»Nein, das wussten wir nicht. Oder wusstest du davon, Maria?« Niehaus sprach nun leise, fast flüsterte er.
»Nein, sie hat mir nie etwas von einer Schwangerschaft erzählt. Nicht einmal andeutungsweise. Das hätte ich doch merken müssen. Ich bin doch ihre Mutter. Wir haben so oft miteinander telefoniert in den letzten Monaten. Aber sie wirkte immer fröhlich und zufrieden.«
Die Stimme von Maria Niehaus klang monoton. Till vermochte nicht einzuschätzen, ob das an dem Trauerzustand der Mutter lag oder ob sie ihre wahren Gefühle in Bezug auf Tanjas Schwangerschaft verbergen wollte.
»Könnte es sein, dass ein Schwangerschaftsabbruch für Ihre Tochter einfach von nicht so großer Bedeutung war?«
»Wenn Sie eine Frau wären, würden Sie eine solche Frage nicht stellen.« Jetzt klang ihre Stimme wütend. Auch ihr Mann wurde wieder zorniger.
»Was wollen Sie damit sagen? Dass meine Tochter ein dummes Flittchen war, für die eine Schwangerschaft gleichbedeutend mit einem Pickel ist, den man loswerden will?«
»Es tut mir leid, wenn ich taktlos war, ich will mir nur ein Bild von Ihrer Tochter machen. Haben Sie eine Vorstellung, wer der Vater gewesen sein könnte?«
»Olaf. Von einem anderen Mann weiß ich nichts.«
»Olaf Kreuzberger, der Kollege aus der Bank, von dem Sie mir gestern erzählt haben?«
»Genau der. Ein anständiger Mann. Etwas Besseres hätte Tanja gar nicht passieren können.«
»Tanja war da aber anderer Meinung. So wie ich Sie gestern verstanden habe, hat sie mit ihm Schluss gemacht. Hatten Sie deshalb auch Streit mit Ihrer Tochter?«
»Wir hatten keinen richtigen Streit wegen dieser Sache. So tief bin ich in ihr Privatleben nicht eingedrungen, dass ich mich deswegen mit ihr gestritten hätte. Aber ich habe ihr zu verstehen gegeben, dass ich Olaf für einen sehr passablen Mann halte.«
»Hatte ihre Tochter noch andere Verehrer? Hartnäckige Verehrer? Verehrer, denen sie einen Korb verpasst hat?«
»Meine Tochter hatte mit Sicherheit sehr viele Verehrer. Sie war bildschön. Sie hatte die Schönheit ihrer Mutter geerbt. Und sie war sehr selbstbewusst und erfolgsorientiert. Das hat sie von mir geerbt. Und das zusammen ist eine Kombination, die Männer magisch anzieht. Das fing schon an, als sie zwölf Jahre alt war. Die sechzehn- und siebzehnjährigen Nachbarsjungen schlichen um unser Haus wie räudige Straßenköter. Und Tanja verstand sehr schnell, wie man Männern den Kopf verdreht.«
Siebels dachte an seine Tochter, an seine mittlerweile zwölfjährige Tochter, die nun ohne ihn aufwachsen musste. Hatte sie auch schon Verehrer? »Es tut mir leid, aber ich habe Sie noch nicht über alle Umstände aufgeklärt, die mit Tanjas Tod zu tun haben.« Siebels holte Fotos vom Tatort aus seiner Jackentasche und legte zwei davon auf den Tisch. Niehaus schaute sie fassungslos an. Die roten Buchstaben auf Tanjas Rücken waren deutlich zu lesen. »Ich bin eine kleine geile Schlampe«.—
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