Der Courier des Czaar (Michael Strogoff). Жюль Верн. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Жюль Верн
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066117221
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Schatten, um besser in sein Inneres blicken zu können.

      „Wir sind also, begann er wieder, nachdem er den General Kissoff in eine Fensternische geführt, seit gestern ohne alle Verbindung mit dem Großfürsten?

      — Ohne Verbindung, Sire, und es steht zu befürchten, daß die Depeschen bald nicht einmal die Grenze Sibiriens mehr überschreiten können.

      — Aber die Truppen des Amurgebietes, sowie die von Transbaikalien haben die Ordre empfangen, sofort nach Irkutsk aufzubrechen?

      — Diesen Befehl enthielt das letzte Telegramm, welches über den Baikalsee hinaus zu senden möglich war.

      — Doch mit den Gouvernements Jeniseisk, Omsk, Semipalatinsk und Tobolsk stehen wir seit Beginn des Einfalls stets in directer Communication?

      — Gewiß, Sire, dahin gelangen unsere Depeschen und wir sind sicher, daß die Tartaren zur Stunde den Irtysch und Obi noch nicht überschritten haben.

      — Und von dem Verräther Iwan Ogareff hat man noch keine weitere Kunde?

      — Nein, antwortete General Kissoff; der Polizeichef vermag nicht zu sagen, ob jener die Grenze überschritten hat oder nicht.

      [pg 1-6]

      — Sein Signalement werde sofort nach Nishny-Nowgorod, Perm, Jekaterinburg, Kassimow, Tiumen, Ichim, Omsk, Elamsk, Kolywan, Tomsk und überhaupt nach allen Stationen gesandt, mit denen wir noch in telegraphischem Verkehr stehen.

      — Ew. Majestät Befehle werden unverzüglich ausgeführt werden, erwiderte der General.

      — Kein Wort über alles Dieses!“

      Nach einem stummen Zeichen ehrfurchtsvoller Ergebenheit verneigte sich der General, mischte sich erst unbefangen unter die Gäste, verließ aber bald die Salons, ohne daß sein Verschwinden irgend welches Aufsehen erregte.

      Der Officier blieb träumerisch noch kurze Zeit stehen, und als er sich den verschiedenen Gruppen von Diplomaten und Militärs wieder näherte, hatte sein Gesicht die einen Augenblick verlorene Ruhe vollständig wiedergefunden.

      Die sehr ernste Ursache jener schnell gewechselten Worte war aber keineswegs so unbekannt, als der Gardejägerofficier und der General Kissoff glauben mochten. Man sprach zwar nicht officiell davon, ja nicht einmal officiös, da die Zungen jetzt noch nicht gelöst waren, aber verschiedene hochgestellte Personen hatten doch mehr oder weniger genaue Berichte erhalten über die Vorgänge jenseit der Grenze.

      Was man nur so vom Hörensagen wußte, davon unterhielt man sich nicht, nicht einmal die Mitglieder der Diplomatie unter einander; zwei Eingeladene aber, welche weder eine Uniform, noch sonst welche Auszeichnung als berechtigt zu dieser Festlichkeit kennzeichnete, sprachen mit gedämpfter Stimme über diese Angelegenheit und schienen sehr genaue Informationen zu besitzen.

      [pg 1-7]

      Auf welchem Wege, durch welches Zwischenmittel wußten aber diese beiden einfachen Sterblichen das, was andere und selbst sehr einflußreiche Personen kaum muthmaßten? – Niemand hätte das sagen können. Waren sie mit einem Vorgefühl oder mit einer Voraussicht begabt? Besaßen sie noch einen sechsten Sinn, der es ihnen ermöglichte, über den begrenzten Horizont hinaus zu blicken, der sonst die Tragweite des Menschenauges abschließt? Hatten sie eine besonders scharfe Witterung, um die geheimsten Neuigkeiten auszuspüren? Sollte sich ihre Natur bei der tief eingewurzelten Gewohnheit, von und durch die Information zu leben, gänzlich verändert haben? Man wurde versucht, das zu glauben.

      Diese beiden Männer, der eine Engländer, der andere Franzose, waren lange, hagere Gestalten, – dieser gebräunt wie die Südländer der heißen Provence, – jener roth, wie ein Gentleman aus Lancashire. Der abgemessene, kalte, phlegmatische, mit Bewegungen und Worten haushälterische Anglo-Normanne schien nur bei der Auslösung einer Feder zu reden und zu gesticuliren, die von Zeit zu Zeit in ihm wirkte. Der lebhafte, fast ungestüme Gallo-Romane dagegen sprach gleichzeitig mit Lippen, Augen und Händen, und schien seine Gedanken auf zwanzigerlei Art mitzutheilen, während seinem Partner nur eine zu Gebote stand, welche stereotypisch in seinem Hirn fest saß.

