»No freilich. Und eine is dabei, ja, vor der muß man 's Hütl ziehen. Die Burgi von der Tillfußer Alm. Was wahr is, muß wahr sein. Dös is a bildsaubers Madl.«
»Die Tillfußer Alm? Wo liegt die?«
»Gleich dem Jagdhaus vor der Nasen.« Der Wagen rollte aus dem dichtgeschlossenen Wald auf eine offene Höhe hinaus, und der Kutscher deutete mit der Peitsche. »Da schauen S' her! Jetzt kann man 's ganze Geißtal überschauen drei Stund weit aussi bis gegen Ehrwald.«
Hastig wandte sich der Lakai: »Bitte, Durchlaucht, von dieser Stelle kann man das ganze Jagdgebiet übersehen.«
Der Fürst schlug die Augen auf — große, dunkle Augen von metallenem Glanz — und erhob sich im Wagen, den der Kutscher auf einen Wink des Lakaien angehalten hatte.
Beim Anblick der weitgedehnten, in ihrer wundervollen Größe doch ruhigen Landschaft stieg eine warme Röte in die bleichen Wangen des Fürsten. Es war aber auch ein Bild, das einem für Schönheit der Natur empfänglichen Menschen die Seele mit Staunen erfüllen mußte.
Zu Füßen der Straße zog sich ein schmales Hochtal mit fast ebener Sohle bis in weite Ferne, kaum merklich gewunden, eine einzige große Linie, gezeichnet von der weitausholenden Hand des Schöpfers. Durch das lange Tal hin schlängelt sich die Geißtaler Ache, in enggedrängtem Bette aus-und einbiegend um vorspringende Felsen und Waldecken, bald grünlich schimmernd bei ruhigem Gefäll, bald wieder blitzend in der Sonne und zersprudelt zu weißem Schaum. Das ganze Tal entlang reiht sich zur Linken ein Felskoloß an den anderen; neben der ungestüm aufstrebenden Munde erhebt sich die wuchtige Hochwand, hinter dem klobigen Igelstein drängt sich der steile Tejakopf hervor, und den wirkungsvollen Abschluß bildet die Sonnenspitze mit ihrer schlanken, auf breitem Sockel ruhenden Pyramide. Von dunklem Blau umschleierte Kare schneiden in den Leib der steinernen Riesen ein, und über die steilen Felsrippen klettern die Fichtenwälder empor als schmale Zungen und verlieren sich mit einsam vorgeschobenen Bäumen zwischen den Latschenfeldern, die um die Brust der Berge hängen wie eine grüne Samtverbrämung. Verstaubter Schnee, den immerwährender Schatten auch gegen die Sonne des Juli schützte, füllt mit zerrissenen Formen alle tieferen Buchten im Gestein, und von ihm aus ziehen, den lebenden Wald zersprengend, die Lawinengassen nieder mit verwüstetem Gehäng. Der Stelle zu Füßen, wo der Wagen hielt, lagen Hunderte von gebrochenen Stämmen wirr über den Bach geschleudert. In der Tiefe sah dieser zerstörte Wald sich an wie Spielzeug, das Kinderhände im Übermut durcheinander geworfen. Aus diesem Wirrsal streckte sich eine seltsame Rute hervor: eine gewaltige, wohl hundertjährige Fichte, die eine Lawine aus dem Grund gerissen, durch die Luft gewirbelt und mit dem Gipfel wieder in die Erde gebohrt hatte, so daß der Stamm mit seinem Wurzelwerk zum Himmel ragte.
Gegenüber diesem ernsten Bild des Schattens lag, von flimmerndem Glanz umwoben, die Sonnenseite des Tales. Grüne Wälder wechselten mit goldig überglänzten Almgehängen. Sanft verschwommen klangen die Glocken der weidenden Rinder von den Höhen, und auf den lichten Weideflächen erkannte man die zerstreuten Tiere der Herde als helle, bewegliche Punkte. Über den Almen lagen wieder die Wälder, aus denen sacht gerundete, nur selten von einer kahlen Wand durchschnittene Kuppen aufwärts stiegen; und wie eine letzte steinerne Weltgrenze, stolz und steil, erhob sich über diese grünen Wellen der gezahnte, stundenlange Grat des Wettersteingebirges, im Glanz der Sonne wie ein goldenes Gebild erscheinend. Je weiter die Wand sich hinzog, desto blauer tönten sich die Felsen, so daß sie in der Ferne mit der golddurchwobenen Farbe des Himmels in eins zerflossen.
»Wie schön!«
Tief atmend hatte der Fürst dieses Wort vor sich hin gesprochen; und als die Kutsche über die fallende Straße niederrollte, lag er nicht mehr mit stillem Brüten in die Kissen des Wagens versunken, sondern schickte in lebhafter Achtsamkeit die Augen nach allen Seiten auf die Reise.
