staub und Asche. Nichtsdestoweniger hielt sie sich aufrecht, verlor sie keinen Augenblick die Geistesgegenwart, ja, schon nach wenigen Minuten hatte sie wieder vollständig die Herrschaft über sich gewonnen und fragte abermals: »Wann werden sie hier eintreffen?«
»In einigen Tagen. Es ist schwer, eine solche Fahrt mit einem kranken Weibe zurückzulegen.«
»Ist sie krank?«
»Sie ist gar grausam behandelt worden. Durch all das, was sie erduldete, hat ihr Geist gelitten.«
»Barmherziger Jesus!«
Ein kurzes Schweigen trat nun ein, nur Jagienkas bleiche Lippen bewegten sich wie im Gebete. Endlich hub letztere von neuem an: »Und kam sie durch Zbyszkos Anwesenheit nicht wieder zum Bewußtsein?«
»Das mag wohl sein, doch ich weiß darüber nichts. Ich machte mich so rasch wie möglich auf den Weg, denn ich wollte Euch, o meine Herrin, rechtzeitig von der Ankunft des jungen Ritters mit seinem Weibe unterrichten.«
»Gott lohne Dir. Erzähle mir jetzt alles genau.«
In kurzen Worten berichtete nun der Böhme alles, was er über die Befreiung Danusias, über die Gefangennahme