      Diese physischen Unterschiede hätten des oberflächlichen Beobachters Urtheil gewiß leicht irre führen können; der Physiognomiker aber, der diese beiden Persönlichkeiten aus der Nähe beobachtete, hätte den physiologischen Contrast, der sie charakterisirte, gewiß in die Worte zusammen gefaßt, daß der [pg 1-8] Franzose „ganz Auge“ und der Engländer „ganz Ohr“ sei.

      In der That hatte sich der Gesichtssinn des Einen durch den Gebrauch ganz außerordentlich geschärft. Seine Netzhaut besaß dieselbe Augenblicksempfindlichkeit, wie die der geübten Taschenspieler, welche eine Karte schon beim schnellen Mischen oder an einem so unscheinbaren Zeichen erkennen, daß es jedem Anderen zweifellos entgeht. Dieser Franzose besaß also in höchstem Grade das, was man so bezeichnend „das Gedächtniß des Auges“ nennt.

      Der Engländer im Gegentheil schien ganz speciell organisirt, nur zu hören und in sich aufzunehmen. Traf seinen Gehörapparat der Ton einer Stimme nur ein einzig Mal, so vergaß er diesen niemals mehr und hätte diese Stimme nach zehn, nach zwanzig Jahren unter tausend anderen wieder herausgehört. Seine Ohren besaßen zwar sicherlich nicht das Vermögen, sich so zu bewegen, wie die der Thiere, welche mit sehr entwickelten Ohrmuskeln versehen sind; da die Gelehrten aber außer Zweifel gesetzt haben, daß die äußeren Ohren des Menschen nur „nahezu“ unbeweglich sind, so wäre man anzunehmen berechtigt gewesen, daß die des genannten Engländers sich mußten strecken, verschieben und winden können, um die Schallwellen unter den günstigsten Verhältnissen aufzunehmen, so daß einem Sachverständigen ihre Bewegungen wohl nicht entgangen wären.

      Es sei gleich hierbei bemerkt, daß diese Vervollkommnung des Gesichts und Gehörs den beiden Männern bei ihrer Beschäftigung sehr zu Statten kam, denn der Engländer war ein Correspondent des Daily-Telegraph, der Franzose Correspondent des … ja, welches oder welcher Journale, das sagte [pg 1-9] er nicht, und wenn man ihn darum fragte, so antwortete er scherzend, er correspondire mit „seiner Cousine Madelaine“. Im Grunde war dieser Franzose trotz seines legèren Auftretens ein sehr scharfer Beobachter, und wenn er so in den Tag hinein plauderte, vielleicht um seine eigentliche Absicht desto mehr zu verdecken, so gab er sich doch niemals eine Blöße. Gerade seine Redseligkeit diente ihm dazu, zu schweigen, und wahrscheinlich war er eigentlich verschlossener und discreter, als sein College vom Daily-Telegraph.

      Wenn Beide diesem in der Nacht vom 15. zum 16. Juli im Neuen Palais gegebenen Feste beiwohnten, so geschah das in ihrer Eigenschaft als Journalisten und zwar zur größten Erbauung ihrer Leserkreise.

      Es versteht sich ganz von selbst, daß diese beiden Männer für ihre Mission in der Welt wirklich begeistert waren; daß sie es liebten, sich wie Spürhunde auf die Fährte der unerwartetsten Neuigkeiten zu stürzen, daß Nichts sie zurückschreckte oder abhielt, zu ihrem Ziele zu gelangen, und daß sie das absolut unerregbare, kalte Blut und den wirklichen Muth dieser Helden von der Feder besaßen. Wahrhafte Jockeys dieser Steeple-chase, dieser Jagd nach Neuigkeiten, sprangen sie über die Hecken, flogen über die Flüsse, setzten über die Hürden mit dem unvergleichlichen Feuereifer jener Vollblutrenner, die entweder die Ersten am Ziele sein oder sterben wollen.

      Uebrigens geizten ihre Journale nicht mit dem Gelde, jenem bis jetzt sichersten, schnellsten und vollkommensten Mittel, sich zu informiren. Zu ihrer Ehre sei aber hier eingeflochten, daß weder der Eine noch der Andere je über die Mauer des Privatlebens [pg 1-10] sah oder horchte, und daß sie nur dann in Thätigkeit traten, wenn politische oder sociale Interessen in’s Spiel kamen. Mit einem Worte, sie waren, wie man seit den letzten Jahren zu sagen pflegt, „die großen politischen und militärischen Berichterstatter“.

      Indeß wird man bei näherer Betrachtung sehen, daß sie die Thatsachen und ihre Consequenzen meist auf besondere Art und Weise ansahen, da sie eben jeder seine besondere Manier hatten, zu sehen und zu urtheilen. Da sie jedoch stets mit Freimuth handelten und bei jeder Gelegenheit ihr Möglichstes thaten, so würde man Unrecht thun, sie deshalb zu tadeln.

      Der französische Correspondent hieß Alcide Jolivet. Harry Blount