Eine Weile führte der Weg zwischen einem latschenbewachsenen Hang und dem Ufer der Ache dahin, nun wieder durch schütteres Gehölz und dann im Bogen über ein weites Almfeld gegen eine Waldfläche empor, in deren Mitte, durch aufsteigenden Rauch verkündet, das von mächtigen Fichten umschützte Jagdhaus stehen mußte. Der Fürst beugte sich aus dem Wagen, in Spannung nach dem Jägerheim ausspähend, das ihm die Fürsorge eines Freundes in dieser Bergeinsamkeit erworben und bereitet hatte. Als sich die Kutsche einem aus Steinen am Waldsaum erbauten Stalle näherte, hörte man unter den Bäumen eine erregte Männerstimme rufen: »Er kommt! Er kommt!«
Der Fürst lächelte. Da waren wohl Vorbereitungen für einen feierlichen Empfang getroffen?
Etwa hundert Schritte ging der Weg noch durch schattigen Hochwald, dann traten die Bäume auseinander, im Kreis das sanft geneigte, von heller Sonne überglänzte Weidefeld der Tillfußer Alm umschließend. Inmitten des Feldes lag eine steinerne Sennhütte mit rauchendem Schindeldach, und vor der Tür der Hütte stand mit gekreuzten Armen eine junge Sennerin, die dem anfahrenden Wagen neugierig entgegenguckte.
Der Kutscher stieß den Lakai mit dem Ellbogen an und blinzelte gegen die Hütte hinunter. Da wurde der Hoheitsvolle überraschend menschlich und reckte neugierig den Hals; doch eines der Jägerhäuschen, die neben dem Wege standen, verdeckte ihm die Aussicht.
Kleine Fähnchen mit den Tiroler Farben schmückten die Giebel der Jägerhütten, eine Flagge wehte auf dem Dach des größeren Fremdenhauses, und ein hoher, von grüner Fichtengirlande umschlungener Mast, auf dem zwischen der deutschen und österreichischen Fahne eine Flagge mit den Farben des fürstlichen Hauses flatterte, erhob sich vor dem Staketenzaun, der den Hofraum des großen, zweistöckigen Jagdhauses umschloß. Auf einem das Almfeld überblickenden Hügel ruhend und angelehnt an den bergwärts steigenden Fichtenwald, grüßte das schmucke, mit rötlichem Zirbenholz verschalte Gebäude freundlich seinem jungen Herrn entgegen, leuchtend in der Sonne, mit blinkenden Fenstern, halb versunken in einen gutgemeinten, aber nicht besonders zierlich geratenen Aufputz von Kränzen, Girlanden und Zweigen, an denen in dicken Büscheln die roten Tannenzapfen baumelten.
Neben der Haustür hatten in schmucker Feiertagstracht fünf Jäger Aufstellung genommen, und vor ihnen, wie ein Korporal vor seinen Rekruten, stand der Förster, eine klobig stramme Gestalt mit breiten Schultern, ein derbes Gesicht mit rötlich gekraustem Vollbart und mit braunen Augen, gutmütig wie Kinderaugen; doch ein paar verdächtig angeschwollene Äderchen an Stirn und Schläfen ließen vermuten, daß der Förster zeitweilig an »gachen Hitzen« zu leiden hatte.
Als die Kutsche in den Hofraum einfuhr, warf der Förster noch einen musternden Blick über die Jäger, dann schwang er den Hut und rief mit einer Stimme, die heiser gegen seine Aufregung kämpfte: »Unser neuer, hochverehrter Jagdherr, Seine Duhrlaucht Fürst Heinrich Ettingen-Bernegg, er lebe hoch!«
Die Stimmen der Jäger fielen ein. Nur ein einziger von ihnen schwieg und blickte dem anfahrenden Wagen gleichgültig entgegen; als er den Fürsten sah, streckte sich seine Gestalt, und der Blick seiner Augen schärfte sich, als gäbe ihm der Anblick seines jungen Herrn zu denken.
»Hoch! Hoch!« klangen die Stimmen der anderen. Dann kam noch ein unerwarteter Nachklang, drunten bei der Sennhütte, hell wie der Ton eines Silberglöckleins: »Hooooch!« Und diesem Ruf folgte ein Jauchzer, der hinaufkletterte bis in die höchste Stimmlage einer kräftigen Mädchenkehle.
Die Jäger schmunzelten, während der Förster etwas aus der Fassung geriet, denn er schien nicht recht zu wissen, ob diese programmwidrige Zugabe zur Empfangsfeierlichkeit ernst oder spöttisch gemeint war. Aber der Fürst lächelte, und freundlich grüßend nickte er der Sennerin zu, die kichernd um die Ecke der Almhütte verschwand.
Der Lakai war vom Bock gesprungen und hatte den Wagenschlag geöffnet.
Fürst Ettingen stieg aus, und nun sah man erst, wie kräftig und schlank er gewachsen war. Der Jagdanzug aus schottischem Loden, mit hohen braunen Schnürschuhen, paßte kleidsam zu der jugendlichen Gestalt, aus der alle Schwäche und Ermüdung verflogen schien.
Er bot dem Förster die Hand. »Ich danke Ihnen! Das ist ein lieber Empfang, den Sie mir bereitet haben.« Freundlich bestaunte er den etwas plump geratenen Schmuck des